Der Mann sieht wirklich aus wie Brian Talma! Aber genauso wie der Brian, den ich aus den Surfheften der 90er-Jahre kenne. Ich habe ihn wohl zu lange angestarrt, er schaut mich sehr ernst an. Was ist das? Ich werde 59 Jahre alt und der Mann müsste doch mindestens so alt aussehen wie ich?
Wenn man so alt ist wie ich und immer nur auf die Kanaren fliegt und sonst in „Cold Hawaii“ abhängt, kann man sich ja so einiges fragen. Also, so konnte es nicht weitergehen, und da meine Frau seit Jahren die Fernsehserie „Death in Paradise“ schaut, habe ich ihr kurzum und nicht ganz uneigennützig zum Geburtstag einen Flug in die Karibik geschenkt. Ich war recht erlöst, als sie von den französisch angehauchten Originaldrehorten dieser Sendung abließ, da sie sehr gut Englisch spricht und sich so dachte, dass Barbados als ehemalige britische Kolonie uns ja die Möglichkeit der Verständigung bieten würde. Außerdem würden wir um die französische Küche herumkommen, denn Essen ist ja ganz nett, muss bei uns aber nicht unbedingt stundenlang dauern, da gibt es bessere Möglichkeiten …
Barbados! Klar …da kann man sicher Windsurfen, denn daher kommt ja Brian Talma, und wer wie ich zur windsurfenden Silberlocke geworden ist, der kennt noch Brian Talma, Josh Stone oder Francisco Goya, die jungen Freaks der 90er, die dem Windsurfen die besten Impulse gaben.
Als wir in Barbados aus dem Flieger krabbeln und über den Flugplatz taumeln, wundere ich mich, dass wir offensichtlich direkt durch den Abwind der Turbine gehen müssen, bevor mir klar wird, dass wir uns schon lange von dem Flieger entfernt haben. Es ist der normale Wind auf Barbados! Meine Frau sagt: „Schau, es ist windig!“, und ich denke nur: „Bei der Hitze kann doch kein Mensch windsurfen!“
Am nächsten Morgen hängen dann auch noch Kites am Himmel von Silver Rock Beach, und wie soll ich eigentlich bei dieser Hitze in meinen Neo kommen? Gibt es hier überhaupt Windsurfmaterial? War das wirklich Brian Talma oder war das vielleicht sein Sohn? Warum hat der mich so ernst angesehen? Fragen über Fragen. Hätte ich doch El Medano gebucht … alles nur Kiter hier … Was soll ich als einziger Windsurfer unter den ganzen Kitern …?
Tags darauf gehe ich schon sehr früh und ganz verzweifelt an den windigen Strand, und ich erspähe einen Windsurfer! Russel hat 30 Jahre in England gelebt und will jetzt in seiner Heimat windsurfen. Wir reden sofort über sein neues Board und er erwähnt, dass er sich das Rigg von Brian geliehen hat. Russel ist heiß, aufs Wasser zu kommen und startet nach unserer Unterhaltung gekonnt durch den Shorebreak, der allerdings nicht anspruchsvoller als in Medano ist, und fährt auf die schönen Wellen über dem Riff zu.
Es hält mich gar nichts mehr, ich renne zu unserem Apartment, sage meiner Frau Bescheid, die richtig erlöst ist, dass bei dem alten Sack endlich der Knoten geplatzt ist und eile zur Surfstation von Brian, um alle weiteren Hemmnisse zu überwinden.
Doch Brian ist gar nicht da, er bringt gerade seine Kinder zur Schule und hat ein wenig karibische Verspätung, wie ich von dem jungen deutschen Paar erfahre, die bei ihm gleich am Anfängerunterricht fürs Kitesurfen teilnehmen wollen. Ich rate ihnen natürlich von diesem Sport ab, aber die Würfel sind schon gefallen. Sie erzählen mir im Gegenzug, dass mein neuer Windsurfkumpel Russel gestern Abend in einem heldenhaften (das habe ich hinzugefügt) Faustkampf am Strand das Windsurfen gegen gewisse Kitesurflocals verteidigt hat. So was ist aber gar nicht Brians Masche, wie er später einmal erklärt, denn er kommt kurze Zeit später mit einem breiten Lächeln um die Ecke.
Das ist wirklich Brian Talma, den ich am Strand getroffen habe. Der Bursche ist einfach topfit und hat den durchtrainierten Körperbau eines jungen Mannes. Aber er wird gleich mit Kitesurferfragen gelöchert, bis ich irgendwann dazwischen rufe: „Mr. Talma, is it possible …“
Er lächelt mich an, und da fallen alle meine Sorgen von mir ab, wir gehen zu seinem Boardlager und ich habe die freie Wahl. Russel kommt vom Wasser, teilt meiner Frau, die auch dazu gekommen ist, mit, dass ihm erst mal alle Knochen wehtun und supportet mich dann aber auch sogleich, indem ich sein Rigg von Brian übernehmen kann. Meinen bescheuerten Neo habe ich mal ganz schnell vergessen, ich greife nur mit meiner Badehose und einem ganz normalen T-Shirt an.
Was soll ich sagen? Mir war keine Sekunde kalt! Ich habe das erste Mal in meinem Leben in einer Badehose gewindsurft und ich habe nicht gefroren – herrlich! Ich will auch gar nicht mehr nach El Medano! Auch wenn ich mich in der Boardwahl vergriffen habe und Brian mir schnell ein anderes Board an den Strand gelegt hat, dieses Revier ist schon ein Träumchen: Nach 200 Metern fährt man über ein Riff durch eine Brandungszone, die aber unproblematisch ist, weil sich das Riff tief genug unter Wasser befindet. Hier ist das Wasser zwischen den Wellen sehr schön glatt gezogen. Ich bedauere es, dass der Wind nachlässt, hier wäre es heute perfekt für mich gewesen.
Meine Beach Culture World Tour möchte nachhaltigen Tourismus fördern und umsetzen.
Was man hier zum Windsurfen braucht, ist allerhöchstens eine gute Sonnencreme und eine Sonnenbrille. Beides würde ich unbedingt empfehlen, denn meine Hände sind am nächsten Tag ziemlich rot auf den Handrücken. Die hatte ich wohl vergessen. Meine Sportsonnenbrille habe ich hinten mit einem Gummiband am Kopf befestigt. Ohne Sonnenbrille ist das Licht an dem weißen Strand unglaublich grell. Dieser Strand heißt nicht umsonst „Silver Rock Beach“. Später kaufe ich mir noch ein „Wrestshirt“ mit langen Armen. Das ist auch nach dem Schwimmen oder Schnorcheln angenehm kühl auf der Haut und hat einen UV Faktor von 50+, da fällt das nervige Eincremen am Oberkörper weg.
Ja, aber warum sieht der Brian Talma eigentlich noch so jung aus und ich so alt? Diese Frage bewegt mich schon. Die Antwort bekomme ich von unserer Führerin durch ein altes Herrenhaus: „Wir Bajans sehen alle jünger aus, als wir tatsächlich sind!“ Der Beweis: Wir dürfen schätzen, wie alt sie ist. Ich tippe auf 21, weil wir schon erfahren haben, dass sie Abitur hat und noch weiter auf einer Schule war. Sie lacht sich kaputt und hat ihre große Freude, denn sie ist schon 30 Jahre alt! Also, die Bajans werden einfach nicht alt. Und wo wir schon bei den Bajans (Beijschans gesprochen) sind, man sollte unbedingt ihre selbst gemachte Limonade trinken, die gibt es in jedem Restaurant oder jeder Bar und wird mit viel Ingwer gemacht. Genau das, wovon ein überhitzter Gaumen träumt. Natürlich ist der Rumpunsch hier total lecker, aber es ist eben Alkohol, den man dann besser trinkt, wenn es abends dunkel ist oder man mit Alkohol so gut klarkommt, wie Philip Köster mit dem Doppelloop. Ansonsten gibt es unzählige Kleingewerbetreibende, die mit sehr bunten Mixturen durch die Straßen ziehen und aus diesen bunten Flaschen Drinks zaubern können, die optisch so verführerisch sind wie Rihanna, die auch aus Barbados kommt. Aber ich traue mich nicht.
Der Wind weht am nächsten Morgen weiter, diesmal bekomme ich von Brian eine Frühgleitausrüstung, Starship 115 und 6.3 m2 Segel. Es geht ganz herrlich los, ich fahre über das Riff auf die offene karibische See. Traumhaft. Die Sache reicht aber nur für kurze Zeit. Ich probiere es mit Warten, aber der Wind bleibt mau und die Kitesurfer freuen sich, für sie scheint es noch zu reichen. Brian kommt am Strand zu uns und zeigt uns eine Walfamilie, die hinter dem Riff ausgelassen aus dem Wasser springt. Es ist unglaublich, was diese riesigen Tiere da veranstalten.
Bislang hatte ich die Bedürfnisse meiner nicht windsurfenden Frau etwas vernachlässigt. Also ging’s am nächsten Flautenmorgen ab zum Schnorcheln nach Turtle Beach. Es ist aber wie verhext, diesmal nimmt der Wind nicht ab, sondern zu. Es knattert. Ich erspähe hier zwar eine Schildkröte beim Schnorcheln, aber die Strömung zwischen Strand und dem nahe gelegenen Riff ist durch den Wind so stark, dass das nichts für meine Frau ist. Ich werde immer unruhiger, sie kennt mich, ich muss schnellstens nach Silver Rock Beach zum Windsurfen gebracht werden. Am Strand fliegt der Sand, Brian reckt mir den Daumen entgegen. Nach kurzer Zeit sind wir bei seinem Boardlager, doch irgendwie hat sich etwas verändert: Der Wind lässt in diesem Augenblick nach. Ich gehe zwar noch raus, aber der Wind wird immer schwächer, sodass auch bald die Kiter vom Wasser kommen. Ist das mein Karma? Es folgt eine windlose Periode von einer Woche. Ja, und das nehme ich gleich vorweg: Genau am Abflugtag, kurz bevor es losgeht, kommt der Wind wieder.
Zu Hause in Halli trinken mein Kumpel Werner und ich immer ein paar Bier, wenn der Wind mal nachlässt und dann kommt er in der Regel ganz schnell mal zurück. Aber hier hilft das auch nix, dass ich abends einen Deputy (so heißt das einheimische Bier) nach dem anderen vernichte, die nächsten Tage kehrt der Wind nicht zurück und ich bekomme Ansätze einer Lebenskrise, wie immer, wenn ich länger nicht aufs Wasser komme. Wofür arbeite ich überhaupt, wenn es noch nicht mal mit dem Windsurfen klappt?
Ich bekomme Ansätze einer Lebenskrise, wie immer, wenn ich länger nicht aufs Wasser komme.
Ich denke darüber nach, ein Boot zu chartern, um aufs Meer zu fahren und ganz große Fische zu angeln, so wie mein Vorbild Ernest Hemingway im Buch „Inseln im Strom“. Ganz viele Drinks vernichten, Kampf mit einem großen Fisch. Der Männertraum kostet 1000 Dollar pro Person. Action!
„Teddy, drehst du jetzt völlig frei? Was willst du mit so einem großen Fisch überhaupt?“, fragt meine Frau, als ich ihr von dieser Idee erzähle. Ich behalte meine weiteren Überlegungen für mich und wir chartern eine Schnorcheltour in Ufernähe bei Captain Sheldon, der aussieht wie ein Pirat, aber mit 80 Piepen pro Person zufrieden ist und uns ganz allein eine wunderschöne Tour vor der Küste von Holetown beschert. Sheldon kennt sich aus. „Warum sind hier so viele Schildkröten, Sheldon?“ „We feed them …with fish. Hahaha …“ Sheldon ist eine ehrliche Haut. Nach diesem schönen Erlebnis gönnen wir uns dann doch eine Piña colada mit dem guten Bajan Rum am Strand – musste sein.
Wie sind wir an Sheldon gekommen und nicht auf so einem überfüllten Katamaran gelandet? Einfach die Jungs am Strand ansprechen. Die helfen dir weiter. Nix Internet.
Am nächsten Flautentag erkunden wir den Nachbarstrand von Silver Rock Beach, den legendären Silver Sands Beach, der nur durch eine Felsnase vom Silver Rock Beach getrennt ist. Hinter diesen beiden Stränden liegt ein wunderschöner Park mit Toiletten und Duschen. Als wir den Weg zum Strand einschlagen, versteckt sich dauernd eine Katze vor uns. Ich will sie sehen und laufe hinter ihr her, und da verwandelt sich das Tier in einen Affen, der auf eine Mauer springt und mir seine Zähne zeigt. Außerdem könnte ich schwören, dass er mir seinen Mittelfinger gezeigt hat. Aber es wird noch mystischer: Wir müssen über das Gelände eines verlassenen riesigen Resorts, welches vom Urwald überwuchert wird. Es ist alles noch da: Pool, Bar, der ehemalige Surfstore und lauter verlassene Apartments …und keine Menschenseele. Man kann am Strand aber ganz herrlich im Schatten sitzen und dabei Schildkröten beobachten, die immer wieder ihre Köpfe aus dem Meer strecken.
An diesem Strand ist keine Menschenseele, man freut sich schon, wenn mal ein Wanderer vorbeikommt. Das Resort ist zu verkaufen, wer will, kann die glorreichen Zeiten des Windsurfens an diesem Ort wiederbeleben oder was auch immer. Ich hoffe einfach, dass der Urwald die Oberhand behält.
Auch wenn wir hier wohl in dieser Gegend in einer recht verlassenen Ecke gelandet sind, gibt es unweit von Silver Sands das „Surfers Paradise“, eine sehr schöne Bar mit toller Livemusik, die abends dann auch gut besucht wird. Ansonsten muss man nach Oistins auf den Fischmarkt, dort machen die Bajans immer High Life und es gibt gegrillten Fisch für wirklich wenig Geld, weil die Portionen so riesig sind, dass man am nächsten Tag noch mal satt wird. Einfach einfrieren und am nächsten Tag in die Pfanne. Geht nix schief und schmeckt wieder hervorragend!
Das habe ich gelernt auf Barbados und deswegen bin ich auch nicht frustriert nach Hause geflogen, obwohl ich nicht so viel zum Windsurfen gekommen bin, wie ich mir erträumt hatte:
Text: Raban Cramer