Julian Wiemar
· 15.10.2022
Mitten auf dem Weg an die Weltspitze hat der 18-jährige Lennart Neubauer sich am Knie verletzt. Die Unklarheit über die Verletzung und die wiederkehrenden Rückschläge hätten ihn kurzzeitig fast aus der Bahn geworfen. Doch er hat gelernt, mit Höhen und Tiefen umzugehen. Er trainiert wahrscheinlich so hart wie kein anderer – und ist nun schnurstracks auf dem Weg zum Ziel.
Es ist Mittwoch, halbsechs. Lennart hat erst jetzt Zeit für meinen Anruf, er war noch beim Training. Verbindung wird hergestellt... plöpp – da ist er, pünktlich tritt Lennart ein. Doch er scheint noch zu kauen. Mit vollem Mund begrüßt er mich: „Sorry, hatte noch keine Zeit zu essen, war ein langer Tag.“ Ich dachte, er wäre verletzt und wüsste gar nicht, wohin mit seiner ganzen Zeit an Land. Junge Surfprofis wissen doch manchmal generell nichts mit sich anzufangen, wenn sie nicht aufs Wasser können. Doch nicht so Lennart. Am anderen Ende der Leitung sitzt ein ruhiger, ausgeglichener junger Mann, der jedoch sichtlich begeistert vom aktuellen Stand der Dinge wirkt. Die weiße Red Bull Cap tief ins Gesicht gezogen hängt er lässig im Sofa und kaut grinsend zu Ende. Die Locken, die unter der Cap zum Vorschein kommen, sind dunkel und nicht mehr von Sonne und Salzwassser so blond gebleicht.
Kein Wunder, denn Lennart trainiert aktuell hauptsächlich an Land. Während er den letzten Bissen runterschluckt, knüllt er die Verpackung seines Snacks zusammen, richtet sich auf, nimmt einen Schluck Wasser und schaut jetzt ernst in die Kamera: so gradlinig, irgendwie. Tief hinter der Cap sehe ich zwar immer noch den schelmischen, windsurfverrückten und blonden Lockenkopf, den ich zusammen mit seiner Mutter Iris als 12-Jährigen bei einem seiner ersten Europacups kennengelernt habe. Doch er ist irgendwie nicht nur einfach gereift, er wirkt gerade wie ein richtig alter, weiser Mann, dem alle zuhören wollen – aber im Körper eines durchtrainierten 18-Jährigen steckt. Ich möchte ihm jetzt auch zuhören und bin gespannt, was er zu erzählen hat.
Alles gut so weit, danke. Ich bin gerade wieder in Österreich, in Thalgau bei Salzburg. Hier befindet sich das Red Bull Head Quarter und das sogenannte APC, das steht für Athlete Performance Center.
Genau. Ich möchte endlich wieder richtig aufs Wasser und dafür gebe ich gerade alles. Aber das Training an Land macht hier momentan echt Spaß, der tägliche Fortschritt fühlt sich richtig gut an. Und ich fühle mich hier umgeben von den professionellen Trainern und den ganzen anderen Red Bull Athleten auch sehr wohl. Einer meiner Trainer, der ist sogar selbst Windsurfer – der kann ‘nen Spock, kein Witz!
Also, um sieben geht der Wecker, dann geht’s raus aus den Federn und zum Frühstück. Das geht so gegen halbacht los. Da gibt’s super gesundes, leckeres Frühstück. Aber ich muss mich beeilen, denn um Punkt halbneun kommt der Shuttle, der die Athleten zum Training fährt: also, schnell wieder hoch, die Sachen fürs Training holen...
(lacht) Na gut, aber ich sag dir, die Tage hier sind sowas von professionell strukturiert. Besser kann man gar nicht behandelt werden. Und das Schöne ist, ich bin in solch einer guten Routine und fühl mich hier somit mittlerweile fast wie zu Hause. Na ja, aber ist ja auch schon mein drittes Mal hier.
Insgesamt schon über drei Monate, mit ein paar kleinen Unterbrechungen.
Ah ja, genau. Also, die drei Haupteinheiten des täglichen Trainings sind: mentales Training, Kraftraum und Physiotherapie mit Massagen. Die Einheiten dauern jeweils eine bis zu zwei Stunden.
Nein, keinesfalls. Ich bin froh, wenn ich am späten Nachmittag dann mal etwas Freizeit habe (lacht). Dreimal die Woche habe ich dazu auch noch Einheiten beim Ernährungsberater. Da machen wir sogar Kochkurse und so, wir gehen zusammen in den Supermarkt, und er zeigt mir, was ich einkaufen soll – und wovon ich lieber die Finger lasse. Das ist besonders auf Reisen manchmal gar nicht so einfach, sich da essenstechnisch zurecht zu finden. Oder auf langen Flugreisen, kurz vor einem Wettkampf. Da gibt er mir super wertvolle Tipps.
Tatsächlich letzten Freitag. Starboard und Severne haben mir spontan Material hierhergeschickt. Das Knie ist mittlerweile schon so weit, dass die Trainer mir das Go gegeben haben, mich in einer Einheit jeden Freitag hier auf dem Fuschlsee ein wenig auszutoben. Aber was heißt austoben, hier ist ja kaum Wind und zum Double Air Culo oder so darf ich noch keinesfalls ansetzen. So weit sind wir noch nicht. Aber nur schon ein Segel in der Hand zu halten, das Wasser unter einem rauschen zu hören und ein bisschen im Leichtwind zu tricksen, gibt mir momentan so viel. Einmal war ich sogar kurz im Gleiten, das erste Mal seit über fünf Monaten. Das war der absolute Hammer. Ich kann‘s kaum erwarten, bis ich wieder Manöver springen darf. Nur schon ein simpler Spock wird mir bestimmt fast so viel Freude bereiten – wie damals der erste.
Nach dem ursprünglichen Skate-Unfall auf der Miniramp beim Worldcup in Marseille letztes Jahr im November, bei dem ich mir das Knochenmarködem zugezogen habe, waren eigentlich alle erleichtert, dass es nicht die Kreuzbänder sind – und somit zuversichtlich, dass ich schnell wieder fit werde. Die erste Diagnose zurück in Griechenland lautete: Drei Wochen etwas ruhig halten und dann kannst du wieder aufs Wasser. Da kann ich jetzt, ein knappes Jahr später, nur drüber schmunzeln.
Ja, humpelnd, und da kann ich heute auch nur drüber schmunzeln – wie naiv ich war. Ich habe die letzten Monate einfach so viel dazu gelernt.
Ich hatte höllische Schmerzen nach der Session, habe pausiert und bin wieder ins MRT. Das Ödem hatte sich vergrößert. Das haben die aber nicht erkannt, das hat sich erst im Nachhinein, Monate später herausgestellt. Und dadurch hat sich alles so verzögert. Da wir sozusagen nichts von der Verschlimmerung im Knochen wussten, habe ich dem Knie einfach immer wieder etwas Zeit gegeben. Habe Physiotherapie gemacht – und bin ab und zu vorsichtig surfen gegangen.
Nach einem dreitägigen Sturm und ein paar Hammer Wavesessions auf Naxos konnte ich nicht mehr laufen. Ich bin also wieder ins MRT, aber dieses Mal schickten wir das Bild an einen Spezialisten. Der setzte dann den Schlussstrich, da das richtig gefährlich werden kann, wenn ein Knochen solange ein Ödem hat. Im schlimmsten Fall stirbt der Knochen ab, da die Blutzufuhr zu gering ist. Erst jetzt wurde es sehr ernst.
Ne, erst ein paar Wochen später, als wir gemerkt hatten, dass es wieder nicht besser und keinesfalls ohne OP klappen wird. Der Knochen wird bei der OP an verschiedenen Stellen angebohrt, um frisches Blut und somit auch Sauerstoff einfließen zu lassen. Der Heilungsprozess ging von vorne los – wie sich herausstellte, war das aber die einzig richtige Entscheidung. Nun ja, und jetzt bin ich hier: fit wie ein Turnschuh und mit Hilfe des Teams von Red Bull auf bestem Wege, das Knie wieder auf einhundert Prozent zu kriegen. Das sind hier die besten Trainer und Physiotherapeuten weltweit, ich vertraue ihnen voll und ganz.
Das ist in meinem Fall nicht nur eine Floskel! Ich komme doppelt so stark zurück!
Puh, nicht nur an einem, es waren mehrere, das kann ich dir aber sagen. Ich war oft total am Ende. Besonders direkt nach der OP. Monate lang war ich davor immer so irgendwo bei fünfzig Prozent – mal ging mehr, mal weniger. Und dann wache ich im Krankenhaus auf und kann mein Bein weder anheben – geschweige denn belasten oder bewegen. Ich wusste, jetzt geht’s wieder bei null los. Es gab Momente, da dachte ich mir, wie soll das jemals wieder gut werden? Wie soll ich jemals wieder zum Double Forward ansetzen können? Aber aufgeben kam trotzdem nicht in Frage, dafür liebe ich Windsurfen und den Wettkampf zu sehr. Ich möchte nach wie vor an die Weltspitze und eine erfolgreiche, sportliche Karriere im Windsurfen hinlegen.
Absolut! Seit der OP geht wirklich jeden Tag ein bisschen mehr – das ist ein tolles Gefühl. Dieser messbare Prozess ist gut für den Kopf. Mein 5.2er hat sich letztens auf dem See angefühlt wie ein 4er Segel. Ich glaube, ich bin also auch generell ein ganzes Stück stärker geworden. Denn wir trainieren hier ja nicht ausschließlich das Knie.
Eine konstante Balance zu halten, ich denke, darauf kommt es an. Und das gilt nicht nur für das Training
Nein, ganz und gar nicht. Ich bin mittlerweile sehr fokussiert. Das war zu Beginn, vor der OP, manchmal nicht so einfach. Aber die mentalen Trainingseinheiten und der Austausch mit anderen verletzten Athleten hier im APC haben mir sehr gut geholfen. Ich würde sogar fast so weit gehen und sagen, dass das Mentale nach solch einer Verletzung oft wichtiger ist als das Physische. Die Gedanken fangen schnell mal an zu kreisen: Warum bloß ich? Warum war ich auf der Miniramp? Was verpasse ich eigentlich gerade alles auf dem Wasser? Und dann zu versuchen, sich mit Social Media abzulenken und zu sehen, dass die anderen gerade alle auf dem Wasser sind und neue Manöver zelebrieren, hilft überhaupt nicht. Manöver zu visualisieren ist ein großer Teil der mentalen Trainingseinheiten, aber ich habe lange Zeit nicht geschaut, was die anderen machen – also, wirklich gar kein Social Media, das bringt nichts. Ich bin jetzt immer viel mehr bei der Sache, bei dem, was ich gerade tue – bei dem, was gerade ansteht. Mir wird jetzt im Nachhinein bewusst, dass ich da auch echt etwas fürs Leben gelernt habe. Diese mentale Stärke, denke ich, wird mir in Zukunft viel bringen.
(lacht) Ne, das Abi war kein Problem. Das hätte ich auch ohne die Verletzung geschafft – und das weiß meine Mama auch.
Ja, in zwei Wochen fliege ich nach Hause und mache dort den Lappen. Mitte Oktober komme ich wieder nach Österreich – dann zum ersten Mal mit meinem Van und dem ganzen Surfmaterial. Denn es wird im Oktober nur noch darum gehen, die letzten zehn Prozent herauszukitzeln. Und wieder komplett fit für die extremsten Manöver auf dem Wasser und das anschließende Wintertraining in Tarifa und Südafrika zu werden.
Ich möchte Freestyle-Weltmeister werden! Ich setze mir gerne hohe Ziele, warum also nicht schon nächstes Jahr?
Vom Freestyle! Wenn ich an Windsurfen denke, denke ich zu achtzig Prozent an Freestyle. Und das vermisse ich auch am meisten. Danach kommt direkt Wave. Foil und Tow-in mache ich natürlich auch gerne, aber eher so nebenbei. Wingen habe ich aktuell ein bisschen aus den Augen verloren. Das hatte mich damals nicht so gepackt.
Ich möchte Freestyle-Weltmeister werden! Ich setze mir gerne hohe Ziele, daher sage ich, warum nicht nächstes Jahr? Und ja, ich werde Vollprofi. Das Studium kann erstmal warten. Ich habe dank meines Sportlerstatus in Griechenland die Möglichkeit, an jeder Universität zu studieren – was ich will. Da habe ich also überhaupt gar keinen Druck. Jetzt ist erst mal zu hundert Prozent meine sportliche Karriere angesagt.
Genauso ist es. Ich fahre eine sehr gerade Linie, mit einem klaren Ziel vor Augen. Durch die Hoch- und Tiefpunkte im letzten Jahr habe ich gelernt, mich nicht zu sehr zu freuen, wenn etwas gut läuft. Und mich dafür auch nicht zu sehr runterziehen zu lassen, wenn’s mal nicht so gut läuft. Diese konstante Balance zu halten, ich glaub, darauf kommt es an. Das bringt einen langfristig am weitesten – nicht nur im Profisport, sondern allgemein im Leben.
Inzwischen ist Lennart Neubauer wieder auf dem Wasser und zeigt bei Instagram die ersten Freestyle-Moves:
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.