Ehrgeizig, verbissen, durchtrainiert. Meiky Wieczorek aus München surft auf einem unglaublich hohen Level und trainiert täglich so, als müsse er morgen einen Freestyle-Contest gewinnen, als hinge alles von seinem nächsten Resultat ab. Das Paradoxe: Der 29-Jährige tritt bei gar keinen Wettbewerben an. Wie kann das sein? Diese Frage schwirrt nicht nur in meinem Kopf rum, sondern ist innerhalb der Szene allgegenwärtig. Kommentare wie „Find this guy a sponsor!“ oder „Time for PWA!“ tauchen immer wieder unter seinen radikalen Videos auf, in denen er beidseitig gesprungene Manöver auf absolutem Worldcup-Niveau zelebriert – wenn’s sein muss, auch im Januar, bei drei Grad, vor Sonnenaufgang in Malcesine.
Ich habe Meiky hingegen im Hochsommer in einer stickigen Taverne auf Karpathos getroffen, auf der Insel, auf der er seit Jahren die Sommermonate verbringt und für die Windsurfstation Meltemi tätig ist. Im Herbst geht’s immer zurück an den Lago, den er seit zwei Jahren sein Zuhause nennen darf – und das sind im Prinzip auch die einzigen beiden Spots, an denen der Freestyle-Freak anzutreffen ist. Er agiert gerne unter dem Radar – Contests, Weltreisen zu exotischen Freestyle-Spots und der Lifestyle drum herum interessieren ihn anscheinend eher weniger. Für ihn geht es darum, sich kontinuierlich zu verbessern – egal an welchem Spot. Darauf richtet er im Prinzip sein ganzes Leben aus. Aber wofür noch mal? Er macht doch gar nichts draus … oder doch?
Tätowierte Unterarme, die so breit sind wie meine Oberschenkel, zerfetzte, ärmellose Motörhead-Kutte, leichter Undercut und dazu schwarze Ohrclips: Meiky spaziert zusammen mit seiner sportlichen, blonden Freundin in die griechische Taverne, in der wir zum Lunch verabredet sind. Ist das der Windsurfer, der hier heute Morgen bei Sonnenaufgang, an seinem freien Donnerstag, alles doppelt und dreifach in der Devils Bay gesprungen ist? Dazu haushohe Konos auf beide Seiten, kraftvoller Stil: „Joa, es war ganz okay heute Morgen. Ich bin extra früh rausgegangen, dann habe ich meine Ruhe. Die Bedingungen waren gut, aber am Double Burner muss ich noch arbeiten“, berichtet er beinahe etwas frustriert. Meiky ist so kompetitiv mit sich selbst, dass er nach fast jeder Session unzufrieden mit seiner Leistung ist. Vielleicht muss man so drauf sein, um so gut zu werden, wenn man fast ausschließlich für und mit sich alleine surft, überlege ich.
„Ich weiß, es macht eigentlich keinen Sinn, so hart zu mir selbst zu sein. Vor allem, ich trainiere ja noch nicht einmal speziell für etwas. Aber so bin ich nun mal – das spornt mich an“, erklärt er. „Endlich einen neuen Move zu stehen, gibt mir ein Gefühl wie in keinem anderen Lebensbereich. Spaß beim Windsurfen ist bei mir mit Lernfortschritt verbunden.“ Wer Meiky auf dem Wasser sieht, erkennt sofort: Der Mann mit den kleinen Severne-Segeln surft nicht nur so vor sich hin, nein, er hat immer ein klares Ziel vor Augen und weiß genau, was er tut: „Mir fällt es leicht, Fehler zu erkennen und diese auszumerzen. Fehler dürfen sich nicht einbrennen. Es hilft sehr, Videos zu analysieren, um Fehler frühzeitig zu erkennen“, rät er. Er geht also im Vergleich zu manch anderen Freestylern analytischer an die Sache ran: „Es stresst mich extrem, zu wissen, dass Manöver existieren, die ich nicht beherrsche – ich kann das nicht einfach abhaken, bevor ich nicht weiß, wo der Fehler liegt“, erklärt er lachend und nimmt einen großen Bissen vom Chicken-Souflaki-Spieß, der gerade gebracht wurde.
Meiky heißt eigentlich Michael und ist ein waschechter Bayer, der in einem Randbezirk von München aufgewachsen ist. Sein Vater, der auch Michael heißt und ebenfalls ein richtig guter Windsurfer ist, hat irgendwann gemerkt, dass es bürokratisch unpraktisch ist, wenn sein Sohn und er exakt gleich heißen. Seither wird sein Sohn Meiky genannt, und ich könnte mir keinen besseren Namen für das häufig schelmisch grinsende Kraftpaket vorstellen. Rein optisch und auf dem Wasser ist er ein Mike, doch wenn man mit dem sympathischen Bayer spricht, möchte man automatisch die freundliche Endung mit dem „y“ an den bösen Mike dranhängen. Schon seit seinem fünften Lebensjahr steht der talentierte Junge auf dem Brett, doch das große Ziel, Windsurfprofi zu werden, hatte er nie so richtig vor Augen.
„Ich meine, jeder träumt als Jugendlicher in irgendeiner Weise davon, Profi zu werden, oder nicht? Doch es war einfach zu fernab meiner Realität, damals, während der Schule und des Studiums in München. Es war nicht einmal in Reichweite, um es überhaupt in Erwägung zu ziehen. Und auch wenn ich immer höchst motiviert war und durch die ständigen Trips an den Lago kontinuierlich Fortschritte im Freestyle gemacht habe, war ich nie so wirklich überzeugt von meinem Level. Ich dachte immer, ich sei nicht gut genug, um auf der Tour mitzufahren. Da bin ich eben sehr, sehr kritisch mit mir selbst“, erzählt er nachdenklich und sehr selbstreflektiert.
Es wirkt beinahe so, als würde er es heute, mit Ende zwanzig, bereuen, es nicht so richtig versucht zu haben. Aber es ist ja nicht zu spät, denke ich. Auch wenn er sich über die Jahre einige Blessuren zugezogen hat – unter anderem eine biestige Knieverletzung –, wirkt er aktuell topfit: „Ich bin momentan auf meinem besten Level, doch der Zug mit den Wettkämpfen ist irgendwie an mir vorbeigefahren. Ich habe mich unterschätzt und es einfach lange Zeit nicht gesehen. Ich surfe erst seit wenigen Jahren das ganze Jahr über, früher hatte ich immer ewige Winterpausen – das hat sich nicht richtig angefühlt, denn die Jungs auf der Tour haben währenddessen den ganzen Winter an perfekten Spots trainiert. Dazu kommt, dass mich niemand an die Hand und mitgenommen hat, ich wurde nie richtig an das Contest-Geschehen rangeführt. Die Risikobereitschaft, es einfach alleine zu versuchen, hatte ich damals nicht“, erinnert er sich.
Auch wenn dem schüchternen Jungspund damals etwas Struktur für den Einstieg, wie es in vielen anderen Sportarten üblich ist, gefehlt hat, ist er heutzutage keineswegs ein Contest-Kritiker, er verfolgt das Geschehen auf der Tour aus der Ferne ständig mit: „Wenn ich heute den Livestream von Fuerte beispielsweise schaue, tut mir das ein bisschen weh, muss ich sagen, denn ich sehe darin meine verlorene Chance“, meint er leicht betrübt und schaut lange hinaus aufs Wasser. „Das ist ein sensibler Punkt meiner Persönlichkeit“, fährt er fort. „Ich wäre gerne wie die Top-Jungs auf dem Podium, bin es aber nicht. Vielleicht wäre ich lieber mal ins kalte Wasser gesprungen … Doch ich bin gar kein Wettkampftyp, muss ich sagen. Bei den zwei oder drei Contests, die ich in meinem Leben bestritten habe, war ich viel zu nervös. Ich bin nur kompetitiv mit mir selbst. Ich hätte Routine sammeln müssen – jetzt als Quereinsteiger hätte ich gar keine Chance mehr, nach vorne zu kommen, denke ich.“
Doch wenn eine Kamera auf ihn zeigt, steht er mehr und bessere Moves, als wenn er alleine, ohne Kamera surft, behauptet Meiky. Wer seine Clips kennt, wird an dieser Aussage nicht lange zweifeln, denn diese bestehen oftmals aus einem Move-Feuerwerk vom Allerfeinsten, das nur aus einer einzigen Session zusammengeschnitten ist: „Eine Session filmen, Moves analysieren, zusammenschneiden und Mucke drunter – das macht richtig Bock!“, bestätigt er. Doch berühmt wurde er mit seinen radikalen Freestyle-Clips bisher nicht: „Ich habe das Geheimrezept, um „Freesurf-Profi“ zu werden, der keine Wettkämpfe bestreiten muss, noch nicht gefunden, sonst würde ich es wahrscheinlich ausprobieren“, meint er lachend. „Von dem Irrglauben, dass bessere Moves gleich mehr Fame und mehr Reichweite bedeuten, bin ich mittlerweile Gott sei Dank weg. Ich dachte früher außerdem immer, dass die Sachen von selbst zu einem kommen würden, wenn man sie sich verdient. Sprich: Bessere Moves bedeuten, dass du irgendwann Profi wirst. Das ist leider keineswegs mehr so, besonders im Windsurfsport nicht. Jetzt, mit Ende zwanzig, bin ich diesbezüglich weiser, doch mir läuft ein wenig die Zeit davon“, grübelt er.
Ich frage mich, was Meikys Ziele im Windsurfen sind. Er ist extrem motiviert, diszipliniert und auf solch einem hohen Level. Er richtet sein ganzes Leben darauf aus. Es wirkt so, als stünde er seit geraumer Zeit immer kurz vor dem Durchbruch, kurz davor, in Anführungszeichen Profi zu werden. Ist es vielleicht sein Tunnelblick auf das rohe Freestylen und das Erlernen neuer Moves, der ihn davon abhält, nach weiteren Möglichkeiten, nach links und rechts zu schauen und den nächsten Schritt zu wagen? Man darf nicht vergessen: Meiky ist ein totaler Freak – er ist regelrecht süchtig nach Windsurfen, spielt dabei jedoch noch mal in einer anderen Liga als die meisten anderen Junkies: „Ich könnte zum Beispiel dreihundert Tage im Jahr in Malcesine am Busparkplatz surfen, ohne dass es eine Sekunde langweilig wird“, behauptet er plump. Seine Freundin schüttelt schmunzelnd den Kopf – und da kommt Sokrates, unser Kellner, und stellt drei Kurze auf den Tisch: „Ist das Ouzo oder Raki?“ Sokrates: „Ouzo!“
Meiky weiß, welche Frage noch in meinem Kopf rumschwirrt und worauf ich hinauswill. Es scheint mir nämlich nicht so, als stünde er tatsächlich kurz davor, zu versuchen, eine große Karriere, in welcher Form auch immer, aus seinem Talent und der ganzen harten Trainingsarbeit zu machen: „Weißt du, ich denke, das professionellste Level, das ich im Windsurfen noch erreichen kann, ist genau das, auf dem ich mich gerade bewege: an einer Windsurfstation tätig zu sein und dort professionell zu unterrichten, dazu für meine Materialsponsoren Werbung zu machen, Videos zu schneiden und einfach das ganze Jahr auf dem Wasser sein zu können. Besonders Letzteres ist eigentlich das Einzige, was ich immer wollte. Und damit bin ich momentan total zufrieden. Alles andere ist eine Illusion!“, bringt er es auf den Punkt, kippt seinen Ouzo weg und knallt das leere Glas auf den Tisch.
Da haben wir es! Das macht er also aus seiner unglaublichen Leidenschaft für den Windsurfsport. Meiky macht sein Ding – er weiß ziemlich genau, was er will und was ihn aktuell glücklich macht. Ihm geht es einfach darum, aufs Wasser zu kommen, Punkt. Wettkämpfe, Profi-Dasein hin oder her. „Das Windsurfen soll bei mir nicht vom Job verdrängt werden, es soll ein konstanter, fester Teil meines Lebens sein. Ich will nicht nur aufs Wochenende angewiesen sein. Und auch die langen Winterpausen, wie früher, das halte ich nicht mehr aus, das tut mir nicht gut“, fügt er hinzu. „Ich kenne viele, denen das nichts ausmacht, dass sie mit der Zeit jobbedingt langsam immer weniger aufs Wasser kommen – doch bei mir ist das gar nicht so, ich bin immer noch genauso wie mit zehn“, meint er lachend.
Und jetzt schaut er wieder lange hinaus aufs Wasser, diesmal etwas ungeduldiger, denn dort tänzeln nun überall Schaumkronen in der kleinen Bucht vor der Taverne. Es ist Zeit für die zweite Session des Tages! Aber er ist doch schon seit drei Monaten hier auf dieser verdammt windigen Insel … braucht er nicht mal einen Nachmittag Pause, an seinem einzigen freien Tag? Meiky versteht die Frage nicht. Wir zahlen und fahren los.
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