Chillout-Eiland - die besten Windsurf-Spots auf Spiekeroog

Philipp Brons

 · 18.10.2017

Chillout-Eiland - die besten Windsurf-Spots auf SpiekeroogFoto: Philip Brons

18 Quadratkilometer Stille – auf Spiekeroog gibt es keine Autos, keinen Flugplatz und keine Hotelburgen, nur Dünen, Meer und Stille. Es sei denn, der Wind heult durch die kleinen Gassen des Örtchens. Wer sich auf das Eiland einlässt, kann endlich mal loslassen – und einen der schönsten Spots der Nordsee genießen.

Freizeitstress! Immer dem Wind hinterher, von Spot zu Spot, das Wind-Update auf dem Smartphone im Blick. Verzögerungen? Leerlauf? Nicht vorgesehen. Vielleicht ist ein Kurzurlaub auf Spiekeroog genau das Richtige, um gestresste Surfer mal wieder zu erden. Geniale Surfspots unterscheidlichster Prägung liegen hier im Radius von 15 Minuten um den Wohnort – zu Fuß, nicht mit dem Auto. Willkommen in der analogen Welt!

Die Uhren auf Spiekeroog scheinen stillzustehen oder zumindest sehr langsam zu ticken. Das fällt schon direkt vor dem Übersetzen in Neuharlingersiel auf, bevor man die Fähre überhaupt betreten hat. Der Surfbrett-Transport ist hier noch eine analoge Besonderheit, die Boards werden von der Crew von Hand aufs Vordeck getragen, das restliche Equipment zusammen mit unzähligen Cityrollern per Kran unsanft in Containerboxen an Deck gehievt. „Bitte seien Sie mit den Windsurfboards vorsichtig, die sind sehr empfindlich!“ hatten wir dem Matrosen noch zugerufen, aber Hauptsache es kam alles mit. Zwei tiedeabhängige Fähren zum Festland täglich, kein Massentourismus, keine Autos, keine großen Supermärkte, sogar Fahrräder gibt es auf der Insel kaum. Stören tut das ganz bestimmt nicht, da man sowieso fast alles zu Fuß erledigen kann und es ganz angenehm ist, mal auf den ganzen Stress vom Festland zu verzichten.

Friesen-Charme

Das Dorf selbst ist klein, da auf der Insel nur 800 Einwohner ganzjährig wohnen. Weil sich der Ort in der Mitte der Insel und nicht, wie auf vielen anderen Ostfriesischen Inseln, am heutigen Westende befindet, wurde das Dorf nicht durch Sturmfluten zerstört und ist mit seinen vielen schönen Friesenhäusern und anderen traditionellen Bauwerken erhalten geblieben, was der Insel einen ganz besonderen und einzigartigen Charme verleiht. Neben eigenem Surfzeug – eine Surfschule gibt es hier leider nicht – ist eine Surfkarre zum Materialtransport ein weiteres „must have“, um die 1,5 Kilometer vom Ort zu den verschiedenen Spots zu bewältigen, ohne schon vorher platt zu sein. Entweder bringt man sich deshalb seinen selbstgebauten Surfwagen mit (Inspiration dafür gibt es in diesem Heft) oder man verwendet dafür eine der unzähligen Kofferkarren, die man überall auf der Insel findet und sogar von vielen Unterkünften gestellt bekommt.

Am Hauptspot am Westende gibt’s flache Stehbereiche auf der Inselseite und tiefes Wasser direkt an der vorgelagerten Sandbank.
Foto: Brons/Brüggenjürgen

Ausgesprochen interessant für Surfer ist zudem der sehr schöne Spiekerooger Campingplatz, der idyllisch in den Dünen am Westende in unmittelbarer Spotnähe liegt. Der Campingplatz scheint im Sommer gut von Wind- und Kitesurfern besucht zu werden, was wir aus den vielen Neoprenanzügen und dem Surfmaterial neben den Zelten schließen. Dies kommt nicht von ungefähr, denn man muss lediglich die Hauptdüne überqueren und befindet sich direkt am Hauptspot der Insel. Vom Campingplatz aus kann man somit auch notfalls entspannt ohne Surfkarre zum Spot gelangen. Ein weiterer Pluspunkt des Campingplatzes ist der kleine aber gut sortierte Supermarkt, in dem man alle notwendigen Sachen von Brötchen über Campinggas bis hin zur Zahnbürste bekommen kann. Für die Feierwütigen unter den Surfern befindet sich ebenfalls am Westende das „Old Laramie“, eine Mischung aus Café, Bar, Diskothek und Kitesurfschule. Hier ist abends eigentlich immer was los, so dass sich ein Besuch trotz des etwas launigen Gastgebers immer lohnt.

Allgemeine Infos Spiekeroog

Wind, Wetter & Neoprenempfehlung: Spiekeroog liegt voll in der Westwindzone und wird sehr zuverlässig von Tiefdrucksystemen belüftet. Die beste Reisezeit ist der Herbst, dann kann man bei noch recht milden Temperaturen durchschnittlich an jedem zweiten Tag mit Gleitwind rechnen, aber auch im Sommer sind lange Flautenphasen eher die Ausnahme. Im Juli und August tut es bei durchschnittlichen Temperaturen von 20 Grad Luft und 18 Grad Wasser ein 4/3er-Neo, im Frühjahr und Herbst sollten auch der 5/3er-Anzug und Schuhe bzw. eine Haube im Gepäck sein. Im Prinzip sind sämtliche Windrichtungen auf Spiekeroog nutzbar, die besten Bedingungen für Flachwasser und Welle gibt’s jedoch bei den sehr häufig vorkommenden westlichen Winden.

Gute Windquote auf SpiekeroogFoto: Windfinder
Gute Windquote auf Spiekeroog

Anreise: In Neuharlingersiel kann man sein Auto auf gebührenpflichtigen Parkplätzen abstellen und in 15 Minuten zu Fuß zur Fähre gehen. Wer nicht schleppen will, lädt Mitfahrer und Gepäck am Anleger ab und parkt dann. Die Abfahrtszeiten sind tidenabhängig, den Fahrplan und alle Infos gibt’s unter www.spiekeroog.de/urlaub-planen/anreise.html. Die Unterkünfte auf Spiekeroog sind allesamt in fußläufiger Entfernung. Ein Surf­anhänger oder Bollerwagen kann treue Dienste leisten, natürlich kann man sein Gepäck auch bequem vom Fähranleger abholen lassen. Infos dazu unter www.spiekeroog.de/urlaub-planen/gepaeckservice

Wohnen & Zelten: Alle Infos zum wunderschön in den Dünen gelegenen Zeltplatz gibt es unter www.spiekeroog.de/urlaub-buchen/zeltplatz.html. Der Zeltplatz hat immer zwischen April und September geöffnet. Im Ort Spiekeroog gibt es bei den einschlägigen Internet-Portalen eine große Auswahl von unterschiedlichsten Übernachtungsmöglichkeiten – vom exklusiven Ferienhaus über Zimmer in kleinen Hotels bis hin zum Bed & Breakfast-Angebot. Fündig wird man auch hier über die Seite www.spiekeroog.de/urlaub-buchen

Surfschulen & Shops: Gibt’s hier so viele wie Autos – nämlich gar nicht! Um eigenes Material kommt man folglich nicht herum.

Die besten Spots

Auf Spiekeroog gibt es nicht den oder die Spots, welche man mit Hilfe eines angeblich „aktuellen“ Spot Guides je nach vorherrschenden Bedingungen ansteuern kann. Dafür spielen einfach zu viele Variablen mit in die Gleichung ein, denn wie überall im Wattenmeer gibt es auch hier nur eine wirkliche Konstante und das ist der Tidenstrom, der sechs Stunden kommt und anschließend wieder sechs Stunden geht. Durch die Vielzahl an unbeständigen Umwelteinflüssen verändert sich das Revier rund um die Insel permanent. Das bedeutet, dass sich scheinbar aus dem Nichts neue Sandbänke oder Barren auftun, die neue vielversprechende Spots schaffen können.

Foto: Philipp Brons

Nichtsdestotrotz haben sich in den letzten Jahren drei wesentliche Spots etabliert, die sich zwar ebenfalls stetig verändern, aber in ihrer Grundfunktionalität erhalten bleiben und für jeden Surfer, egal ob Windsurfrookie, Hobbyfreerider, Freestylecrack oder Hardcorewaver, etwas bieten.

1) Westend-Bucht

Der Hauptspot Spiekeroogs liegt im Westen der Insel. Die sichelförmige Bucht ist ein wahres Spot-Multitalent! Sie erinnert in ihrer Form und Funktionalität sehr stark an den Hauptspot auf Borkum. Bedeutender Unterschied ist, dass es in und um die Spiekerooger Bucht keine „störenden“ Naturschutzgebiete gibt, die den Surfspaß einschränken. Das bedeutet, dass die Sandbank von allen Richtungen frei befahren und sogar betreten werden darf – äußerst praktisch auch zum Zuschauen, Pausieren oder Fotografieren.

Durch die Sichelform bietet der Spot bei Winden von Süd über West bis Nord super Flachwasserbedingungen. Vom Land aus ist der Einstieg über den schmalen Strand sehr seicht, wohingegen die Sandbank auf der anderen Seite sehr steil bis auf teilweise vier Meter abfällt, so dass man bis auf wenige Dezimeter an die Sandbank heranfahren kann. Freerider und Racer können deshalb lange Finnen wählen und dennoch sehr dicht unter Land surfen. Bei Hochwasser und Westwind kann man so beinahe die komplette Strecke bis zum Nordstrand hochziehen. Oft wird bei Hochwasser die vorgelagerte Sandbank überspült, was ein Überqueren mit kurzen Freestyle- und Wavefinnen ermöglicht. Dann kann man aus dem Flachwasser kommend über die Sandbank mit ordentlich Schmackes auf die offenen, aber meist moderaten Nordseewellen zusteuern. Auf diese Art verschmelzen Wave- und Flachwasserspot. Bei Ebbe hingegen muss man auf der Inselseite ab dem Dünendurchgang zum Westende aufpassen, dass man mit längeren Spurhaltern keinen Grundkontakt bekommt, spätestes bei Niedrigwasser ist hier dann sowieso endgültig Schluss. Auf Grund des seichten Einstiegs, der nicht vorhandenen Strömung und der beinahe geschlossenen Form eignet sich der Spot auch hervorragend für Einsteiger und Fortgeschrittene. Einziges Manko: Aufgrund der örtlichen Kiteschule muss man sich hier manchmal mit den Drachensportlern anfreunden.

Ganz im Süden der Bucht, also direkt an der Öffnung zum Meer, kommt etwa eine knappe Stunde vor bis eine Stunde nach Niedrigwasser ein 1-a-Freestylespot zum Vorschein: Exakt in Verlängerung der vorletzten Buhne schließt dann eine etwa 300 Meter lange Sandbank die Bucht beinahe ganz ab. Durch die dann nur noch 50 Meter breite Öffnung laufen kleine aber cleane Wellen, die perfekt als Kicker für jegliche Art von Air- und Powermoves genutzt werden können. Obwohl der Spot keine zwei Stunden funktioniert, lohnt sich das Abwarten definitiv, so dass einem die Sessions hier noch lange im Gedächtnis bleiben werden. Aufpassen muss man dort leider höllisch vor den fiesen Austern, die im Buhnenfeld lauern – Schuhe sind ratsam!

2) Süd-Priel

Im Schutze der Insel gibt es eine Vielzahl an Flachwasserspots, die – wenn in finnenlanger Entfernung zur Sandbank aus den sonst ungleichmäßigen Gleitgeräuschen des Boards ein durchgängiges Zischen wird – das Herz eines jeden Freeriders und Freestylers höher schlagen lassen. Besonders interessant ist für diese Zielgruppe sicherlich der von uns getaufte „Süd-Priel“, ein relativ breiter und tiefer

Priel, der beinahe gradlinig von West nach Ost verläuft und sich somit für Windrichtungen um Süd oder bei Hack aus Nord eignet. Der Priel endet zur Ostseite in Naturschutzzone 1, so dass man den Priel nicht ganz ausfahren kann und spätestens bei der zweiten gelben Tonne die Halse oder Wende einleiten sollte. Etwas mühselig ist jedoch die Anfahrt beziehungsweise der Anmarsch zum Spot. Am besten ist der Priel vom Hafen durch einen längeren Schlickmarsch oder durch Hochkreuzen von der Bucht zu erreichen.

3) Nordstrand

Auf der anderen Seite der Insel rollt der Swell aus der Nordsee beinahe ungehindert rein und bringt das Wasser sprichwörtlich zum Brodeln. Im Westen Spiekeroogs in Richtung Langeoog in der Otzumer Balje sind die tidebedingten Strömungen extrem stark. Weniger ruppig und somit deutlich geordneter geht es am eigentlichen Nordstrand der Insel zu, wo der Swell ohne störende Untiefen auf den Strand donnern kann. Vorgelagerte Barren geben einem die Möglichkeit, ausreichend Speed im überschaubaren Shorebreak aufzubauen, bevor man auf die dicken Sprungrampen zusteuert, die sich adrenalinabhängige Wavecracks wünschen. Obwohl wir bei unserem diesjährigen Trip ein wenig Pech mit der vorherrschenden Windrichtung hatten und der Wind deutlich südlicher als vorhergesagt kam, waren wir uns alle über das sehr gute Wave-Potenzial der Insel einig. Die Wellen brechen sauber, erlauben teilweise mehrere Frontside-Turns und können bei starkem Westwind durchaus masthoch werden. Am besten gefielen uns die Wellen direkt vor dem östlichen Ende der Bucht auf Höhe des bewachten Badestrandes, wo der Strandverlauf einen kleinen südlichen Knick nimmt. Bei zu wenig Wind reichen die Wellen hier auch allemal für die ein oder andere gute Wave-SUP- oder Wellenreiteinheit.