Die Rotation. Sie ist aggressiv und aufregend. Erst liegst du auf dem Segel, dann flippt dich der Wind auf die andere Seite, es hebelt dir den Magen aus, bis du schließlich runter-fällst und landest. Und dann sind da noch die verrückten Perspektiven.
Ja, du kippst das Segel nach hinten und schaust zum Mast. Ein irres Bild. Dann schlägt das Segel um, und du hängst kopfüber in der Luft. Schließlich fällst du dem Wasser entgegen. Und all das passiert ziemlich langsam. Du kriegst alles mit – so was gibt es nur bei der Cheese Roll.
Damals fuhr ich meine ersten Wettkämpfe auf Maui. Ich war erst 17, kam aus Italien und wurde von den Wettkampfrichtern nicht ernst genommen. Das wurmte mich, denn ich war gut. Ich war mehrfacher italienischer Meister und beherrschte alle damaligen Freestyle-Manöver. Doch auf Hawaii verlor ich ständig.
Ich brauchte einen Banger-Move. Etwas, was alle vom Hocker hauen würde. Als Sprung-Manöver gab es damals nur Tabletops und den gerade erfundenen und schwer zu landenden Backloop. Vorwärtsrotationen waren unbekannt im Windsurfen. Aber in allen akrobatischen Sportarten gibt es eine Vorwärtsrotation. Und meistens sind es die Vorwärtsrotationen, die besonders sensationell sind. Also dachte ich über eine Vorwärtsrotation nach.
Das habe ich im Sommer 1986 am Diamond Head auch feststellen müssen. Hochspringen und sich nach vorne werfen – so leicht war es nicht.
Ich wusste, dass ich hoch springen müsste. So hoch, dass der Mast frei durchschwingen kann, ohne ins Wasser zu bohren. Am Scheitelpunkt eines hohen Sprunges warf ich mich also nach vorne zur Boardnase und öffnete das Segel. Natürlich stürzte ich ab. Heute wissen wir, dass du alles machen darfst, nur nicht das Segel öffnen. Aus heutiger Sicht war es der Versuch eines Stalled End-over-Forward mit falscher Technik. Diese Kamikaze-Nummer brachte mich fast um.
Vorerst, denn dann sah ich in einem Surf-Video Robby Naish. Er musste in der Luft sein Material loslassen. Der Wind flippte Board und Segel durch die Luft – in einer Vorwärtsrotation zur Seite. „Ah, das ist es!“, dachte ich. Es war also doch möglich!
Noch nicht. Im Herbst 1986 flog ich nach Maui, denn zuvor fand der Maui Grand Prix statt. Und wieder wurde ich schlecht bewertet. Jetzt hatte ich noch zehn Tage Zeit bis zum Aloha Classic. Das war der Waveriding-Wettkampf mit dem höchsten Prestige.
Ja, das war nicht viel Zeit. Zudem durfte mich niemand dabei beobachten. Ich wollte das Manöver geheimhalten bis zum Wettkampf. Nur dann würde es eine Sensation werden. Ein Move, der alle schocken sollte – die ganze Hawaii-Elite.
Richtig. Ich hatte Mickey Eskimo am Gardasee kennengelernt. Er kannte einen geeigneten Spot – Babybeach genannt.
Ich wollte zur Seite rotieren und den Wind bei der Drehung mithelfen lassen, so wie Robby Naishs Material durch die Luft geflogen war. Ich sprang ab, drückte das Segel nach unten, der Wind flippte mich auf die andere Seite, und ich fiel mit großem Platsch ins Wasser. Doch die Rotation hatte geklappt. Eskimo war komplett aus dem Häuschen.
Alle fragten sich: Wo hat der Italiener plötzlich diesen Trick nur her?”
Der Aloha Classic begann schwierig, denn es rollten riesige Wellen in die Bucht. Bei einer Cheese Roll hebelte es mich brutal in die Luft. Spektakuläre Fotos davon erschienen später im amerikanischen Windsurf-Magazin. Mein Plan ging auf. Die Windsurfwelt war geschockt. Jeder fragte sich: Wie war das möglich? Wo hat der Italiener plötzlich diesen Trick her?
Er war nach mir der Zweite, der Vorwärtsrollen machte. Eskimo war ein Marketing-Experte. Er kannte all die Fotografen, hatte Kontakte zu den Magazinen und inszenierte sich mithilfe der Cheese Roll. Fotos von ihm bei der Cheese Roll gingen um die Welt, denn die Medien brannten auf die neuen Perspektiven, die durch die Vorwärtsrotation möglich wurden.
Das war eine Sache von einigen Wochen. Nach dem Aloha Classic begannen alle zu rotieren. Und nicht nur das, denn wenn du was versuchst und es schiefgeht, wird manchmal was anderes, ganz Neues draus.
Mein Move war der Beginn einer neuen Ära im Windsurfen. Die Cheese Roll war der erste sogenannte Trigger-Move. Eine aggressive Rotation, die viele weitere folgen ließ, denn die Cheese Roll riss mentale Barrieren ein und zeigte, was alles möglich ist. Richtig, der Frontloop war die unmittelbare Folge der Cheese Roll.
Dabei ist die Cheese Roll technischer als der Frontloop. Und sie ist von der Bewegung viel schöner, weil die Rotation langsamer ist, die Landung weicher.
Cheese Roll - ein komischer Name für einen so bahnbrechenden, spektakulären Sprung.”
Dabei hatte die Cheese Roll anfangs einen ganz anderen Namen: Killerloop. Den hatte ihr Mickey Eskimo verpasst.
Das passierte erst später. Zuerst war mein Move der Killerloop. Direkt nach dem Aloha Classic flog ich nach Südafrika. Im Flugzeug war auch einer der Wettkampfrichter des Aloha Classic, der spätere President der PBA, Terry Wey. Er dachte an den Marketingaspekt des neuen Manövers. Er fand, dass Killerloop zu amerikanisch klang, zu überzogen. Zusammen mit der Windsurferin Dana Dawes machte er Wortspiele, erst Cesare Roll und irgendwann Cheese Roll.
Ach, mir war das eigentlich egal. Warum nicht Cheese Roll. Doch ich gebe dir recht, eigentlich war es ein komischer Name für einen so bahnbrechenden, spektakulären Sprung, der ja eine ganz neue Ära im Waveriding einläutete.
2016. Damals sponserte ich den Aloha Classic mit I-99 NoveNove. In dem Jahr wurde die Cheese Roll 30 Jahre alt. Für eine Story surfte ich wie 1986 in Babybeach und sprang Cheese Rolls.