Wir schreiben das Jahr 2020 – der Windsurfer LT ist bisher komplett an mir vorbeigegangen. Aktuelle Anzahl der Verkäufe bei uns im Shop: ein Stück. Meine Meinung zum Material relativ eindeutig: Perfekt für den einen Kunden, den ich hatte – aber sonst braucht das niemand. Warum sollte man so einen Lappen fahren wollen?
Meine Regattasaison ist geprägt von Action ohne Ende – DWC in St. Peter, iQFOiL-WM am Silvaplana, ROTS in Hemmelmark etc. Windsurftage, von denen wir träumen: mit Überdruck, Welle und Adrenalin. Bis zu einem Sommerabend am Lagerfeuer kam mir kein Gedanke, jemals auf einen Windsurfer LT zu steigen. Doch nach einer bis drei Flaschen Wein stellte sich die Frage, ob sich der Anreiz der Fahrt an den Chiemsee zum Bundesligafinale nicht noch erhöhen ließe.
Wenn man länger vor Ort bliebe und am zweiten Wochenende zusätzlich die erste deutsche Bestenermittlung in der Windsurfer-LT-Klasse – im Rahmen des Chiemsee-Inselmarathons – mitfahren würde, hätte man ja mehr von seiner Zeit. Kurzum: Nach einer weiteren Flasche Wein haben wir vier Bestellungen für komplette Windsurfer LTs zusammen – inklusive meiner eigenen.
Keine Woche später ist das Material da, und ich beginne mit dem Auspacken: Plastikfinne, dicke Alugabel, Segel ohne Latten, Brett ohne Schlaufen etc. Das Freundschaftsmotto „Wenn du dir einen kaufst, kaufe ich mir auch einen“ ist wirklich gefährlich, denke ich. Doch später bin ich positiv überrascht. Bei rund zehn Knoten Wind erfolgt die erste Testfahrt unserer vier LTs. Das Material ist flott und – im Gegensatz zu einem Raceboard – erstaunlich wendig. Am besten aber finde ich: Nach fünf Minuten beginnt bereits die Competition untereinander. Durch das identische Material entsteht sofort das Gefühl einer absolut fairen Ausgangslage. In den folgenden Wochen wird fleißig getestet und das Set-up für die Regatta optimiert.
Am Chiemsee zählt das Feld der Bestenermittlung gerade einmal 13 Damen und Herren, davon vier aus Wilhelmshaven, und nur zwei sind unter 40 Jahre alt. Ernüchternde Bilanz: LT fährt kaum jemand – und wenn, dann nur alte Leute. Es folgen drei Wettfahrttage, die mich an den Rand der Verzweiflung bringen. Wind in allen Stärken und aus allen Richtungen. Selbst die Locals sagen: „Also sooo schlecht ist es hier sonst auch nicht.“ Meine Endbilanz: Platz 3 – und die Frage: „Braucht man das mit dem LT wirklich?“
In den Jahren 2022/23 verlagert sich die Frage. Es geht nicht mehr darum, ob ich persönlich den Windsurfer brauche, sondern was er langfristig für den gesamten Windsurfsport bedeuten kann. Bereits 2021 haben wir im Verein eine Mittwochsregattaserie ins Leben gerufen, die es ermöglicht, Windsurfen zu planen wie ein Work-out im Fitnessstudio, ein Fußballtraining oder eine Feierabend-Golfrunde. Dort zeigt sich schnell: Der Windsurfer LT ist in seiner Gesamtheit allem anderen Material überlegen. Für Slalom- oder Freerideboards ist meist zu wenig Wind. Für Foil oder Raceboard braucht man ein astronomisch hohes Fahrkönnen, um es effizient über den Kurs zu bringen.
Der Windsurfer LT dagegen bietet einfaches Fahrverhalten – und gleichzeitig die Möglichkeit, auch Einsteiger*innen schnell mit Spaß um den Kurs zu bringen. Es spielt keine Rolle, ob zwei oder sieben Windstärken wehen – der Reiz liegt darin, gemeinsam aufs Wasser zu gehen, sich zu matchen und danach bei einem Bier oder einem anderem Kaltgetränk zu besprechen, was man hätte besser machen können. Alle LT-Fahrer*innen werden in einer separaten Kategorie gewertet und können sich frei von jeder Materialschlacht vergleichen.
Was daraus entsteht, ist eine Gemeinschaft: Lokal gibt es eine Jahresrangliste mit über 100 Starter*innen (alle Boardklassen), im Schnitt vier Bundesliga-Teams und sowohl Starts bei nationalen als auch internationalen Regatten. Doch viel wichtiger: Es entsteht wieder echtes Vereinsleben. Sobald auch nur ein Hauch Wind weht, trifft man sich am Strand, um mit Freund*innen auf dem Wasser zu sein. Denn eine gute Surfsession ist auch, wenn man montags nach der Arbeit eine Stunde auf dem Wasser Oldschool-Freestyletricks übt. Auch im Feierabend-Kickerclub wird nicht jeden Abend Weltklasse gespielt – der Spaß, mit Freund*innen den Sport zu genießen, ist das, worum es wirklich geht.
Erstmals lässt sich ein nationales Wachstum erkennen. In Wilhelmshaven sind mittlerweile rund 20 Surfer*innen mit dem Windsurfer LT bei nationalen Regatten unterwegs. Auch am Chiemsee und in Berlin fasst das Konzept des „einfachen Surfens“ Fuß. Bei der Deutschen Bestenermittlung am Starnberger See nehmen bereits 28 Starter*innen teil – mit auffallend hohem Anteil an Frauen und Jugendlichen. Zudem erhält der LT erstmals eine eigene Wertung in der Windsurf-Bundesliga und verzeichnet vier gemeldete Teams.
Der Fitness-Vorteil lässt sich nur auf den Vorwindkursen nutzen. Die taktisch geprägten Amwind-Kurse ohne Pumpen würfeln das Feld komplett durcheinander.”
Mir persönlich zeigt dieses Regattajahr, dass es völlig egal ist, mit welchem Material wir uns auf dem Wasser matchen, und dass „die Alten“ verdammt schnell sind. Der Vorteil der jugendlichen Fitness lässt sich nur auf den Vorwindkursen nutzen. Die taktisch geprägten Amwind-Kurse ohne Pumpen – früher mein persönlicher Albtraum – würfeln das Feld komplett durcheinander. Jeder Laufsieg ist absolut verdient: eine Mischung aus Taktik und Können. Keiner hat das schnellere Foil, das neuere Segel oder den leichteren Mast.
Erstmals bietet uns der DSV die Möglichkeit, eine Internationale Deutsche Meisterschaft auszurichten – Genehmigung abhängig von der Jahresrangliste. Klares Ziel: in Wilhelmshaven die mit Abstand größte Regatta veranstalten, die es je in der LT-Klasse in Deutschland gegeben hat. Bereits im Februar beginnt die Planung. Das Eventwochenende muss so gewählt werden, dass es nicht mit den Regatten in den angrenzenden Ländern kollidiert und EM sowie WM nicht zu nah am Termin liegen. Die Wahl fällt auf den 8.–10. August – und sie zahlt sich aus.
Mit 70 Meldungen organisieren wir:
Das Feld ist so groß, dass sich die Regattaleitung für zwei Qualifikationstage und einen Finaltag entscheidet. Insgesamt werden vier Wettfahrten und ein Marathon in der Quali gefahren, am Finaltag drei weitere Läufe im Goldfleet und zwei im Silverfleet. Spannend bleibt es für mich bis zum Schluss – doch leider versemmle ich am Finaltag den Start der zweiten Wettfahrt und muss mich in der Gesamtwertung dem Niederländer Ron Hartog geschlagen geben. Viel wichtiger ist aber, was wir mit diesem Event geschaffen haben: drei Tage, die dem Motto der Windsurfer-Klasse voll und ganz gerecht wurden – 50 Prozent Social/50 Prozent Racing. Auf dem Wasser zwar Konkurrenten, aber abends feiern wir alle gemeinsam beim Karaoke mit ein, zwei oder drei Bier.
Der Windsurfer LT bietet die Möglichkeit, jenseits des Mainstreams mit minimalem Materialaufwand und unabhängig vom Pro-Level die Anzahl der Windsurftage um 100 oder mehr Prozent zu steigern. Gleichzeitig bietet die Regattaklasse taktisch anspruchsvolle Rennen mit extrem niedriger Einstiegshürde. Egal welches Surflevel – jeder findet auf dem Wasser passende Partner zum Matchen.
Niemand muss sich mit Board-Generationen oder Materialunterschieden herumschlagen. Alle fahren mit identischem Equipment unter denselben (guten oder schlechten) Bedingungen. Am Ende geht es darum, in guter Gesellschaft möglichst viel Zeit auf dem Wasser und am Strand zu verbringen.
Am Ende geht es darum, in guter Gesellschaft möglichst viel Zeit auf dem Wasser und am Strand zu verbringen.”
“Wir fahren bereits seit fünf Jahren Windsurfregatten und waren vorher auf dem BIC Techno und Raceboard unterwegs. Die LT-Klasse bietet die Möglichkeit, uns auf der Regattabahn fair und ohne Materialschlacht zu vergleichen. Alle hier sind supernett und offen – es fühlt sich an wie eine große Familie.”
“Mein Background ist geprägt vom originalen Windsurfer und später vom Euro-Funboard-Cup. Dann folgte eine kleine Pause – so etwa 20 bis 25 Jahre. Seit 2022 bin ich wieder auf der Regattabahn und habe die Windsurfer-Klasse für mich entdeckt. Mich reizt der hohe Taktikfaktor – auf der Kreuz musst du jeden Winddreher mitnehmen, um vorne dabeizubleiben. Mein schönstes Erlebnis war bisher die Teilnahme an der WM in Australien, wo ich in einem Kursrennen einen achten Platz einfahren konnte.”
“Meine Mutter wollte mich zwar schon früher vom Surfen überzeugen, aber irgendwie ist der Funke nicht übergesprungen. Vor zwei Jahren habe ich dann doch mit dem Surfen angefangen und bin kurz darauf gleich meine erste Regatta auf dem Windsurfer LT gefahren. Ich habe riesigen Spaß daran, mich auf dem Wasser zu messen, und kann in der LT-Klasse superviel lernen. Mit meinem zweiten Platz in der Damenwertung bei dieser Meisterschaft bin ich sehr zufrieden. Langfristig möchte ich auf das olympische iQFOiL umsteigen.”
“2011 haben wir angefangen, wieder Regatten auf dem originalen Windsurfer LT zu fahren, die natürlich deutlich schwerer und unhandlicher waren. 2016 hatte ich die Idee, ein neues Board zu produzieren, das dem alten Stil entspricht, sich jedoch deutlich einfacher handhaben lässt. Heute stehen wir hier, und ich freue mich, dass die Regattaklasse auch in Deutschland ein Wachstum verzeichnet und ein so tolles Event veranstaltet wird. Mein größter Erfolg ist es, zu sehen, wie viele Leute hier mit dem Material Spaß auf dem Wasser haben. “
Marc (l.): “Meine Windsurfer-LT-Karriere dauert jetzt schon einen Tag an, und am witzigsten war es, in einem der gestrigen Rennen – unbeabsichtigt – im Sitzen über die Ziellinie zu fahren. Für mich ist der Spaß der wichtigste Erfolg.”
Leon: “In der Windsurf-Regattaszene bin ich tendenziell schon alles gefahren. Doch hier konnte ich mal kurz die Rolle des Underdogs spielen. Ich bin positiv überrascht vom Material und davon, wie unfassbar einsteigerfreundlich es ist. Außerdem macht mir das große Starter*innenfeld superviel Spaß und wie hoch das Level vorne im Feld ist!“
“Ich fahre seit 2020 auf dem Windsurfer LT und race leidenschaftlich gern mit meinem Dad und meinen Freunden. Mir kommt es überhaupt nicht darauf an, wie alt die anderen sind – es geht immer um den Spaß und die Competition. Am vergangenen Dienstag bei der Sneekweek hatten wir ein Rennen, bei dem plötzlich Böen mit deutlich über 30 Knoten durchgezogen sind. Alle 40 Fahrer*innen – außer Peter und mir – hat es umgehauen, und das Rennen musste abgebrochen werden. Leute sind im Sitzen mit dem Segel auf dem Board ins Gleiten gekommen. Diese Momente bleiben für immer und machen den Spaß an der ganzen Sache aus. “
“Auf dem Windsurfer stand ich das erste Mal 1974, bevor es auf den Windglider und in die Division 2 ging. 1984 und 1988 war ich bei Olympia für Deutschland am Start. Danach folgte der Umstieg aufs Segeln. Noch heute fahre ich 20er Jollenkreuzer und bin leidenschaftlicher Eissegler. Schon bei meiner ersten Fahrt auf dem Windsurfer LT dachte ich: „Genau das ist es – alles wie früher, nur viel besser.“ Für mich ist auch heute noch der perfekte Moment, wenn man das Gefühl hat, dass Körper und Material in vollkommener Harmonie sind, das Board über das Wasser schießt, man die Augen schließt und denkt, man fliegt. “