Manuel Vogel
· 27.11.2022
Butterweiche Lattenrotation in Manövern oder knallhartes Racefeeling – Unterschiede zwischen verschiedenen Segel-Konzepten kann jeder spüren. Aber mit welchen Kniffen die Entwickler den Segeln ihre spezielle Charakteristik verleihen, wissen nur die Wenigsten. Ein Ausflug in die Welt von Loose Leech, Profiltiefe und Biegekurve und was das alles mit dem richtigen Trimm zu tun hat.
Wir versuchen herauszufinden, wie Segeldesigner ihren Kreationen die gewünschte Charakteristik verleihen: Wie muss ein Freemovesegel im Hinblick auf Vorliekskurve, Profiltiefe und Trimmkräfte designt werden, um sich möglichst leicht und spielerisch in Manövern anzufühlen? Wo liegen die Unterschiede zu einem sportlichen Freeridesegel? Und an welchen Stellschrauben muss man als Entwickler drehen, um daraus ein auf Speed und Kontrolle optimiertes Cambersegel zu machen?
Renato Morlotti, Segeldesigner bei GunSails und ein sehr erfahrener Entwickler, gewährte uns Einblick in seine tägliche Arbeit. Wir haben die wichtigsten Begriffe aus dem Segel-Design im Windsurfen Schritt für Schritt erklären lassen!
In diesem Artikel:
Was der Begriff bedeutet: Die Vorliekskurve beschreibt das Ausmaß der Mastbiegung, mit der das Segel designt wurde.
Welche Unterschiede man sieht: Die Vorliekskurve wird in der Regel umso markanter, je leistungsorientierter ein Segel designt wurde. Am Vergleich der drei Segeltypen Torro (Freemove), Stream (Freeride) und Exceed (2-Cam Freerace) kann man die Unterschiede exemplarisch gut erkennen: Das Torro kommt mit vergleichsweise geringer Vorliekskurve aus, diese nimmt dann über das Modell Stream bis hin zum Cambersegel Exceed immer weiter zu. Aber was sind die Gründe dafür?
Was der Designer sagt: „Die Vorliekskurve hat großen Einfluss darauf, wie sich das Segel auf dem Wasser anfühlen wird: Man muss sich vorher bewusst machen, auf welchem Mastdurchmesser – SDM oder RDM – das Segel funktionieren soll, in welchen Bedingungen es verwendet wird und welche Materialien für die Konstruktion des Segels eingesetzt werden sollen. Ein Freemovesegel wie das Torro zum Beispiel, soll leicht in Manövern sein und sich angenehm gedämpft anfühlen – das erfordert die Verwendung eines dünnen und damit weicheren RDM-Masts sowie softer Materialien, z.B. gegittertem XPly-Material in 3-Mil Stärke und Dacrontuch. Passend dazu muss ich auch die Vorliekskurve anpassen und mit wenig Biegung arbeiten, denn viel Kurve würde bedeuten, dass sich das Segel straff anfühlt, höhere Trimmkräfte hat und der Mast in die enge Masttasche des Torro nur mühsam eingefädelt werden könnte. Die Kombination aus wenig Kurve und weichen Materialien sorgt dann bei einem Freemovesegel für jenes leichte, handliche und easy zu riggende Konzept mit geringen Trimmkräften.
Segel mit geringer Vorliekskurve sind auch deutlich unproblematischer bezüglich der Verwendung des richtigen Masts – in das Torro (oben im Bild links) kann man quasi jeden Mast unserer Kollektion reinstecken. Ein Freeridesegel wie unser Stream ist verglichen damit mit mehr Vorliekskurve ausgestattet. In Verbindung mit der Verwendung steiferer Materialien wird das gesamte Segelkonzept straffer abgestimmt, was den Einsatzbereich etwas mehr in Richtung Performance verschiebt und für ein definierteres Profil sorgt. Je stärker die Vorliekskurve also gebogen ist, desto besser kann das Segel das Profil auch bei viel Wind halten und desto druckpunktstabiler bleibt es.
Folglich muss ein Freeracesegel mit Cambern, z.B. unser Modell Exceed (oben im Bild rechts), mit noch mehr Kurve designt werden. Um genügend Spannung ins Profil zu kommen, verwenden wir bei den raceorientierten Segeln dann auch die steiferen Masten mit Standard-Durchmesser (SDM). Wir reden hier über einige Zentimeter Unterschied bei der Vorliekskurve zwischen einem Freemovesegel und einem leistungsorientierten Freeracesegel. Das hört sich vielleicht wenig an, ist aber in der Praxis eine Welt!“
Was der Begriff bedeutet: Der englische Begriff „Loose Leech“ bedeutet übersetzt „lockeres Achterliek“. Er bezeichnet das Phänomen, dass sich das Achterliek (die hintere Seite des Segels) umso mehr entspannt, je stärker man das Segel am Vorliek trimmt.
Welche Unterschiede man sieht: Freemovesegel kommen in der Regel mit sichtbar weniger Loose Leech aus als leistungsorientierte Konzepte. So sind bei korrektem Trimm beim Freemovesegel Torro die Falten nur zwischen den oberen beiden Segellatten zu sehen, der Rest des Achterlieks ist straff gespannt (2). Beim Cambersegel Exceed laufen die Falten nicht nur sichtbar weiter bis nach vorne zum Mast, hier ist auch nahezu das gesamte Achterliek vom Segeltopp bis hinunter zum Schothorn entspannt. Was hat es damit auf sich?
Was der Designer sagt: „Das Loose Leech hat direkten Einfluss auf Faktoren wie Beschleunigung, Top-Speed und vor allem die Kontrolle bei viel Wind. Erzeugen lässt sich das Loose Leech über das Ausmaß der Mastbiegung und auch die Art, wie die einzelnen Bahnen des Segels vernäht werden. Das Profil wird ja auch dadurch erzeugt, dass die einzelnen Bahnen nicht platt, also zweidimensional, vernäht werden, sondern quasi unter Spannung. Darüber kann ich also steuern, welche Bereiche des Segels viel Spannung bekommen und welche entspannt werden. Je mehr Loose Leech ein Segel hat, desto besser kann sich das Segeltopp beim Surfen nach Lee wegdrehen, wodurch überschüssige Energie abgelassen wird. Bei Freemovesegeln wie dem Torro kommt es mir in erster Linie auf frühes Angleiten und ein gedämpftes Fahrgefühl an, deshalb verpasse ich diesem Modell vergleichsweise wenig Loose.
Aber je mehr ein Segel darauf ausgelegt ist, über eine große Windrange und in Kombination mit sportlichen Freerace- oder Slalombrettern zu funktionieren, desto mehr Loose Leech bekommt es auch verpasst. Aus diesem Grund haben unsere Modelle, beginnend vom Freemovesegel Torro, über das Freeridesegel Stream bis hin zu den Cambermodellen, sukzessive immer mehr Loose Leech. Wichtig ist dabei, dass es für den Endkunden einfach bleibt, den richtigen Trimm zu finden. Wir kleben daher in jedes Segel unsere Markierung, „FRED“ genannt. Beim Trimmen des Vorlieks soll das Loose Leech genau bis zu dieser Markierung laufen, dann passt alles. Jetzt dürfte also klar sein, warum die Trimmmarkierung bei Freemovesegeln wie dem Torro weit oben und nur etwa auf halbem Weg zwischen Mast und Achterliek sitzt (siehe Bild oben) und bei raceorientierten Segeln deutlich weiter unten und vorne (3
Was der Begriff bedeutet: Der „Druckpunkt“ lässt sich, vereinfacht gesagt, als das „Kraftzentrum“ beschreiben. Bei einem gut getunten Rigg befindet sich der Segeldruckpunkt etwa auf Kopfhöhe und zwischen den Händen des Surfers. Die Lage des Druckpunkts wird durch den Profilverlauf bestimmt.
Welche Unterschiede man sieht: Wo sich der Druckpunkt eines Segels befindet, kann man nicht sehen, aber spüren. Wer sein Segel dichtholt und mit gleichmäßigem Zug auf beiden Armen surft, hat den Druckpunkt normalerweise zwischen den Händen. Sitzen die Trapeztampen in der richtigen Position, kann man beide Arme gleichmäßig entlasten. Spürt man z.B. stärkeren Zug auf der hinteren Hand, bedeutet dies nichts anderes, als dass der Druckpunkt hinter dem Mittelpunkt der Trapeztampen liegt – durch Verschieben der Tampen nach hinten kann man dies korrigieren.
Während die genaue Druckpunktlage am Strand erst mal verborgen bleibt, sind die unterschiedlichen Profilverläufe der einzelnen Segeltypen sofort erkennbar. Manöverorientierte Segelkonzepte (Wave, Freemove) haben einen recht flachen Profilverlauf. Nur in der unteren Segellatte ist etwas Profil, der Rest der Latten steht oft kerzengerade im Segel (siehe Bild oben). Freeridemodelle wie das Stream sind da schon sichtbar bauchiger designt, die Cambermodelle erinnern dann stark an einen Flugzeugflügel mit starr vorgeformtem und tiefem Profil (siehe Bild unten). Um die Camber unterzubringen, müssen hier die Masttaschen breiter ausfallen. Das Manko: Hier sammelt sich Wasser/Gewicht, was das Wasserstarten im Vergleich zu camberlosen Segeln erschwert.
Was der Designer sagt: „Wie ich bereits angedeutet habe, entsteht immer dann Profil im Segel, wenn man die Bahnen „auf Spannung“ vernäht. Dieses Prinzip wendet man sowohl beim horizontalen Design, also beim Vernähen der einzelnen Bahnen an, als auch im Rahmen des vertikalen Design beim Vernähen des Segelkörpers an der Masttasche. Segeldesign ist also durchaus eine komplexe Sache. Ich persönlich versuche immer, die größte Profiltiefe und damit den Segeldruckpunkt nicht zu weit nach hinten zu bringen, also den Segeln nicht zu viel Zug auf der Segelhand zu verpassen. Beim Angleiten bekäme man dann zwar etwas mehr Druck auf die Finne, bei stärkeren Böen wird es aber auch schneller unkontrolliert. Ein weiter vorne liegender Druckpunkt ist diesbezüglich komfortabler und resultiert in guter Kontrolle.
Generell unterscheidet sich die Druckpunktlage in Querrichtung (zwischen Mast und Gabelbaumende) relativ wenig, wenn man die unterschiedlichen Modelle vergleicht: Wer von einem 6,5er Freemovesegel auf ein 6,5er 2-Cam-Segel wechseln würde, müsste die Trapeztampen kaum an der Gabel verschieben, da der Druckpunkt fast an der gleichen Stelle liegt. Größer sind die Unterschiede bezüglich der Druckpunktlage in senkrechter Richtung: Ein Freemovesegel hat nur in den unteren beiden Latten etwas Shape, dementsprechend liegt der Druckpunkt hier weit unten, was dem Manöverhandling zugutekommt. Bei Freeride- oder gar Cambersegeln reicht das Profil deutlich weiter nach oben, erst im Topp werden die Latten flach – der Druckpunkt liegt hier also deutlich höher.