SURF Redaktion
· 09.01.2021
Beim größten Leichtwindsegel geht es weniger um Topspeed, sondern darum, überhaupt ins Rutschen zu kommen. Zu viel Power gibt‘s da nicht. Vier etablierte Freeracer und ein Sonderling wollen alle frühstmöglich gleiten — die Konzepte dafür könnten aber unterschiedlicher kaum sein.
Es war ein spontaner Sommer-Sondertest, unter erschwerten Corona-Bedingungen. Ein wichtiger Herausforderer hat es dabei — verloren gegangen wohl irgendwo zwischen China und dem Gardasee — einfach nicht mehr aufs Wasser geschafft. Das NeilPryde V8 wäre unser sechster Wunschkandidat in diesem Rennen der Hubraummonster gewesen. Trotzdem können wir euch im getesteten Feld für nahezu jeden Geschmack ein Segel bieten. Vom camberlosen Tuch mit Wavesegel-weichem Fahrgefühl und Handling — bis zum straff-gestählten Dampfhammer für schwerste Jungs.
An Land
Camber und Co
Bis auf das „Morpho“ verwenden alle Segeldesigner zwei Camber, um die durchgehend tiefen Profile zu stützen. Der Aufbau gelingt dennoch — unter Beachtung der richtigen Reihenfolge — eigentlich easy, lediglich beim Gunsails erfordern die Camber etwas Fingerspitzengefühl um diese „bei der Stange zu halten“. Die Trimmkräfte sind kein Kinderkram, aber handhabbar. Mit ordentlich Loose im Achterliek — bei Sailloft eher im oberen Bereich konzentriert und beim Morpho nur mäßig im weichen Tuch sichtbar — decken die Segel bereits ohne Schothornspannung einen guten Windbereich ab. Die Ausnahme stellt das Morpho, hier muss man beim Zug am Schothorn nicht in Millimetern denken, sondern in Zentimetern oder Inch.
AUF DEM WASSER
Gleiten, Kontrolle, Speed
Die gute Nachricht vorweg, abgekoppelt von der individuellen Charakteristik von soft bis direkt, die dem einen so besser passt, dem anderen so: Alle Segel gleiten sehr gut an und lassen sich ohne viel umzutrimmen richtig lange kontrolliert festhalten. Auch als nach den Angleitpaarungen bei beginnender Ora bereits die ersten 6,5er Segel im Vollgleiten waren, ließen sich alle Kandidaten noch mindestens ausreichend kontrollieren. GA, Gunsails und Severne haben sogar das Zeug für echte GPS-Topspeedruns. Das Morpho würden wir dafür allein wegen des weichen Fahrgefühls und der dann zunehmenden Agilität weniger empfehlen und das Sailloft — strotzend vor unbändiger Kraft — bekommt, vor allem für Surfer von 80 Kilo oder weniger spürbar früher viel Zug auf die hintere Hand, der dann wenig Spaß bereitet. Im untersten Gleitwindbereich — da, wo die Designer es sehen wollen und auch noch bei mittlerem Gleitwind liegt aber gerade das Sailloft — zusammen mit dem Gunsails — besonders stabil in der Hand und lässt sich auch wegen der höheren Zugkräfte richtig entspannt surfen. Bleiben noch die Manövereigenschaften — von einem 8,5er darf man keine Wunder erwarten. Richtig gut hat uns aber bei allen Segeln die Camberrotation gefallen, kein Segel zeigte sich störrisch wie manche Racesegel, die Profile schlugen immer komplett rum, teils mit nahezu unhörbarer Camberbewegung. Außer Konkurrenz lag dabei — wie im gesamten Test — das Morpho 7,6. Ein camberloses Segel im kompakten Schnitt, auf einem 430er RDM-Mast. Ein Segel, dass in der Halse naturgemäß völlig andere Möglichkeiten eröffnet und erstaunlicherweise mit seinem extrem weichen Profil zeigte, dass frühes Gleiten mit noch weniger Fläche möglich ist. Ohne Einschränkungen bleibt allerdings auch dieser Weg nicht. Welches Segel dich also am besten auf Touren bringt, findest du in den Einzelbeschreibungen.
Unsere getesteten Segel:
GA Sails Cosmic 8,3
Der „Softie“ unter den Cambersegeln ist das GA Cosmic. „Softie“, weil es einerseits mit spürbarer Profildämpfung aufwartet und andererseits auch mit leichteren Surfern sehr sanft und milde umgeht. Konkret liegt es vergleichsweise leicht in der Hand, leichter noch als beispielsweise ein Gunsails Exceed, dabei aber immer etwas agil und nie 100-prozentig gelockt wie eben dieses. Mit locker eingehängtem Schothorn surft es sich am schönsten, am stabilsten und gleitet dann kraftvoll an, einen Tick flotter als ein Severne Turbo GT. Und damit zählt es zur Liga der besten Gleitsegel, die man bekommen kann. Besonders soft, also weich und ohne Ruck, schiftet das Profil auf die neue Seite, die Camber lassen nur durch ein ganz leises „pffft“ erahnen, dass da überhaupt welche in der Masttasche verborgen sind. In der Gruppe würde man es als „Allrounder“ zwischen dem kraftvollen Gunsails und dem sehr leichten Severne einordnen. Der Aufbau geht leicht von der Hand, die Camber klappen easy an und die Trimmkräfte bleiben moderat. Vorsicht: Zu viel Schothornspannung mag das Segel nicht, hier sollte man sensibel tunen. Im „richtigen“ Trimm liegt es ausgewogen in der Hand, allerdings nicht mega gelockt, aber lange gut zu kontrollieren.
surf-Fazit: Guter, gedämpfter Frühgleiter, der nicht nur für Schwergewichte geeignet ist, mit obendrein sehr gutem Handling in der Halse.
GunSails Exceed 8,5
Der Verwandlungskünstler liegt beim Tragen noch etwas schwerer in der Hand — „na ja, die typische, solide Gun-Materialwahl“ denkt man noch. Doch schon beim Dümpeln wirkt das sehr tief profilierte Segel plötzlich sehr neutral und lässt sich mit recht wenig Kraft dirigieren. Der Trimm dafür ist leicht zu finden, einmal das Vorliek eingestellt, der Rest geht übers Schothorn — und da kann man sehr lange mit sehr wenig Spannung surfen. Dann zieht das Exceed sehr kräftig los und beschleunigt anschließend schneller als die übrigen Kandidaten. Mit viel Speed auf allen Kursen und — bei leichter Betonung der hinteren Hand — auch sehr guter Leistung auf Amwind, dominierte es im Test den unteren und mittleren Gleitwindbereich. Dabei liegt es besonders stabil und ruhig über dem Board, erlaubt mit dem weit über den Trimmbeschlag nach unten geschnittenen Segel einen besonders dichten Abschluss mit dem Unterliek auf dem Board. In der Halse ist das Handling vom Gewicht okay, das Umschlagen des Profils recht heftig, die Camber-Rotation butterweich — allerdings sprangen die Camber auch beim Aufriggen leichter mal wieder vom Mast, was beim Aufbau doch etwas Feingefühl erforderte. Auch bei starkem Wind bleibt die Kontrollierbarkeit Top, die Windrange wirkt sehr groß.
surf-Fazit: Gleitstarkes und sehr schnelles Segel mit top Beschleunigung. Einfach und stabil (schnell) zu surfen.
Morpho Sails Morpho 7,6
Der Außenseiter prahlte vorab, es locker mit den größeren Segeln aufzunehmen. Wir waren gespannt. Beim Aufriggen des camberlosen Segels muss man die sehr weite Trimmstrecke am Schothorn beachten, auch bei viel Zug bildet sich auf dem 430er (!) RDM-Mast dennoch ein tiefes Profil. Gleich nach dem Segelaufholen wird man sich ein Schmunzeln nicht verkneifen können, weil das Segel so viel leichter und noch viel weicher ist als alle anderen in diesem Test. Passiv zieht es dann überraschend früh und kräftig an, andererseits wenig verwunderlich bei dem tiefen, bis weit hoch reichenden Bauch. Daraus kann es im untersten Gleitbereich einen erstaunlichen Speed entwickeln, der es mit den deutlich größeren Cambersegeln gut mithalten lässt. Beim Anpumpen zeigt es sich wie alle weichen Segel mit „Boxer-artiger“, kompakter Outline: Das Profil verflacht sich eher, das Segel vertwistet, die Gleitgrenze lässt sich mit Körpereinsatz kaum effektiv drücken. Dabei liegt es beim Angleiten etwas unruhig in der Hand und auch beim Speeden muss man immer etwas an der Gabel arbeiten. Halsen sind schlicht ein Traum. Das Segelkonzept von Mark Thoms passt sehr gut zu dem ebenfalls von ihm (mit-)entwickelten Thommen Glide 165: Alles ist auf bestes passives Angleiten und maximalen Komfort ausgerichtet, Topleistung bei starkem Wind liegt nicht im Fokus.
surf-Fazit: Sehr weiches Segel mit top Handling und tatsächlich sehr viel Gleitleistung.
Sailloft Hamburg Traction 8,5
Der Urvater der Frühgleitsegels, entstanden aus einem Designwettbewerb für spezielle Powersegel, muss sich auch 2020 nicht verstecken. Zumindest in seiner Spezialdisziplin — maximales Drehmoment bei niedrigen Drehzahlen. Übersetzt bedeutet das, dass das Sailloft aus wenig Wind unglaublich viel Vortrieb generieren kann. Der entsteht in den Tiefen des unglaublich mächtigen Profiles, das bis weit über die Gabel noch ordentlich Wölbung zeigt, kombiniert mit eher gemäßigtem „Loose Leech“. Das Rigg liegt schon beim Angleiten — trotz nur sechs Latten — sehr straff und direkt in der Hand. Mit viel Dampf zieht das Segel dann passiv als erstes los, lässt sich aber ebenfalls mit Anpumpen noch wirkungsvoll unterstützen. Die folgende Beschleunigung wirkt nicht ganz so rasant und auch im Topspeed muss das sehr kraftvolle Segel mit dem tiefen Bauch etwas Abstriche in Kauf nehmen. Dafür liegt es im unteren und mittleren Windbereich äußerst stabil und gelockt über dem Board, zieht kraftvoll durch Windlöcher und erfordert kaum Korrekturen. Bei viel Wind nimmt der Zug hinten stark zu, ein Starkwind-Heizer-Segel für GPS-Rekorde ist das Traction sicher nicht, dafür hat Sailloft das „Mission“ im Programm.
surf-Fazit: Extrem kraftvolles Segel für schwere, kräftige Surfer gut über 80 Kilo, die nicht nur Fläche, sondern auch ordentlich Zug benötigen, um ins Rutschen zu kommen.
Severne Turbo GT 8,6
Das sprichwörtliche Turboloch ist beim Severne Turbo GT maximal ein feines Nadelöhr. Im „normalen“ Trimm zeigt es schon deutlich „Loose Leech“ und benötigt so einen feinen Hauch mehr Wind als ein Gunsails Exceed um das Board auf die Gleitfläche zu liften. Es lässt sich noch weiter „untertrimmen“, wirkt dann aber nicht mehr so schön stabil. Wir bleiben also lieber im „richtigen“ Trimm und genießen das besonders leichte Feeling, welches das Segel auch zum engagierten Anpumpen prädestiniert. Mit dem etwas weiter vorne liegenden Druckpunkt bleibt es sehr ausgewogen in den Händen, schluckt auch kräftige Böen im obendrein leicht gedämpften Profil sehr effektiv. Zum maximalen Höhe pressen im Racing Modus und beim Durchgleiten in Windlöchern würde man sich vielleicht manchmal sogar etwas mehr Haltekraft hinten wünschen. Spätestens bei richtig Druck im Segel überwiegt dann aber wieder die besonders gute Kontrollierbarkeit, die dem Segel einen sehr großen Einsatzbereich eröffnet. Zusammen mit dem Gunsails zählt das Severne zur ersten Wahl, wenn wir den Leichtwind-Komfortbereich nach oben verlassen. In der Halse schiftet das Segel leicht, schnell und mit sanfter Camberrotation.
surf-Fazit: Keine ausgesprochen spezialisierte Powertüte, sondern eher ein sportlicher Freerace-Allrounder mit obendrein sehr guten Gleiteigenschaften.