Justine Lemeteyer“Wir gelten in Frankreich als Spitzensportler” - die WM-Favoritin im Interview

Tobias Frauen

 · 06.11.2024

Justine Lemeteyer dominiert den Foil-Slalom im World Cup - auf Sylt war sie fast unschlagbar
Foto: Carter/pwaworldtour.com
Wer gleich bei seinem World Cup-Debüt Vizeweltmeisterin wird, kann sich durchaus hohe Ziele setzten. Justine Lemeteyer dominiert derzeit die Foil-Wertung und kann in Japan ihren ersten WM-Titel holen. Die Französin kombiniert in diesem Jahr Können mit mentaler Stärke - und das mit gerade einmal 22 Jahren! Was der Schlüssel dazu ist, warum das nicht immer so war und warum sie ein Bild von Marion Mortefon in ihrem Zimmer hatte, erzählt sie im Interview.

World Cup Sylt 2024, einer der sonnigen Flauten-Tage. Seit Tagen haben wir Justine Lemeteyer ganz genau im Blick. Nicht nur, weil die Französin bislang fast alle Foil-Rennen bei den Damen gewonnen und hat, sondern auch weil sie ihr Material genau vor dem surf-Stand auf der Promenade lagert und vorbereitet. Die 22-Jährige ist entspannt, hat immer ein Lächeln im Gesicht und auf dem Wasser keine Probleme mit dem Algen-Pudding, der viele andere Fahrerinnen und Fahrer hier ausbremst. Als wir uns mit ihr zum Interview treffen, läuft gerade ein Kartenspiel zwischen den Französinnen. Da Justine dabei offenbar nicht annähernd so erfolgreich ist wie auf dem Renn-Kurs, sitzt sie schon kurze Zeit später im surf-Zelt.

Top-Resultate dank Mental-Training

Hier auf Sylt hast du eine ziemlich beeindruckende Leistung gezeigt, du scheinst im Moment sehr im Flow zu sein.

Ja, es lief wirklich gut, ich hatte einen guten Speed und die Halsen waren auch gut, beides zusammen hat den Unterschied gemacht. Ich bin sehr happy, wie die Woche gelaufen ist!

Du bist sehr ruhig und fokussiert. Auch wenn du nach dem Start nicht in Führung lagst, hast du ein oder zwei perfekte Halsen hingelegt und bist dann den anderen davongefahren.

Ich denke, das ist der Hauptunterschied zum letzten Jahr. Ich habe Vertrauen in mich selbst und in mein Können gewonnen. Ich habe mit meinem Vater und meinem Mentaltrainer einige Dinge gemacht, die mir helfen, mich auf jedes Rennen zu konzentrieren. Ich muss mir bewusst machen, was ich kann, und das gibt mir Selbstvertrauen.

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Was hast du genau gemacht?

Vieles, um mich in den Rennmodus zu versetzen, kleine Rituale, die ich vor dem Rennen durchführe, um den Fokus zu bekommen. Ich habe ein Protokoll, was ich morgens zu tun habe, ein Aufwärmprogramm direkt nach dem Aufstehen, kalte Duschen - es sind viele kleine Dinge wie diese, die mir jedes Mal helfen, den Fokus zu finden. Ich mache das jetzt seit fast einem Jahr und es beginnt sich auszuzahlen!

Ich weiß jetzt, was für mich mental funktioniert. Aber es ist wirklich schwer, das durchzuziehen.”

Was ist der wichtigste Schlüssel dabei? Immer nur von Rennen zu Rennen zu denken?

Ja, auf jeden Fall! Seit eineinhalb Jahren habe ich einen Mentaltrainer, und wir haben an vielen kleinen Dingen gearbeitet. Zum Beispiel konnte ich 2022 in Japan in der Nacht vor dem Event nicht schlafen und nichts essen. Das ist nicht gut, wenn man einen Wettkampf bestreitet, und wir haben viele Punkte gefunden... Es ist sehr schwer zu erklären, was in meinem Kopf vorgeht (lacht). Man muss sich selbst sagen, dass man ruhig bleiben und sich entspannen soll. Es ist wie beim physischen Training, man muss sich selbst antrainieren, all diese Dinge im Kopf zu tun, damit es funktioniert. Ich glaube, das zahlt sich jetzt langsam aus. Ja, ich fühle mich ruhig und zuversichtlich - das macht einen großen Unterschied.

Vor Sylt habe ich mich anders gefühlt als sonst. Normalerweise habe ich Angst davor, schlecht abzuschneiden, aber dieses Gefühl hatte ich nicht, ich war einfach zuversichtlich, dass ich gut fahren werde. Ich weiß jetzt, was für mich mental funktioniert. Aber es ist wirklich schwer, das durchzuziehen, denn in jedem Rennen muss man sich selbst ein bisschen unter Druck setzen, auch wenn ich viel gewinne. Es ist eine neue Situation, in der ich mich darauf konzentrieren muss, beim nächsten Rennen gut abzuschneiden und mich nicht zu sehr zu entspannen. Ich muss mir selber Ziele setzen, ich will zwei Siege in Folge, oder ich muss noch den dritten Lauf des Tages gewinnen oder so etwas. Das ist ein schwieriges Spiel, aber im Moment läuft es gut!

Foil oder Finne - Justine Lemeteyer ist vielseitig

Du hast ein sehr gutes Jahr, du bist bereits Vizeweltmeisterin im Slalom X geworden!

Ja, in Pozo war ich nur auf dem vierten Platz, mein Privatleben war ein bisschen chaotisch zu der Zeit, deshalb lief es dort nicht so gut. Ich war umso glücklicher, als ich in Fuerte Zweite und Vizeweltmeisterin wurde. Das war ein Titel, der mir wirklich viel bedeutet!

Auch auf der Finne eine Macht: Auf Fuerte wurde Justine Lemeteyer dieses Jahr bereits Vizeweltmeisterin in der neuen Disziplin Slalom XFoto: Carter/pwaworldtour.comAuch auf der Finne eine Macht: Auf Fuerte wurde Justine Lemeteyer dieses Jahr bereits Vizeweltmeisterin in der neuen Disziplin Slalom X

Du bist also offensichtlich sowohl auf der Finne als auch auf dem Foil stark. Was bevorzugst du?

Ich mag beides sehr gerne, also kann ich mich nicht entscheiden. Finne mag ich nur bei viel Wind. Bei leichtem Wind ist es zu langsam, da bin ich lieber auf dem Foil (lacht). Aber beides macht wirklich Spaß und ich mag es, in mehreren Disziplinen unterwegs zu sein, weil es dadurch spannend wird. Es ist super interessant, zu wechseln und andere Herausforderungen zu haben oder andere Dinge zu trainieren. Ich mache gerne beides!

Bei leichtem Wind ist mir die Finne zu langsam, da bin ich lieber auf dem Foil!”

Wie sieht es mit der technischen Seite aus, probierst du viele verschiedene Setups aus oder verlässt du dich auf dein Gefühl?

Ich probiere verschiedene Optionen aus, wir testen den Mast im Segel, verschiedene Vorlieksspannungen, die Latten... also ja, ich teste gerne! Das Foil ist der Bereich, in dem wir die meisten Stunden mit Testen verbringen, die ganzen Shims, der Stabilizer, der Winkel zwischen Fuselage und Board, das dauert ziemlich lange. Aber es ist auch super interessant, nach dem entscheidenden Detail zu suchen, mit dem man einen halben Knoten schneller wird. Das muss man mögen, wenn man Foil-Rennen fährt (lacht). Ich arbeite mit S2Maui an den Segeln und das ist auch super interessant, zu sehen, wie wir die Segel für nächstes Jahr schneller machen können.

Ich habe auf Instagram gesehen, dass du gerade einige Zeit zur Entwicklung auf Maui verbracht hast.

Ja, die Woche bevor ich nach Sylt kam, war ich auf Maui, um die Segel für das nächste Jahr zu entwickeln. Es war nicht das beste Timing, mit den 12 Stunden Zeitunterschied hatte ich ein bisschen Angst, dass ich zu müde sein würde, aber am Ende hat es sich gelohnt. Ich denke, wir haben für das nächste Jahr gute Arbeit geleistet, und der Event ist auch gut gelaufen (lacht).

Welche Rolle spielt dein Material? Sowohl du als auch Johan Søe sind auf FMX-Boards unterwegs und im Moment sehr dominant.

Ja, die Boards funktionieren super, vor allem beim Touchdown. Wir werden nicht zu sehr gebremst, es hält den Speed. Wir hatten auf Sylt das Algenproblem, das viele Touchdowns verursacht hat und ich bin mir ziemlich sicher, dass das Board ein großer Vorteil für uns war!

Hast du wegen der Algen etwas am Foil geändert?

Ich bin die ganzen Tage mit einem Setup gefahren, das ich im Training nie ausprobiert habe (lacht). Es ging nur darum, mehr Power auf den Backwing zu bekommen, also habe ich kleinere vordere Wings benutzt, damit ich die Nose des Boards ein bisschen mehr nach oben bringen konnte. Das war die größte Herausforderung. Aber es war schwierig, denn auf dem ersten Schlag waren die meisten Algen, also braucht man Power. Auf der Zielgeraden waren dann keine Algen mehr, also braucht man die volle Power des Frontflügels. Aber ich habe die richtige Balance gefunden. Wir kamen in der Woche vor dem Event an und hatten zwei gute Sessions, in denen wir die Algen gesehen haben und innerhalb von 20 Minuten wussten, dass wir Power ins Foil packen mussten.

Aus der Normandie an die Weltspitze

Kannst du mir ein wenig über deinen Hintergrund erzählen und wie du zum Windsurfen gekommen bist?

Meine Eltern besaßen einen Segelclub, als ich geboren wurde, dort bin ich aufgewachsen. Ich habe viele verschiedene Sportarten gemacht, hab sehr lange Handball gespielt, aber als ich 13 war, hatte ich genug von Hallen und wollte Sport im Freien treiben, also kam ich zurück zum Windsurfen. Mit 15 entdeckte ich den Slalom, weil in meinem Heimatort ein Event der AFF (Association Française de FunBoard, die französische nationale Tour, Anm. d. Red.) stattfand. 2018 sagten meine Eltern, sie würden mir das Geld für den ersten Event der AFF geben und ich könnte es ihnen zurückzahlen, wenn ich Sponsoren finden würde. Das habe ich dann auch gemacht! Ich fuhr nach Marignane, fand Sponsoren, zahlte meinen Eltern das Geld zurück und startete auf der AFF-Tour! Meinen ersten Titel holte ich 2021, als ich französische Meisterin in der Jugendkategorie wurde. 2022 wurde ich von Leclerc gesponsert, einem großen Supermarkt, sie gaben mir das Geld, um zum World Cup nach Japan zu fahren. Dort wurde ich Vizeweltmeisterin, dann kamen Sponsoren - und so fing es an!

Wo ist dein Segelclub in Frankreich?

Ich komme aus dem Norden Frankreichs, aus Ouistreham in der Normandie, der Club heißt Ocean. Es sieht ein bisschen so aus wie auf Sylt, nur weniger extrem im Shorebreak und in den Strömungen. Aber es ist Nordeuropa, es gibt Wellen, es gibt Strömungen, und es gibt Gezeiten...

Ich hatte ein Foto mit Marion Mortefon in meinem Zimmer, das hat mich sehr motiviert.”

In Frankreich habt ihr eine sehr gute Förderung durch die Vereine und Verbände, richtig?

Ja, wir haben den Verband und wir haben ein offizielles französisches Team, was uns einige Vorteile verschafft, zum Beispiel werden wir als Spitzensportler anerkannt. Wir haben einen Trainer und eine Trainingsgruppe, das ist wirklich toll! Mein Verein unterstützt mich auch sehr, als Spitzensportler bekomme ich jeden Monat ein Gehalt. Ich arbeite dort, wenn ich zu Hause bin, und coache eine Gruppe junger Nachwuchs-Kids, die an der französischen Meisterschaft teilnehmen. Wir haben also gute Unterstützung, und ich habe viele persönliche Sponsoren, die mir helfen, die Tour zu bezahlen. Wir haben wirklich Glück, die AFF macht auch einen wirklich guten Job, wir haben eine Tour, die für junge Fahrer und Profis gleichermaßen attraktiv ist. Das hat mir viel Auftrieb gegeben, als ich jung war. Ich erinnere mich, wie ich zum ersten Mal auf Marion Mortefon traf, die jetzt meine härteste Gegnerin ist. Ich hatte ein Foto mit Marion von dem Rennen, das ich danach in mein Zimmer gestellt habe, das hat mich sehr motiviert. Auch Delphine Cousin hat mir sehr geholfen, sie ist diejenige, die mich mit S2Maui und FMX zusammengebracht hat. Als sie aufgehört hat, wurde sie gefragt, kennst du ein junges Mädchen, dem wir helfen sollten, und sie schlug mich vor. 2022 standen wir gemeinsam auf dem Podium, Marion, Delphine und ich, das bedeutete mir sehr viel!

Bei ihrem ersten World Cup fuhr Justine gleich aufs Podium - gemeinsam mit ihren Vorbildern und Mentorinnen Marion Mortefon und Delphine CousinFoto: Carter/pwaworldtour.comBei ihrem ersten World Cup fuhr Justine gleich aufs Podium - gemeinsam mit ihren Vorbildern und Mentorinnen Marion Mortefon und Delphine Cousin

Du hast erzählt, dass du aus dem Segelsport kommst, kannst du davon beim Surfen was mitnehmen?

Ich bin nur auf den kleinen Booten des Segelclubs meiner Eltern gesegelt. Als ich acht Jahre alt war, stellten sie mich auf ein Windsurfbrett und ich habe es von Anfang an geliebt, also bin ich von da an hauptsächlich Windsurfen gewesen. Ein bisschen Techno 293, aber da war ich nicht wirklich gut, und ich fahre auch ein bisschen iQFOil, aber mir fehlt der taktische Teil.

Würdest du das gerne intensiver trainieren und die Olympischen Spiele anpeilen?

Ja, ich trainiere sowohl Slalom als auch iQFOil, und wenn ich sehe, dass ich eines Tages wirklich eine Chance habe, zu den Olympischen Spielen zu fahren, dann würde ich diese Chance nutzen. Aber im Moment ist die Priorität, den PWA-Titel zu holen.

Wird Justine Lemeteyer in Japan Weltmeisterin?

Du bist ziemlich nah dran am Weltmeistertitel dieses Jahr...

Ja, aber wir haben keinen Streicher, es ist also noch alles offen. Ich habe gehört, dass Sara Wennekes und Lina Erzen, die letztes Jahr gewonnen hat, in Japan wieder dabei sein könnten. Das macht es nochmal spannender, weil beide sehr gut sind. Statt drei werden wir dann fünf Frauen sein, die an der Spitze kämpfen, das kann fürs Ranking entscheidend sein. Ich habe natürlich den Vorteil, dass ich schon zwei Siege habe, es sieht also ziemlich gut aus.

Was erwartest du von Japan?

Japan kann alles sein, wir können 35 Knoten haben oder bei acht Knoten fahren. Dort ist alles möglich, das ist das Schöne daran. Ich meine, wir haben dieses Jahr auf der Tour fast nur Starkwindrennen gehabt, also weiß ich, dass bei viel Wind alles gut funktioniert. Wir werden sehen, wie es bei leichtem Wind ist, aber ich fühle mich gut mit dem Material! Es ist gut, alle Bedingungen zu haben, es wäre interessant zu sehen, wer bei leichterem Wind die Beste ist.

Was ist deine langfristige Perspektive?

Ich würde nächstes Jahr um einen weiteren Titel kämpfen, das ist sicher! Ich mag das Leben als Profi zu sehr, um aufzuhören (lacht). Ich werde iQFOil vorerst nur nebenbei fahren, ich werde diesen Winter nur ein paar Trainingseinheiten absolvieren, mich aber weiterhin auf die PWA konzentrieren.

Als du neulich aus dem Wasser kamst, habe ich gesehen, dass du deine Brille aufgesetzt hast. Du fährst also nicht mit Kontaktlinsen, du hast nicht die perfekte Sicht auf dem Wasser?

Ja, aber es ist eine wirklich kleine Korrektur, aber ich muss sie tragen, sonst bekomme ich sehr schnell Kopfschmerzen. Auf dem Wasser würde ich vielleicht die Böen etwas genauer sehen, aber ich sehe die Bojen, ich sehe die Lücken, ich fahre also nicht blind (lacht). Auf dem Wasser kann ich darauf verzichten, nur wenn ich mich müde fühle, muss ich sie tragen!

Bist du in jedem Bereich ein wettbewerbsorientierter Mensch?

Ja, ich verliere nicht gerne (lacht), auch nicht bei Kartenspielen, in denen ich wirklich schlecht bin (lacht wieder).


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