Gerd Kloos
· 05.08.2021
"Ich habe mich gegen dunkle Hallen entschieden" – was Andi Lachauer damit meint, erfahrt ihr in seinem Porträt.
Auf Messers Schneide stand die Karriere des Andi Lachauer meistens. Zuerst auf der Boardkante als Jungtricksler, dann auf Schlittschuhen als Nachwuchsprofi. Und jetzt auf filigranen Flügelchen als einer der besten Foilstyler Deutschlands. Der Oberbayer vom Walchensee hat zwei Missionen: Er will zeigen, dass auch mit dem Foilboard alles funktionert, was auf dem klassischen Freestyler möglich ist. Und er glaubt fest daran, dass gestandene Windsurfer, die noch mit dem Fliegen fremdeln, nach einer Woche Training übers Wasser schweben. Ein Hausbesuch am Walchensee.
Die Bayerische Gebirgsmarine galt bislang als Fabelding ähnlich wie der Wolpertinger. Aber es gibt sie wirklich – die rasenden Torpedos, die auf den Bergseen hin- und herfliegen wie der Echoschall zwischen den Gebirgswänden. Wir haben ein solches Geschoss gesehen, es war kein Phantom, aber es war phänomenal. Es pflügte nicht durchs Wasser, sondern schwebte wie ein Kormoran auf Fischsuche über die Wellen. Und es wirkte sehr friedlich im lautlosen Flug.
Der Mann an Board war Deutschlands vielleicht bester Foilstyler, Bayerns filigrane Antwort auf die Formula-Boliden mit ihrer Gorch-Fock-Besegelung. Andi Lachauer, ehemaliger Freestyle-Profi, zeigt der Windsurf-Welt die Zukunft des Sports.
„Das Schweben auf einem kleinen Flügelchen ist ein echter Game Changer“, sagt Foil-Pionier Andi mit der Überzeugungskraft eines Predigers, „du kannst auf dem Foilboard die Tage auf dem Wasser verdoppeln oder sogar verdreifachen. Du musst nicht mehr dein ganzes Leben nach der Windvorhersage ausrichten.“
Sind damit auch die Tage der Großsegel für hünenhafte Muskelprotze vorbei? Könnte Windsurfen auf Flügelchen zum Sommersport für die Generation Snowboard werden? Snowboarder sind Menschen, die Materialschlachten hassen: Zwei Schuhe, zwei Bindungen, ein Board. Basta.
Der Sales Manager Christian May, seit 20 Jahren in der Surfszene bei der Pryde Group tätig, kann sich durchaus vorstellen, dass sich die Schneebrett-Rutscher fürs Foilsurfen interessieren: „Du brauchst nur ein 5,5er-Segel, ein 120er-Brettchen mit Foil.“
Vielleicht ist Andi Lachauer auch deshalb zum Foil-Fanatiker geworden, weil die Riggs beim Surfen mit Flügel viel kleiner sind. Der Münchner war schon immer von zierlichem Wuchs. Erstaunlich, dass ein fast zarter Junge, den man eher in einen Knabenchor stecken möchte, ausgerechnet mit dem Eishockey anfängt. Nicht nur auf den zugefrorenen Seen, sondern in einem berühmten Verein mit großer Vergangenheit. Er spielte bis zum 16. Lebensjahr in Schüler- und Jugendmannschaften des SC Riessersee (Garmisch-Partenkirchen). „Es war eine Schule fürs Leben“, erzählt der immer noch schmächtige 30-Jährige, „wo andere Kraft und Physis einsetzten, musste ich mit ausfeilter Technik dagegenhalten.“
Mit 16 kam dann der Tag der Entscheidung: Profikarriere auf dem Eis oder die Freiheit auf dem Wasser, das Kunstlicht großer, kalter Hallen oder die warme Sonne auf der Haut beim Wassersport. „Ich habe mich gegen die dunklen Hallen und für die Sonne entschieden“, erzählt er mit einem Anflug von Glück im Gesicht, „es war die beste Entscheidung meines Lebens.“ Strand, Meer und Wind ersetzten jetzt das kalte Eis. Und mit dem Abschied vom Eishockey rettete der Münchner auch seinen Schulabschluss: „Mit Eishockey hätte ich das Abi nie geschafft.“
Als Vierjähriger stand der kleine Andreas schon mit Schwimmflügelchen auf einem Surfboard, in dieser Zeit hatte er sich wohl den Surfbazillus eingefangen. Später verbrachte er mit seinen Eltern jeden Sommer sechs Wochen auf der Kykladeninsel Paros. Die Beweglichkeit und Ausdauer, die Andi auf den Schlittschuhkufen erlernt hatte, halfen ihm beim Windsurfen: „Dank meiner Eishockey-Skills habe ich in einem Jahr bis 30 Freestyle-Manöver gelernt“, erzählt er, und es klingt keine Spur von prahlerisch. Traumwandlerisch Schlittschuh zu laufen scheint eine sehr gute Basis fürs Tricksen zu sein.
Der junge Andi träumte von einer Surfprofi-Karriere. Da traf es sich gut, dass sein Bruder bei der Pryde Group in Taufkirchen bei München eine Ausbildung machte. Beziehungsgeflechte sind so wichtig wie Bewegungstalente.
Weil er ein visueller Mensch ist, brauchte er viele Vorbilder. Er zog mit den amerikanischen Hot Shots herum und sog alles auf, was die Hawaiianer nach Europa exportierten. Nach Hawaii, dem Traum aller Nachwuchs-Robbys, hat’s der Münchner nie geschafft. Seine Werkstatt waren die Flachwasserspots von Dahab auf dem Sinai. In dem Wüstenresort, dem Corona im letzten Jahr den Stecker gezogen hatte, weht der Wind über eine Landnase aufs Wasser – feinster H2O-Marmor liegt in Ufernähe aus; keine Welle stört im Freestyle-Labor. Den Trainingsplan geben die anderen Freestyle-Profis vor: „Schauen, schauen, schauen, war mein Rezept. Alles, was die anderen kreiert haben, musste ich sofort auch probieren.“ Talent plus Fleiß plus Wind ist gleich: Erfolg. Andi schaffte es bei einigen Freestyle-Events in die Top-10, Oberbayerns größte Windsurfhoffnung war in der Weltspitze angekommen.
Mit zehn konnte er die Helitack, auf der Kante Clew first fahren und ähnliche Tricks, sechs Jahre später hießen die Herausforderungen Spock, Air Jibe, Flaka und andere Tricks.
Weil der Spitzensport aber nicht nur am Talent hängt, sondern vor allem am Geld, war dem jungen Hot Shot bald klar: „Wenn du immer unter den Top-10 bleibst, kriegst du gute Verträge, wenn nicht, kannst du zwar von den Sponsorengeldern leben, aber du kannst dir nichts aufbauen.“ Andy setzte deshalb nicht alles auf eine Karte, machte vorsichtshalber das Abitur und tingelte dann erst mit der PWA um die Welt. Weil seine bürgerlichen Reflexe selbst durch Wind und Sonne nicht beschädigt wurden, studierte er nach seiner Worldcup-Karriere doch lieber auf Lehramt. Lehrer, glaubte er damals, sei die Kombination aus Pension und Passion.
Aber Kinder und Klassenzimmer waren dann doch nicht seine Welt – Andi braucht die frische, möglichst beschleunigte Luft zum Leben. So fügte es sich wieder, dass sich am Walchensee wenige Meter nach der Talstation Herzogstand und dem legendären Cafe Bucherer eine charmante Holzhütte als Surfstation anbot – nur durch die Straße von einer großen Badewiese getrennt. Nachdem sich die alten Betreiber zur Ruhe gesetzt hatten, bot sich hier die einmalige Chance in der Heimat sesshaft zu werden. SUKI nennen seine Freundin Rita und er das neue Refugium im Schatten des Herzogstands und in Rufweite zum frischen, grün-blauen Gebirgswasser des Walchensees.
Der Walchensee gilt als einer der schönsten Seen Deutschlands. Als Gott, so erzählen es sich die Oberbayern, Kanada erschaffen hatte und noch ein Stückchen davon übrig geblieben war, hat er dieses Überbleibsel 80 Kilometer südlich von München zwischen die bayerischen Berge plumpsen lassen.
Der ehemalige surf-Redakteur Steve Chismar, der sich auch als Heimatdichter verstand, widmete dem Gebirgsidyll eine wahre Hymne: „Der Alpensee ist ein Traum, so grün wie ein Smaragd und so rein wie Quellwasser. Der Wind ist sein Atem, kühl und lebendig. Die Sonne sein Herz im Puls der Zeit. Dass der Walchensee ein Ort von Mythen und Monstern, abgestürzten Bombern und Autowracks ist, wissen die wenigsten Windsurfer.“
Zum Postkartenklischee macht ihn die Kulisse aus den Bergen, die wie staunende Touristen um das Grünwasser herumstehen.
Zum Sehnsuchtsziel aller bayerischen Surfer aber wurde der See als Wochenend-Ersatz für den Gardasee: Die Berge produzieren thermischen Wind. Keine Westfront wie am Starnberger oder Ammersee schiebt hier die Segel an, sondern die nachströmende Luft, welche erwärmte, aufsteigende Aeropakete ersetzt.
Bei einer nördöstlichen Strömung baut sich die Schönwetter-Thermik im Norden des Sees auf. Zwischen elf und zwölf Uhr zeigen sich in der Urfelder Bucht erste kecke Schaumkronen.
Dort oben aber war kein Platz für Andis Surfstation – auf dem schmalen Uferstreifen zwischen Berg und See quetscht sich die Bundesstraße durch Tunnels und Galerien. Neben dem Asphaltband liegen vielleicht Deutschlands begehrteste Parkplätze (Innenstädte ausgenommen). Wer hier sein Womo in eine der wenigen Lücken pressen kann, ist der King des Tages. Die Entfernung vom Autodach zum Wasser beträgt 15 Meter – übers Steilufer.
Andis schmucke Alpenhütte mit Surfcenter liegt am Südwestufer – hier trifft die Thermik später ein – das ist so ähnlich wie die Postzustellung auf einem Einödhof in Oberbayern.
Gardasee-Surfer mit Standort Navene oder Malcesine kennen dieses Phänomen der Winddiaspora. Du stehst am Ufer, guckst nach Norden und siehst die ersten Segel übers Wasser fliegen. An deinem Standort aber planschen die Enten. Ein Königreich für ein großes Segel, das du aber in der Windzone nicht brauchst.
Höchste Zeit also für eine neue Erfindung, mit der Aufkreuzen so einfach wird wie auf einer Yacht mit Monsterkiel.
Kiel ist das Stichwort. Ein langes, scharfes Schwert unterm Brett, an dessen Ende zwei Flügelchen fixiert sind, heißt die Lösung des Problems: Foilsurfen ist die logische Fortsetzung der Jim-Drake-Erfindung Windsurfen.
Der Freestyle-Freak Lachauer, der große Segel hasst, ist durch seinen Spezi Balz „Radiculo“ Müller „erweckt“ worden. Der Schweizer Müller, einer der besten Freestyler Europas, hatte den neuen Sport 2018 beim Worldcup vor Sylt präsentiert. Seither kennt Müller nur ein Ziel: Alle Freestyle-Tricks mit normalen Boards aufs Foilboard zu übertragen. Müller in einem surf-Interview: „Bitte stellen sie die Uhren Einhundert Jahre vor.“ Aus der Herausforderung, dieses Hydrofoil zu bändigen, sei der Foilstyle entstanden. „Inzwischen gibt es kaum ein Windsurfmanöver, das ich nicht mit meinem Foilflügel probiere.“
Dass sich Andi und Balz beim Training in Tarifa auf Anhieb verstanden wie eineiige Zwillinge, kann niemanden überraschen. „Jeder Trick, der mit einem normalen Surfboard funktioniert, geht auch mit dem Foil. Einziger Unterschied: Du brauchst weniger Wind mit dem Foilboard. Du kannst bei zehn Knoten so hoch springen wie mit dem Gleitboard bei 20 Knoten“, verspricht Lachauer.
Das Standard-Manöver der Flügel-Fraktion ist der Shaka. „Aber schon eine durchgeglittene Halse, ein Dreisechziger, gerne auch die stylische Duck Jibe, sichern dir schon neugierige Blicke des Publikums“, verspricht Andi.
Er glaubt fest an die Foil-Future, aber vergisst er dabei nicht, dass Windsurfer eigentlich etwas konservativer sind als beipielsweise die Kiter?
„Erfahrene Windsurfer, die seit 20 Jahren auf dem Brett stehen und ihre Halsen wie am Schnürchen drehen, lernen das Foilsurfen in einer Woche“, hat Lachauer in seiner Schule beobachtet, „und Aufsteiger mit sicherem Stand in den Schlaufen kommen in ein, zwei Monaten ins Fliegen.“
Was sollte da schiefgehen fürs Windsurfen, das dank der Flügelchen eine neue Zukunft erlebt. Surfing is coming home.
Auch mal probieren?
Im SUKI Surfcenter Walchensee gibt Andi Lachauer Kurse und Einzelunterricht (70 Euro die Stunde). andi.lachauer@gmail.com; www.surfcenter-walchensee.com