Sie sind ruhige Zeitgenossen und spucken keine großen Töne. Wer im Duden unter Understatement nachschlägt, findet dort höchstwahrscheinlich ein Bild von ihnen. Sie sind einfach immer dort, wo im Norden die besten Wellen laufen. Nur dort. Sie sind wohl, gemeinsam mit den Gobischs, das am besten surfende Brüderpaar Deutschlands. Sie sind Leon und Henrik Jamaer.
Hanstholm vor ein paar Jahren, Ende März. Es ist kalt, die Tage sind kurz. Die Sonne weigert sich noch beharrlich höher zu steigen, um den Frühling auch im hohen Norden einzuläuten. Das gute an solchen Tagen ist, dass man meist alleine die perfekten Wellen vor der Fischfabrik reiten kann. Abgesehen vielleicht von ein paar schmerzfreien, dänischen Locals. Die Profis sind alle irgendwo im warmen Süden, der surfende Rest noch im Winterschlaf. Der Blick über den letzten Hügel lässt das Herz höher schlagen und die stundenlange Fahrt durch Dänemark vergessen. Geordnete Lines schälen sich aus der Nordsee und entladen sich, noch ungesurft, in der weitläufigen Bucht. Im fernen Dunst kämpft sich eine Fähre durch das aufgewühlte Meer Richtung Norwegen. Ansonsten ist hier heute der Hund begraben. Nur ganz hinten, da wo die scheinbar endlose Dünenlandschaft beginnt, steht einsam ein in die Jahre gekommener Kastenwagen. Davor sitzen – dick eingepackt – Leon und Henrik Jamaer, riggen Segel, schrauben Finnen.
Ein paar Tage später: Nordoststurm, Dahmeshöved in der Lübecker Bucht, kurz vor sieben Uhr morgens. Dauerregen. Im Dämmerlicht hinter dem Deich steht ein einsames Auto, unter der geöffneten Heckklappe sind schemenhaft zwei Gestalten zu erkennen, die in ihre Neoprenanzüge gleiten. Überflüssig zu sagen um wen es sich dabei handelt. Irgendwie scheinen die Jamaers immer da zu sein. Überall. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort und das als Schüler ohne Führerschein. Autofahren dürfen Leon (20) und Henrik Jamaer (23) mittlerweile beide und auch das Abitur haben sie erfolgreich hinter sich gebracht. Dass sie auch schon früher viel Zeit auf dem Wasser verbringen konnten, haben sie ihrem älteren Halbbruder Daniel zu verdanken, ebenfalls leidenschaftlicher Surfer und – am wichtigsten – Führerscheinbesitzer.
Er war es auch, der seine jüngeren Geschwister vor einigen Jahren auf ein altes Waveboard stellte und die beiden so mit dem Surfvirus infizierte. Waveboards sind bis heute der ultimative Untersatz für die Brüder geblieben, denn alle drei haben die gleiche Leidenschaft: Ein guter Tag mit dicken Klopfern, egal ob Sommer oder Winter, Sonne oder Schnee, nah oder fern. Für Freestyle oder sonstige Flachwasseraction hatten die Jamaers stets nur wenig übrig.
Während Daniel, der heute als Ingenieur im niedersächsischen Oldenburg arbeitet, meist nur noch an den Wochenenden aufs Wasser kann, sind die beiden Studenten Leon und Henrik noch recht flexibel und wissen ihre Freiräume auch zu nutzen. Ist die Ostsee wieder einmal platt wie ein Pfannkuchen, klemmen sich Leon und Henrik auch gerne die Wellenreiter unter die Arme, kaufen sich am Automaten ein Schleswig-Holstein-Ticket – Ziel Westerland – und surfen eben ohne Segel ein paar Wellen. Und wenn alles nichts hilft, packen sie spontan die Boards ein, um nach 17 Stunden Autofahren im Schichtbetrieb pünktlich mit dem angekündigten Swell in der Bretagne am Strand zu stehen.
Diese kompromisslos auf Welle ausgerichtete Grundeinstellung trägt, gepaart mit einer gehörigen Portion Talent, mittlerweile beeindruckende Früchte. Henrik und Leon haben sich mit ihrem radikalen Stil, bestehend aus monströsen Backloops, verdrehten Pushloops und geschmeidigen Wellenritten auch außerhalb der norddeutschen Szene einen Namen gemacht. So hat Leon mittlerweile auch schon einige Runden im Worldcup erfolgreich überstanden und bei den letzten Supreme Surf Big Days auf Rügen mussten sich auch gestandene Profis wie Klaas Voget und Lars Gobisch gehörig strecken, um am Ende knapp die Nase vorne zu haben. Noch.
Das ausführliche Portrait der Jamaer-Brüder lest ihr als PDF-Download