Alle reden vom Klimawandel, doch was bringt die Zukunft aus Sicht der Windsurfer? Im surf-Interview spricht Wetter-Experte Meeno Schrader über die Kunst einer guten Windvorhersage, den rollenden Zug „Klimawandel“ und warum ein Sommerurlaub auf den Kanaren in Zukunft eine wackelige Angelegenheit werden könnte.
Interview: Manuel Vogel
surf: Meeno, deine Firma WetterWelt bietet Windvorhersagen zum Kauf an. Warum sollte man Geld für Sachen ausgeben, die es doch im Internet kostenlos gibt? Jeder Windsurfer kann dort zwischen diversen Windvorhersagediensten auswählen...
Meeno Schrader: Ich habe die Firma vor 15 Jahren gegründet, weil ich erkannte, dass die Qualität nicht auf dem Niveau ist, wie sie sein könnte. Das gilt auch heute noch. Wir machen natürlich nicht nur Vorhersagen für Wassersportler, sondern haben ein komplettes Portfolio: Berufsschifffahrt, Regattasegler oder eben auch Wassersportler. Jeder Windsurfer oder Segler kennt doch das Problem: Man freut sich auf Wind, nimmt sich frei, fährt zum Spot, aber die Vorhersage stimmt nicht. Am Ende stellt sich dann die Frage: „War diese Vorhersage jetzt wirklich kostenlos? Oder habe ich vielleicht für Sprit und Zeitaufwand mehr ausgegeben als für eine Top-Vorhersage, auf die ich mich verlassen kann?“
Wie kommen die Unterschiede in der Vorhersage-Qualität deiner Meinung nach zustande? Was macht ihr anders?
Nahezu alle Windvorhersagen, die es kostenlos im Internet gibt, basieren auf dem amerikanischen GFS-Modell. Dieses Modell passt manchmal super, oft aber überhaupt nicht. Die Konstanz fehlt einfach. Der Hauptunterschied bei uns ist, dass wir sieben verschiedene Wettermodelle durchrechnen. Einige davon sind eigene Entwicklungen, die wir in unserem Rechenzentrum laufen lassen, zusätzlich kaufen wir aber auch Rohdaten ein und verfeinern diese. Es geht da um Datensätze, die recht teuer sind, deshalb kann man sie auch nicht kostenlos weggeben, zumal bei uns nur ausgebildete Meteorologen arbeiten, die diese Daten auch entsprechend interpretieren können und auch mal zwischen den Zeilen lesen. Es liegt auf der Hand, dass eine Vorhersage auf Basis von sieben Modellen genauer ist, als bei einer...
...weil jedes Modell bestimmte Stärken und Schwächen hat?
Genau, unser Regionalmodell beispielsweise hat, je nach Einstellung, eine Auflösung von ein bis zwei Seemeilen, das Lokalmodell für den Regattasport rechnen wir sogar runter bis auf 500 Meter. Das ist extrem hoch aufgelöst, wodurch sehr kleinräumige Effekte wie Thermik, Seewind oder Düsenwirkungen mit abgebildet werden können. Das ist natürlich sehr speziell und beispielsweise wichtig für den Regattasport. Da geht es nicht um Aussagen wie: „Am Sonntag ist Westwind mit 15 Knoten“, sondern der Skipper will wissen, ob er nach dem Start um 13:00 Uhr einen kurzen Winddreher von zwei, drei Grad für sich nutzen kann. Da ist höchste Präzision gefragt. Letztlich ist das wie in der Formel 1, deren technische Entwicklungen irgendwann auch im Mittelklassewagen ankommen. Präzise Vorhersagen kommen also auch dem Hobbysurfer zugute.
Dem Hobbysurfer ist es vermutlich egal, ob der Wind ein paar Grad dreht oder nicht, bei Spots die aufgrund lokaler Effekte funktionieren, liegen die gängigen Vorhersagen aber manchmal grundlegend daneben. Ist das gängige GFS-Modell für viele Spots einfach zu grob?
Oft schon. Ich war 2014 in Rio de Janeiro für die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele. Auch dort gibt es ein sehr komplexes und kleinräumiges Windsystem, das wir erstmal vermessen und erfassen müssen, um dann gute Vorhersagen für die Segelteams bieten zu können. Der Gardasee ist ein weiteres gutes Beispiel, den viele Windsurfer kennen. Da kommt man mit Standardmodellen wie GFS, bei denen die Gitterpunkte teilweise 30 Seemeilen auseinander liegen, nicht weiter, weil sich dann sämtliche Messpunkte auf den umliegenden Bergen befinden und der schmale See dazwischen vom Modell nicht mal erkannt wird. Und auch bei thermischen Effekten an der Ostsee muss man die lokalen Effekte mit berücksichtigen, um präzise Vorhersagen machen zu können.
Gepunktet wird bei den Wetterdiensten immer mit einer langen Vorhersagedauer, oft sieben Tage. Macht das Sinn?
Eigentlich ist das irreführend. Natürlich spucken die Modelle auch für eine 14-Tage-Vorhersage irgendeine Stelle hinter dem Komma aus, mit einer echten Vorhersage hat das aber wenig zu tun. Wir sprechen ab fünf Tagen eher von einem Trend.
Mal weg vom Kleinräumigen hin zum großen Ganzen – du bist ja auch sehr im Bereich Klimawandel verankert, hältst viele Vorträge zu diesem Thema. Mal platt gefragt: Ist am heißen, windarmen Sommer der Klimawandel Schuld?
Zuerst mal: Wir sprechen im Zusammenhang mit dem Klimawandel nicht von der Zukunft, wir sind schon mittendrin und als Meteorologe muss man sich einfach damit auseinandersetzen. Der Zug ist am Rollen! Ich beschäftige mich seit über 30 Jahren damit und schon damals hatten wir Erkenntnisse, die den heutigen sehr nahe sind, ich würde mal sagen 80 Prozent Trefferquote. Trotzdem ist seitdem wenig passiert, um gegenzusteuern.
Was erwartet uns konkret?
Ich halte überhaupt nichts von Begriffen wie „Klimakatastrophe“ und sonstiger Panikmache. Trotzdem kann man die Augen nicht davor verschließen, sondern sollte die Zusammenhänge anerkennen und sich nicht von Wirtschaftsverbänden und Lobbyisten einlullen lassen. Bevor ich auf die konkreten Veränderungen für Wassersportler eingehe, möchte ich den Blick aufs große Ganze lenken: Klimaänderungen werden in großen Zeiträumen von mindestens 30 Jahren gemessen und stellen gewissermaßen das Hintergrundrauschen dar, auf dessen Grundlage sich dann unser tägliches Wetter entwickelt. Bis heute ist die globale Durchschnittstemperatur um 0,6 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter gestiegen. Das hört sich lächerlich wenig an. Aber dieser Anstieg des Mittels geht mit extremen Veränderungen im täglichen Wettergeschehen einher, beispielsweise der starken Zunahme von Extremereignissen wie Stürmen, Dürren oder Überschwemmungen. Viele der Konflikte, die wir heute beobachten – etwa wenn Menschen zu Tausenden von Afrika übers Mittelmeer nach Europa fliehen oder sich Bewegungen wie dem IS anschließen, weil dieser ihnen das grüne Land verspricht – sind teilweise schon die Fußabdrücke des Klimawandels, einfach weil die Lebensgrundlagen dort wegbrechen und die Menschen sich an jeden Strohhalm klammern. In der Politik nennt sich das dann „Wirtschaftsflüchtling“, aber eigentlich wäre „Klimaflüchtling“ passender. Man kann sich ausmalen, was dann die prognostizierte Erwärmung von zwei oder drei Grad bis Ende des Jahrhunderts für Auswirkungen haben wird. Auch für alle Wassersportler.
Mal ketzerisch gefragt: Für Surfer könnten goldene Zeiten bevorstehen, oder? Mehr Stürme, wärmere Winter und im Sommer hat die Ostsee 25 Grad...
Von allen Parametern ist die Prognose über die Windgeschwindigkeiten in der Zukunft der unsicherste Faktor und viele Modelle stoßen da an ihre Grenzen. Man kann hier nur von Trend sprechen. Nichtsdestotrotz gibt es Indikatoren die, auf globaler Ebene, eine leichte Zunahme der Windgeschwindigkeiten vorhersagen. Global erwartet man eine Zunahme von 0,1 Knoten, also rund einem Prozent.
Das hört sich enttäuschend an!
Auch hier ist es wieder das Gleiche wie bei den Temperaturen: Kleine Änderungen im Mittel, große Auswirkungen bei den Extremereignissen. So sagen die Modelle eine Zunahme der Sturmtage in nördlichen Regionen wie Dänemark um zwei bis fünf Tage pro Jahr voraus. Seit 2006 beobachten wir bereits eine vermehrte Sturmaktivität im Nordatlantik, aber dieser Zeitraum ist natürlich noch zu kurz, um einen generellen Trend daraus abzuleiten. Vermutlich können sich Surfer erstmal über mehr Stürme freuen. Allerdings bedeuten mehr Stürme auf der einen Seite auch einen Ausschlag in die andere Richtung – es könnte also auch zunehmend längere windarme Phasen geben, so wie derzeit.
Wie sieht’s mit den Wassertemperaturen aus? Surfen wir im Sommer bald in Shorts über die Ostsee?
Dass die Sommer in Zukunft insgesamt trockener und wärmer werden und die Wassertemperaturen in der Nord- und Ostsee deutlich über 20 Grad erreichen, scheint ebenfalls erstmal positiv. Bereits heute ist die Nordsee im Schnitt 1,7 Grad wärmer als noch in den 60er-Jahren, weitere zwei Grad werden bis Ende des Jahrhunderts erwartet. Das ist ein massives Signal, zieht aber große Probleme nach sich: Plagen von Feuer- und Ohrenquallen, Algenblüten und so weiter, das dürfte die Freude am warmen Wasser trüben...
Viele der letzten Jahre waren an der Küste geprägt von einem milden, stürmischen Winter bis in den Januar hinein und einem heißen Sommer – Algen- und Quallenplagen inklusive. Das passt ins Bild, oder?
Ja, Jahre wie 2014 oder 2018 passen in der Tat perfekt ins Bild eines allgemeinen Trends und zeigt, was uns in Zukunft regelmäßig erwarten könnte. Ausgeprägte Westwindlagen im Winter mit viel Sturm, aber auch 20 bis 30 Prozent mehr Niederschlag als bisher, meist wohl als Regen. Andererseits längere, trockene und sehr windarme Perioden in den Sommermonaten. Aber auch in anderen Jahren des letzten Jahrzehnts gab es immer wieder lange Phasen, die gut in das Bild vom Klimawandel passen. Insgesamt gilt: Im Mittel ändert sich recht wenig, das gaukelt uns vor, es sei alles nicht so schlimm. Entscheidend werden die Extremwerte sein und diese werden in der Zukunft weiter zunehmen.
Also Durchsurfen im deutschen Winter und den windarmen Sommer auf den Kanaren überbrücken?
Da wäre ich vorsichtig. Die Kanaren werden ja vom Nordostpassat versorgt, dieser entsteht durch das stabile Azorenhoch, welches sich im Sommer normalerweise über dem Atlantik ausbildet. Wir beobachten in den letzten Jahren, dass das System nicht mehr so stabil ist, wie wir dies aus früheren Zeiträumen kennen. Auch hier ist der Betrachtungszeitraum noch zu kurz, um das mit Sicherheit sagen zu können, aber es deuten doch viele Beobachtungen darauf hin, dass dieses System zunehmend instabil wird und sich Wetterlagen einstellen, die völlig abstrus sind – Westwind statt starkem Nordostpassat und das mitten im Hochsommer, auch damit muss man in Zukunft vermehrt rechnen.
Die Kanaren verlieren ihren Ruf als Wind-Bank im Sommer?
Wie gesagt, für eine fundierte wissenschaftliche Aussage müssen wir uns das 30 Jahre lang anschauen. Aber es gibt Puzzleteile, die in ein bestimmtes Bild und Szenario passen. Auch auf den Kanaren wird sich im Mittel vermutlich wenig ändern, dafür die Extreme aber zunehmen. Das kann konkret bedeuten, dass man im August zwei Wochen in Pozo in der Flaute sitzen kann, aber auch dass der Passat extrem stark ausgeprägt sein kann. Die Unsicherheiten nehmen zu, damit muss jeder Surfer in der Zukunft leben.