Mitte September kam in der Schweiz alles zusammen: Eine paar der besten Freestyler der Welt, die bereits für den Foil- und Tow-In-Contest der FPT in Genf angereist waren, trafen zufällig auf einen kernigen Bisensturm bei sommerlichen Temperaturen. Mit dabei war der talentierte Fotograf Boris Ackermann, der das Spektakel bei herrlichem Licht stimmungsvoll einfing.
Ich war ziemlich beeindruckt – es hat richtig geknallt. Die Welle war ordentlich und die Jungs und Mädels haben echt eine beeindruckende Show aufs Wasser gezaubert. Ein toller Start in den Herbst. (Boris Ackermann)
Im Winter ist sie feucht, eiskalt und besonders biestig, im Sommer hingegen bringt die Bise trockene Luft und der Jahreszeit entsprechende Temperaturen mit sich. Es handelt sich um einen nordöstlich wehenden Wind, der sich über dem Mittelland der Schweiz zwischen Jura und Alpen quetscht und durch diesen kanalisierenden Effekt insbesondere in der Region des Genfersees deutlich an Geschwindigkeit gewinnt. Durch die gestreckte Form des Sees nach Nordost entstehen bei starkem Wind fette Sprungrampen (oder „See-Klopfer“, wie Balz Müller sie liebevoll nennt), was den Schweizer Windsurfern immer wieder kernige Bump-and-Jump-Bedingungen beschert.
Was gibt es besseres, als die Freestyle-Elite an solch einem Surftag in seinem Heimatland zu haben. Das war immer schon mein Kindheitstraum. 4.0er Segel und fette See-Klopfer - das sind die Tage, für die ich lebe. (Balz Müller)
Freuen können die Binnensurfer sich dann, wenn sich ein Hochdruckgebiet über dem nördlichen Teil von Mitteleuropa festsetzt und parallel ein Tiefdruckgebiet über dem Mittelmeer kreiselt. Die Schweiz liegt dabei genau zwischen den beiden Druckeinflüssen und wird von einer konstanten Nordostströmung belüftet. Je stärker die Tiefdruckaktivität im Mittelmeerraum ist, desto strammer wird die Bise. Im Westen der Schweiz, im „Windkanal“ zwischen Jura und Alpen, kann diese durchaus Sturmstärke erreichen, während zur selben Zeit in der Deutschschweiz moderate 20 Knoten auf der Messung stehen.
Allerdings freuen sich die normalsterblichen Wassersportler auf solch eine Wetterlage nur während der Sommermonate, da die Bise im Winter eiskalte Luft aus dem Nordosten mit hoher Feuchtigkeit mit sich bringt und gleichzeitig verhindert, dass die vom Atlantik kommenden Tiefdruckgebiete über Mitteleuropa zirkulieren können. Diese sorgen für vergleichsweise milde, surfbare Temperaturen, während die Bise häufig Balz Müllers Gabelbaum auf dem Wasser einfrieren lässt. Als im September die Fotos in der Bilderstrecke entstanden, war die von Nordosten herbeiströmende Kontinentalluft noch angenehm warm und Balz konnte es mit Kurzbein-Neo und ausreichend Grip am Gabelbaum über mehrere Stunden mit seinen Freunden so richtig krachen lassen.
Vor dem Foilstyle- und Tow-in-Event der Freestyle Pro Tour in Genf hatten wir fünf Tage am Stück Vollgas-Bise, circa 30–40 Knoten Ostwind. Am letzten Tag der Windphase sind diese tollen Bilder am Genfersee entstanden. Gibt es etwas Besseres, als zufällig die Freestyle-Elite an solch einem Surftag in seinem Heimatland zu haben? Ich glaube nicht, denn das war immer schon mein Kindheitstraum. 4.0er-Segel und fette See-Klopfer – das sind die Tage, für die ich lebe. Endlich konnte ich meinen Freunden das Potenzial unserer Schweizer Seen zeigen. Ich meine, wir kriegen hier hin und wieder echt fette Bedingungen – damit müssen wir uns keineswegs verstecken.
Die Wellen waren an diesem Tag teilweise gut schulterhoch und man kann in der Mitte des Sees mit vollem Speed auf sie zuhalten und sich zu jedem vorstellbaren Trick in die Luft schleudern. Dabei die Weltelite im Freestyle um sich herum zu haben, das war einfach der Wahnsinn und ein Extra-Motivationsschub, seine Komfortzone zu verlassen. Direkt auf dem ersten Schlag nach draußen schrie Lennart Neubauer mich an: „Shifty Darkside, Shifty Darkside!“, was so viel bedeutet, wie den Trick auf seine schlechtere, „dunkle“ Seite zu versuchen, sprich, jeder hat bei solchen Sprüngen eine Schokoladenseite und eine eher ungeliebte. Die „Darkside“beschreibt Letzteres. Und siehe da, durch Lennarts Motivation habe ich den Shifty sofort auf meiner „Darkside“ mit dem rechten Fuß vorne gelandet. Ich merke immer wieder, es braucht gar nicht viel, um seine Komfortzone zu verlassen. Es kommt dieser Punkt, da fühlt man sich unzerstörbar und man haut sich einfach raus. Man muss sich dabei nur wohlfühlen, dann pusht man sich so richtig.
Und das war bei uns an diesem Tag definitiv der Fall. Wir schmissen uns in Doppelloops, Double Air Culos und so weiter … Ich hatte kurz das Gefühl, der dreifache Culo in der Luft würde auch gehen – der wird sicherlich bald kommen. Es war einer dieser Tage, an denen man das Limit verschiebt und die Möglichkeit hat, den Sport weiter zu pushen. Und wenn das dann noch jemand wie Boris Ackermann mit der Kamera festhält, dann kommt wirklich alles zusammen. Boris ist den Strand hoch- und runtergelaufen, von links nach rechts, der war zu einhundert Prozent bei der Sache, und das bei voller Dröhnung der Bise.
Die „fiese Bise“ oder „Krise mit der Bise“, wie wir sagen. Der Genfersee ist bei Bise etwas ganz Spezielles, der ist riesig. Der Wind hat durch die längliche, nach Nordost ausgerichtete Form des Sees fast 60–70 Kilometer Zeit, eine ordentliche Welle bis nach Genf aufzutürmen. Man fühlt sich da draußen bei so viel Wind dann fast wie auf dem Meer. Das ist vielen Leuten gar nicht bewusst, dass man in der Schweiz echt saftige Bump-and-Jump-Bedingungen abkriegen kann, auch wenn speziell die Bisenwinde eher selten vorkommen. Ich würde sagen, die Starkwindtage aus Nordost in diesem Jahr kann man an einer Hand abzählen. Aber es gibt ja auch noch die „normalen“ Westwindstürme und den Föhn. Meistens stattet die Bise uns im tiefen Winter, in Kombination mit unfassbar kalten Temperaturen, einen Besuch ab. Es war also umso schöner, dass es an diesem besonderen Tag im September noch angenehm warm war. Dazu kommt im Süden des Sees diese imposante Kulisse vor der Stadt, wo dann auch ab und an mal ein altes Dampfschiff mit einer großen Schweizer Flagge durchpflügt. Was für eine Szenerie und was für ein geiler Spielplatz! Wirklich. Ich war hin und weg.
Als ich abends ins Bett ging, hat sich alles gedreht und mein Schädel brummte von den vielen missglückten Doppelloop-Versuchen. Ich dachte, wenn morgen wieder Wind sein sollte, habe ich keine Chance im Contest – ich würde es vielleicht nicht mal aufs Brett schaffen. Doch die Bise schlief wie angekündigt über Nacht ein. Am nächsten Tag war das Wasser spiegelglatt. Und schon machte sich die Vorfreude auf den nächsten Sturm breit. Ich kann es kaum erwarten, bis die fiese Bise sich wieder bei uns blicken lässt.