DeutschlandSurfen auf dem Rhein

Deutschland: Surfen auf dem Rhein
Deutschland: Surfen auf dem Rhein

Windsurfen auf dem Rhein – nicht immer ganz ungefährlich, nicht immer ganz legal und nicht immer ganz einfach. Aber für Profi Peter Garzke mittlerweile eine Alternative zum heimischen Baggersee und noch dazu ein Spaß ohne gesundheitliche Nebenwirkungen. Das war nicht immer so – da hat Peter so seine Erfahrungen gemacht.

1999 – ich telefoniere mit einem guten Freund, als ich plötzlich eine starke Veränderung bei mir feststelle. Es dauert ein paar Sekunden bis ich verstehe, was mit mir los ist. Völlig zusammenhangslos und damit für meinen Gesprächspartner auch unverständlich verabschiede ich mich wie aus dem Nichts mit dem eindeutigen Satz: “Melde mich später”, und schaffe es gerade noch aufzulegen. Dann geht alles ganz schnell und kompromisslos, denn mein Magen alarmiert Handlungsbedarf. Ich greife mir den Mülleimer, der direkt neben meinem Schreibtisch steht. Es folgt ein dreistündiges Martyrium, bei dem es mir schwerfällt zu entscheiden, ob ich nun vor oder auf dem Klo sitzen soll. Dann kehrt Ruhe ein und ich habe das Gefühl, von einem schweren Sturm überrascht worden zu sein. Es geht mir besser. Ich beginne zu reflektieren, was diesen Sturm ausgelöst hat, und mir dämmert es bereits, auch wenn ich es eigentlich nicht wirklich glauben will, habe ich doch meine ganze Jugend im Rheinwasser verbracht. Ich hatte am Vortag auf dem Rhein ein paar Windsurfbilder mit einem befreundeten Fotografen gemacht und die Quittung postwendend erhalten. Die Bilder kamen damals gut an, das konnte mein kleines Intermezzo einigermaßen rechtfertigen, aber zum freien Fahren fühlte ich mich nicht wirklich mehr genötigt. Da erschien mir der heimische Baggersee dann doch verträglicher.

Genau zehn Jahre später treffe ich einige Freunde in Köln und sie berichten mir begeistert von ihren Erlebnissen auf dem Rhein. Ihre Euphorie, haben sie doch endlich Gelegenheit direkt vor der Haustüre ein paar schöne Stunden zu erleben, steckt mich an, und ich beschließe meinerseits, dem Rhein nach zehn Jahren der Abstinenz eine weitere Chance zu geben. Vielleicht hatten die so oft gehörten Versprechungen, dass der Rhein mittlerweile eine viel bessere Wasserqualität hat, einen realen Hintergrund. Das Rheinsurfen ist etwas ganz besonderes, weil die Strömung, läuft sie genau gegen den Wind, es möglich macht, teilweise bis zu 1,5 Quadratmeter kleinere Segel zu fahren. So ist das Rheinsurfen nicht nur sportlicher, aber auch schon bei viel schwächerem Wind möglich, was einem viele zusätzliche Windsurftage beschert.

So saß ich nun vor dem Computer, um mir bei Google Map einige Rheinverläufe auszudrucken. Schließlich galt es nun in alter Pioniermanier Spots für die unterschiedlichen Windrichtungen zu finden. Gut vorbereitet zog ich los, um dem Begriff Heimatkunde eine neue Bedeutung zu verleihen, sollte ich doch nun endlich mal nach 40 Jahren Niederrhein den Rheinverlauf genauestens kennen lernen. Aller Anfang ist schwer, denn schnell stellte ich fest, dass die Zufahrten meiner Wunschspots reglementiert oder gesperrt sind, oder gar nicht existieren. Sackgassen, Naturschutzgebiete und fehlende Zugänge machten mir das Leben schwer. Es dauerte einige Tage, bis ich meine Spotliste für die unterschiedlichen Windrichtungen komplettiert hatte. Dann kommt endlich der Wind. Nervös und unsicher rigge ich mein Segel auf, und erwische mich immer wieder dabei, wie ich beiläufig die vorbeifahrenden Schubschiffe mit Respekt und Unsicherheit mustere.

Endlich schiebe ich mein Board ins Wasser und die Strömung zieht mir das Heck zur Seite. Auf dem Rhein ist alles anders. Die Schiffe, die mit dem Strom rheinab wärts fahren, stehen im nächsten Moment schon neben einem. Die, die sich gegen den Strom quälen, kommen kaum voran und blockieren teilweise eine gefühlte Ewigkeit den Spot. Genau das ist eben Rheinsurfen, denn das Warten am Ufer gehört tatsächlich dazu. Im Uferbereich ist die Strömung noch moderat und mein Board kommt deswegen auch nur langsam in Fahrt. Ich passiere den Krippenkopf (Steinmolen) und sofort spüre ich den zunehmenden Wind in meinem Segel. Es fühlt sich nun beinahe überpowert an. Verrückt, denn an Land hatte ich den Wind kaum wahrgenommen. Der Wind ist aus diesem Grund sehr konstant, weil es sich ja eigentlich um Leichtwind handelt, der nur künstlich über die Strömung verstärkt wird.

Der Weg ist frei und das nächste Schiff noch ganz weit weg. Die Wasserfläche auf dem Rhein zeigt durch die Strömung und den Schiffsverkehr ein ungewöhnliches Bild. Glatte Flächen und kurze Kreuzwellen mischen sich mit den durch den Wind entstehende Kabbelwellen. Ich erreiche das andere Ufer und vor mir liegt eine spiegelglatte Fläche, die durch die Abdeckung der in Luv liegenden Krippe geschützt ist. Ein Traum, denn selten kann man seine Manöver auf so glattem Wasser zelebrieren.

Rheinsurfen macht Spaß, denn die zusätzliche Energie der Strömung eröffnet einem eine ganz andere Dimension, die eine Rückkehr auf den böigen Baggersee kaum zulässt. Ich muss tendenziell immer einen leichten Raumwindkurs fahren, da ich ansonsten von der Strömung nach Luv versetzt werde. Verrückt, wo wir doch sonst immer um jeden Meter Höhe kämpfen müssen. Das ist sehr entspannend. Aber Vorsicht ist geboten, denn ich mus ständig die Schiffe beobachten und muss zusehen, dass geglückte Manöver mir nicht zu sehr den Kopf verdrehen, und ich die Gefahren dabei vergesse.

Dann bricht der Wind ein. Ich dümpele dahin, und die Strömung hat mich mittlerweile einen halben Kilometer mitgenommen. Ich sehe zu, dass ich in die Abdeckung der Krippen gelange, denn hier ist es möglich auch bei schwächelnden Bedingungen noch Höhe zu vernichten. So gelange ich schließlich zurück zum Ausgangsort und freue mich über die gelungene Premiere. Ein paar Tage später weht der Wind aus Südwest, der bei uns in der Gegend nur bei der holländischen Stadt Nijmegen gegen die Strömung läuft.

Ich wassere mein Board. Hier ist der Rhein mittlerweile in den Waal übergegangen. Ich fahre los, erreiche aber nur einmal das gegenüberliegende Ufer. Neben mir parkt auf einmal die Wasserschutzpolizei und erklärt mir eindeutig, dass derartiger Spaß in Holland nicht geduldet wird. Enttäuscht ziehe ich von dannen, nimmt mir diese Information doch meine einzige Option auf Südwestwind. Trotz dieser Erfahrung freue ich mich unheimlich über meine restlichen Spots, die mir in der Folge sehr viel Spaß bereiten.

Es ist einfach klasse und auch ungewohnt für mich, von zu Hause kommend innerhalb von zehn Minuten derart schöne Bedingungen zu erleben. Es ist aber auch bedauernswert, dass man sie so lange aus Unwissenheit nicht wahrgenommen hat. Klar bin ich schon vor zehn Jahren hier gesurft, habe aber damals aufgrund meiner Magenverstimmung die Vorzüge verdrängt.

Einige Zeit später bin ich wieder einmal bei perfekten Bedingungen unterwegs, als dieses Mal die deutsche Wasserschutzpolizei näher kommt. Sie weisen mich an, das Wasser zu verlassen. Ich bin überrascht und erfahre später, als ich telefonisch nachhake, dass diese Anweisung im Naturschutz begründet ist. Ich darf zwar auf dem Wasser surfen, aber dieses eben nicht über den Strandweg erreichen. Die zuständige Behörde hatte diese Regelung scheinbar schon mehrfach an die Wasserschutzpolizei herangetragen. So ging ich dann zur entsprechenden Stelle, um mein Gesuch einer Sondergenehmigung vorzutragen. Es folgt ein Trauerspiel und auch mein Hinweis, dass sich auf dem Gelände ein Modellflugplatz, links ein Klärwerk und rechts ein Chemiewerk befindet, beeindruckt niemanden. Auch der Hinweis auf die 20 Schubschiffe und die zehn Angler vor Ort helfen mir nicht weiter. Unsere Freunde, die Angler, haben offensichtlich doch eine bessere Lobby. Aber egal, ich habe inzwischen ein paar andere Spots außerhalb des Naturschutzgebietes gefunden, ansonsten mache ich halt einen Angelschein, dann darf ich auch meine Bierkästen mit zum Strand bringen.

Fotos: GF Pictures, Text: Peter Garzke