Vom Pier nach Porto PolloMichiel Bouwmeester im Interview

Manuel Vogel

 · 17.12.2023

Michiel Bouwmeester: "Der Gardasee hat mich gemacht!"
Foto: Oliver Maier
Michi Bouwmeester war einer der ersten Surflehrer in Europa und denkt auch heute, über 40 Jahre später, nicht ans Aufhören. Ein Blick zurück auf „den Depp, der übers Wasser läuft“, Po-Kneifer und hart geführte Revierkämpfe.

Seine innovativen Schulungsmethoden, ein untrügliches Gefühl für Trends und auch sein knallharter Geschäftssinn machten Michi Bouwmeester zu einem der bekanntesten Stationsleiter überhaupt. Der Erfolg brachte ihm viel Anerkennung, aber nicht unbedingt den Preis als Everybody’s Darling. Auch jetzt, nach einem knappen halben Jahrhundert im Business, denkt Michi noch nicht ans Aufhören – und blickt im Interview zurück auf eine aufregende Zeit.

Michi, gerade baut ihr euer Center in Porto Pollo ab und mottet alles für den Winter ein. Du bist Jahrgang 1955 – ist Rente für dich ein Fremdwort?

Ich freue mich noch immer, wenn Leute Spaß haben, Wassersportarten bei mir zu lernen. Das soll sich nicht großkotzig anhören, aber ich habe Freude am Spaß anderer. Und die Rente in Italien ist jetzt auch nicht so üppig, ich mache also noch ein wenig weiter (lacht).

Du hast dein Leben lang damit verbracht, anderen den Einstieg ins Surfen leichter zu machen. Kannst du dich noch an deine eigenen Anfänge erinnern?

Ich hab ja bereits im Januar 1973 in Holland angefangen, damals gab’s leider niemanden, der einem irgendwas erklären konnte. Ich hatte einen Taucheranzug und einen Windsurfer aus den USA, das war’s. Niemand wusste, wie man die Holzgabel am Mast befestigt, geschweige denn, wie man das Monstrum beherrscht. Alles war Learning by Doing. Noch im gleichen Jahr habe ich meine ersten Stunden unterrichtet für einen lokalen Shop in Holland. Rückblickend war es ein Wunder, dass damals so viele Leute surfen wollten, denn verglichen mit heute war das Material eine Tortur. Man musste schon ziemlich sportlich und zäh sein, um es zu schaffen.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Du bist dann ziemlich schnell am Gardasee gelandet, Italien wurde deine neue Heimat …

1976 bin ich mit meinem Citroën Méhari an den Gardasee gefahren und habe im Südwesten in Salò meine erste Surfschule gegründet. Nebenbei bin ich weiterhin meine Regatten gefahren. Wer zur WM wollte, musste damals Wettkämpfe auf nationaler Ebene mitfahren. Nach dem Unterrichten bin ich also am Freitagnachmittag mit 80 bis 90 km/h nach Holland gezuckelt, 1200 Kilometer. Die einteiligen Masten und die lange Holzgabel hingen hinten raus. Ich kam am nächsten Morgen an, gewann die Regatta und dann ging’s am Abend auf den Rückweg. Zum Start der neuen Arbeitswoche war ich völlig gerädert wieder am Lago.

Home sweet home – für Michi Bouwmeester war der Gardasee lange sein Zuhause.Foto: Bresciani/surf MagazinHome sweet home – für Michi Bouwmeester war der Gardasee lange sein Zuhause.

Du giltst als harter Businessman. War das damals auch schon so oder waren dir Regatta-Erfolge zu Beginn wichtiger als ein gut laufendes Geschäft?

Ich war schon sehr fokussiert auf Regatten. 1979 wurde ich Dritter bei der Windsurfing-WM, da waren Größen wie Robby Naish und Mike Waltze am Start. Ich hatte also schon Erfolg und bekam dann ein Angebot von HiFly, die wollten, dass ich ihre Boards fahre. Das war ein Profi-Vertrag, der mich an viele tolle Orte auf der ganzen Welt brachte. Es war eine super Zeit.

Wie ging ein solcher Lifestyle mit einem funktionierenden Surf-Business zusammen?

Business? Na ja, man kann es so nennen. Meine Station, das waren 15 Bretter am Strand, auf einem einzigen Brettständer und ein alter Wohnwagen. Damals war es so: Alles, was ich über die Surfschule verdient habe, war schön. Und wenn nichts reinkam, war es auch egal, da ich ja bei HiFly als einer der ersten Profis ein festes Gehalt hatte. Trainiert habe ich weiterhin am Gardasee. 1979 habe ich den Engadiner Surfmarathon gewonnen mit 500 Startern, vor Robby Naish. Darauf bin ich heute noch stolz, einmal im Leben vor Robby gelandet zu sein. Im Winter war ich damals viel auf Maui und habe gesehen, dass dort die ersten Funboards aufkamen. Mir war klar: Was heute auf Hawaii angesagt ist, schwappt früher oder später auch nach Europa rüber. Das erste Funboard, das ich selbst fahren konnte, lieh ich mir von einem anderen Surfer. Der Typ war ziemlich sauer, als ich erst vier Stunden später zurück an Land kam (lacht). Danach war für mich klar: Funboard-Surfen wird der nächste große Trend – und ich wollte das unterrichten.

War das auch der Grund, nach einem windigeren Spot am Gardasee Ausschau zu halten?

Genau, das war der Grund, warum ich 1981 dann mit meiner Surfschule ans Pier umgezogen bin, dort gab und gibt es einfach den besten Wind am Gardasee. Als ich dort ankam, war das Hotel hinter der Straße so gut wie pleite, unten am Strand gab es nichts außer wildem Wein. Ich habe eine Blechhütte hingestellt, einige HiFly-Boards und Pat-Love-Segel und dann ging’s los.

Die 90er am Pier waren wilde Zeiten. Dafür sorgte auch die bunte Surflehrer-Truppe der Station.Foto: Osinski/surf MagazinDie 90er am Pier waren wilde Zeiten. Dafür sorgte auch die bunte Surflehrer-Truppe der Station.

Während deiner Zeit am Gardasee hattest du auch viel Gegenwind und warst vielen Konkurrenten ein Dorn im Auge. Wie hast du es geschafft, dich dort durchzusetzen?

In erster Linie mit Ideen. Es gab damals ja keinerlei Lehrprogramme fürs Funboardsurfen. Wie geht ein Wasserstart? Wie komme ich in die Fußschlaufen? Niemand hatte da Erfahrung. Ich hab ein Kursprogramm geschrieben und ein Level-System etabliert. Jeder Surfschüler konnte sofort sehen, wo er steht, was als Nächstes gelernt werden sollte und vor allem, wie weit man kommen kann. Das hat voll eingeschlagen. Das hat natürlich nicht allen gefallen, Neider gab es genug. Aber rückblickend kann man vielleicht sagen, dass ich Ideen hatte, die neu waren und bei der Funboard-Schulung gut funktioniert haben.

So wie der Wasserstart-Simulator …

Genau. Die Idee dazu kam mir bei einem Wasserstartkurs. Bis dahin trieb man als Wasserstart-Lernender ja mit vier Knoten nach Lee ab – bei vier Windstärken hatte man also nur drei Windstärken im Segel, da musste man den Leuten schon fest in den Hintern zwicken, dass sie endlich mal aufs Brett kamen. Hinzu kam, dass alle Schüler nach 15 Minuten völlig fertig waren. Also habe ich ein Ponton gebaut, an dem das Board zwei Meter in Lee an Bug und Heck fixiert wurde. Plötzlich konnten die Schüler ohne abzutreiben den Aufstieg üben, hatten mehr Wind im Segel, ich konnte hinter ihnen stehend assistieren und weitere Lernende konnten zusehen. Bis heute verstehe ich nicht, warum in vielen Surfschulen noch immer erst das Ausrichten im Wasser geschult wird und dann das Aufsteigen. Meiner Meinung nach sollte man es umgekehrt machen. Wer minutenlang im Wasser schwimmt, um das Material auszurichten, ist zu fertig, um noch aufs Brett zu kommen. Weil die Schulungsmethoden damals neu waren und gut ankamen, kam es immer wieder vor, dass Konkurrenten versucht haben, meine Surflehrer abzuwerben. Die haben denen dann das doppelte Gehalt geboten und bekamen dafür einen guten Coach mit jeder Menge Schulungs-Know-how. Man kann ihnen deshalb keinen Vorwurf machen, aber es war nicht immer einfach, damit umzugehen.

Der Wasserstart-Simulator war ein Meilenstein. Nicht nur das Lernen, auch das Unterrichten wurde damit leichter.Foto: MB Pro CenterDer Wasserstart-Simulator war ein Meilenstein. Nicht nur das Lernen, auch das Unterrichten wurde damit leichter.

Du hast auch zahlreiche Lehrvideos produziert, die damals vom Delius Klasing Verlag vertrieben und beworben wurden. Hast du dir damit im Prä-Internet-Zeitalter endgültig international einen Namen gemacht?

Die Lehrvideos waren für mich eine große Sache. Videos waren damals ziemlich aufwendig, für VHS-Kassetten musste alles mit fetten Kameras gefilmt werden. Für ein Lehrvideo zur Powerhalse wollte ich unbedingt eine Perspektive haben, bei der man dem Surfenden quasi über die Schulter schauen kann. Nur diese Perspektive ermöglicht es, sich in den Surfer hineinzuversetzen. Damals gab’s allerdings weder Drohne noch kleine Action-Cams. Also schnallten wir den Kameramann vorne an einem Motorboot fest, dieses bretterte mir dann wenige Meter hinterher. Wäre ich gestürzt, hätte mich das Boot wahrscheinlich platt gefahren (lacht). Aber genau diese Aufnahmen haben vielen Surfern geholfen, Moves wie die Powerhalse zu lernen.

Viele Jahre lang war das Pier ein Szenetreff. Es war bekannt, dass dort die buntesten Vögel und auch viele Pros abhingen. Das gipfelte alles in den legendären King-of-the-Lake-Events. Warum war das Pier damals der „place to be“?

Die Leute kamen einfach, denn am Pier war Funboardsurfen gut möglich. Es gab legendäre Coaches, das waren Top-Windsurfer und echte Freaks, so wie Roberto Hofmann (ehemaliger Moderator im World Cup, die Red.), Michi Schweiger (heutiger Product Manager bei Naish, die Red), Andy Wolff (deutscher Worldcupper, die Red.) und viele andere. Hinzu kam eine Portion „Hawaiian Style“, denn von jeder winterlichen Reise nach Maui brachte ich Ideen, neues Material oder Lifestyle-Produkte mit. Das machte den speziellen Flair des Ortes aus. Zum 15-jährigen Jubiläum 1995 sollte es dann eine große Hawaii-Party am Pier geben. Ich fragte Josh Stone und Jason Polakow, ob sie bei einem Spaß-Freestyle-Contest gegen die Gardasee-Locals dabei wären und zahlte ihnen das Ticket. Am Strand gab’s Judges und Musik. Die Surfer hauten ihre Loops zehn Meter vorm Ufer auf Wasser und die Leute rasteten komplett aus. Es war der erste Freestyle-Contest und die Geburtsstunde der Freestyle-Bewegung. Ein Jahr später wurde daraus der King of the Lake, 1997 stieg dann sogar Red Bull ein.

Der King of the Lake war Ende der 90er DER Freestyle-Event. Stone, Naish, Dunkerbeck, Polakow – alle waren dabei.Foto: MB Pro CenterDer King of the Lake war Ende der 90er DER Freestyle-Event. Stone, Naish, Dunkerbeck, Polakow – alle waren dabei.

2005 war für dich am Gardasee Schluss. Wie kam es zum Aus und wie hart war diese Zeit damals für dich?

Am Gardasee wurden die Konzessionen für die Plätze am Strand von der Provinz vergeben. Es gab eine öffentliche Ausschreibung und man musste für die Lizenz bieten. Leider gab es unter den Surfschulbetreibern auch Leute mit besten Kontakten in die Regionalpolitik, die dann im Bieterverfahren die Nase vorn hatten – und mehr möchte ich dazu gar nicht sagen. Am Pier war es aber anders, denn das war ein Privatplatz, dieser gehörte dem Hotelbesitzer Montagnoli. Der Besitzer hat seine Verhandlungsposition leider damals ziemlich ausgenutzt. Um den King of the Lake durchführen zu dürfen, wurden plötzlich riesige Summen aufgerufen. Deshalb ist der Event später ans Conca d’Oro auf der anderen Seeseite umgezogen. Da gab’s natürlich mehr Platz, aber die Action fand auch nicht mehr so dicht am Ufer statt. Dadurch ging die spezielle Stimmung etwas verloren. Auch die Zusage, den Platz am Pier weiter für die Schule nutzen zu können, wurde an immer neue Forderungen geknüpft. Es kam zum Streit, am Ende kam es sogar zum Gerichtsprozess. Was damals passiert genau ist, will ich nicht mehr aufwärmen – aber es waren Sachen dabei, die kennst du nur aus Gangsterfilmen.

Danach musstest du dich erst mal neu erfinden. Wie kam der Wechsel nach Sardinien zustande?

Nach dem Aus am Gardasee hab ich erst mal zwei Jahre Pause gemacht. 2008 kam ich nach Porto Pollo auf Sardinien, da war erstaunlich wenig los. Der Platz war toll, das habe ich sofort gesehen. Das Gebäude am Strand gab’s auch schon, da liefen allerdings die Ratten rum. Das finale Go, eine Schule betreiben zu dürfen, bekam ich im Februar, innerhalb von ein paar Monaten mussten wir die Station ans Laufen bringen. Seitdem bin ich hier.

In Porto Pollo im Norden Sardiniens fing Michi Bouwmeester 2008 noch mal ganz von vorne an.Foto: MB Pro CenterIn Porto Pollo im Norden Sardiniens fing Michi Bouwmeester 2008 noch mal ganz von vorne an.

Du hast vor einiger Zeit eine „Kids Academy“ gegründet. Was hat es damit auf sich?

Das etablierte Level-System habe ich auf die Kinderschulung übertragen. Gerade bei Kindern ist es wichtig, dass diese mit Gleichaltrigen und passendem Material lernen können. Wenn du 6- und 12-Jährige in eine Gruppe gibst, haut das kaum hin, weil die Voraussetzungen bezüglich Kraft und Sprache einfach komplett unterschiedlich sind. Deshalb sind unsere Kinderkurse heute sehr fein gegliedert. Das erfordert eine Menge Organisation, aber es lohnt sich. Das Lernen klappt mit viel Spaß, die Kids bekommen für jedes erreichte Level Armbänder, wie beim Judo, darauf sind die richtig stolz und haben den Ansporn, das nächste Level zu schaffen. Im Hochsommer haben wir hier bis zu 40 Kids pro Woche auf dem Wasser. Und wenn die Kinder gut betreut sind, hast du schnell auch die Eltern als Kunden, weil sie mehr Zeit für sich selbst haben.

Windsurfen, SUPen, Kiten und jetzt Wingfoilen – während deiner Zeit hast du auch viele Trends kommen und gehen sehen. Wo siehst du Windsurfen heute im Vergleich zu den anderen Sportarten?

Der durchschnittliche Windsurfer ist schon deutlich älter geworden, keine Frage. Aber viele aus der ersten Surfer-Generation kommen jetzt mit ihren Kindern wieder zurück. Das Wingfoilen erweitert gerade für viele den Einsatzbereich in Richtung Leichtwind. Meine Einschätzung ist, dass im Leichtwindbereich das Foilen dem klassischen Windsurfen schon etwas zusetzt. Allerdings wird Windsurfen bei stärkerem Wind immer seine Berechtigung haben.

Wenn es mit der Rente doch mal so weit ist – worauf freust du dich am meisten?

Wie gesagt, derzeit habe ich noch zu viel Spaß daran. Aber den ganzen Papierkram mit Behörden, Konzessionen und die damit verbundene ständige Ungewissheit werde ich sicher nicht vermissen.

Michi, danke für das Gespräch!


Auch interessant:

Meistgelesen in der Rubrik Windsurfen