Im September 2025, einige Wochen nach dem Ende seiner Japan-Umrundung, sind wir mit Jono Dunnett zum Interview verabredet. Zweimal wird der Termin verschoben – beim ersten Mal kommt eine verheißungsvolle Windvorhersage dazwischen, beim zweiten Mal ist Jono “verhindert”, denn er verbringt eine Nacht hinter schwedischen Gardinen. Wie das alles mit seinem Windsurf-Trip rund um Japan zusammenhängt, erklärt er uns dann einige Tage später.
Puh, es ist eine aufregende Zeit. Ich bin seit kurzem zurück aus Japan und meine Freundin Yumiko, die ich in Japan kennengelernt hatte, hat mich nach England begleitet. Wir haben eine kleine Biketour entlang der Küste gemacht. Yumiko ist vor einer Schranke total unglücklich gestürzt, quasi mit null Geschwindigkeit. Vielleicht war es nur Pech, vielleicht hat sie nicht die stabilsten Knochen – jedenfalls hat sie sich den Oberschenkelhals gebrochen. Das war an sich schon schlimm genug. Aber weil der Sturz schrecklich unspektakulär war, stellte hinterher die Polizei Fragen, ob ich nicht etwas damit zu tun haben könnte. Es war absurd aber sie glaubten nicht, dass es ein Unfall war und ich musste tatsächlich eine Nacht im Knast verbringen (lacht).
(Lacht) Irgendwie schon. Glücklicherweise hat sich dann alles schnell aufgeklärt, aber es war natürlich kein schönes Erlebnis. Das Wichtigste ist, dass es Yumiko schon langsam besser geht.
Ich hatte nach meiner Europa-Umrundung ein Buch darüber geschrieben (Es heißt “In the Balance”, die Red.). Irgendwann kontaktierte mich ein Leser und sagte: “Du würdest Japan lieben!” Zu der Zeit fiel das auf fruchtbaren Boden, denn ich hatte schon im Hinterkopf, nochmal eine große Tour zu machen, schließlich bin ich schon über 50. Bereits einige Jahre zuvor war Japan in meinem Kopf gewesen, aber ich hatte es als zu schwierig abgetan. Nun begann ich mich damit aufs Neue auseinanderzusetzen. Nach etwas Recherche bestätigte sich meine Befürchtung einer sehr schweren Route. Aber wenigstens würde es an Land sicher sein.
Einmal rund um Indien! Das wäre sicher auch faszinierend gewesen. Aber ich hatte Sorge, dass ich dort im Wasser sofort krank geworden wäre. Diesbezüglich war Japan deutlich entspannter. Auch die Strecke schätzte ich von der Länge her als passend ein, denn natürlich wollte ich nicht um die halbe Welt fliegen und nach zwei Wochen surfen war’s das. Auch eine Umrundung der kompletten Ostsee hatte ich im Kopf, aber irgendwie fügte sich für den Japan-Trip einfach alles zusammen. Einem in Japan lebenden Freund erzählte ich von meinen Gedanken und er war sofort super enthusiastisch und bot an, mich vom Flughafen aufzusammeln und mir bei der Organisation zu helfen. Damit war die Sache geritzt.
Schon einige Monate. Wenn du mal versucht hast, ein 3,80 Meter langes Raceboard bei der Airline anzumelden, weißt du was ich meine (lacht).
Es war leichter als gedacht, wohl deshalb, weil meine Europa-Umrundung vor einiger Zeit auf jeden Fall wahrgenommen wurde. Auf Basis meiner Erfahrungen wollte ich diesmal ein Raceboard, das vor allem in kabbeligen, welligen Bedingungen ideal ist. Beim Round Europe hattet ich ein Raceboard von Starboard benutzt, das ist großartig auf Raumwindkurs, aber es schlägt auf Amwind etwas gegen die Wellen. Das Raceboard von Unifiber läuft hingegen auf Amwind sanfter und hat mehr Volumen im Bug, was gut ist, um auch Gepäck vor dem Mastfuß zu transportieren. Ich habe deshalb bei Unifiber angefragt und – zu meiner Überraschung – sofort eine Zusage bekommen, das war großartig.
Ich habe mein altes Gepäck-Fass verwendet, nur die Halterung für das Board musste ich anpassen. Auch den Bugbereich des Boards habe ich nochmal modifiziert, damit es die Wellen besser teilt. Bei meinem Round-Europe-Board hatte ich teilweise das Problem, dass der Bug sich sehr stark eingegraben hat, wenn er mal ins Wellental eingestochen war.
Es hat lange gedauert, bis ich mich eingewöhnt hatte. Rückblickend kann ich nur den Kopf darüber schütteln, wie schrecklich unvorbereitet ich war. Ich hatte keine Ahnung, was mich abseits des Wassers erwarten würde.
Als ich ankam, wusste ich nicht mal, wie man in den vielen kleinen Lebensmittelläden bezahlt – in bar – oder wie ich mein Mobiltelefon ins Laufen bringe. Mein Freund Paul musst mich in den ersten Tagen erstmal aufs richtige Gleis setzen, damit ich lebensfähig werde (lacht). Ich war ziemlich gestresst, endlich zu starten, denn von Anfang an, hatte ich im Nacken, dass mein Visum nach 90 Tagen ablaufen würde. Die ersten Tage bin ich mit Jetlag gesurft. Direkt am zweiten Tag brach mir bei viel Wind die Halterung fürs Gepäck. Ich habe Paul angerufen, er hat Carbon und Harz bestellt und ich surfte zurück zum Startpunkt, um alles zu reparieren. Das hat mich ein paar Tage gekostet.
Die Ostküste, wo ich gestartet bin, ist generell sehr exponiert. Das ist offener Pazifik und es gibt keinen natürlichen Schutz, wie vorgelagerte Inseln. Zum Anlanden musste ich daher die zahlreichen Häfen nutzen, die es hier gibt, denn die Gegend ist stark industriell geprägt. Die Hafenanlagen sind allerdings meist wenig einladend, um nicht zu sagen einschüchternd, denn jeder Hafen ist von massiven Mauern und Molen umgeben, wegen der Tsunami-Gefahr. Die Wellen reflektieren sich an der Uferbefestigung, dementsprechend ist es davor ein einziges Chaos. Und wenn du es dann an Land geschafft hast, sind es manchmal viele Kilometer, bis zu einem kleinen Supermarkt. Und dann läufst du hin und stellst fest, dass er schon geschlossen hat (lacht).
Rückblickend kann ich nur den Kopf darüber schütteln, wie schrecklich unvorbereitet ich war.
Nein, leider nicht. Ich war auch nicht scharf darauf gleich der Küstenwache über den Weg zu laufen, weil ich nicht wusste, wie meine Aktion hier so ankommen würde. Meine Befürchtung war, dass sie mir die Weiterfahrt nicht gestatten würden, aus Angst, ich könnte die Sache nicht im Griff haben.
Es hat zum Glück etwas gedauert, erst als ich die Überfahrt nach Hokkaido, der Nordinsel Japans, hinter mir hatte, hatte ich ein paar Begegnungen mit ihnen. Letztlich waren sie aber sehr nett und ich habe gemerkt, dass sie nur wollten, dass ich sicher voran komme. Ihre Sorge war vermutlich, dass ich versehentlich nach Russland abtreibe (lacht). Irgendwie war ich sogar ein bisschen froh, dass sie mich nun auf dem Schirm hatten – im Fall der Fälle hätte dies hilfreich sein können.
Das war tatsächlich ziemlich schwierig. Ich hatte im Vorfeld vermutet, dass English ein bisschen weiter verbreitet sein würde, als es de facto der Fall ist. Das war vermutlich die typische Arroganz eines Engländers, der denkt, die ganze Welt müsse seine Sprache sprechen (lacht). Mit den Leuten von der Küstenwache ging das zum Glück halbwegs. Abgesehen davon gibt es ja heutzutage zum Glück Übersetzungsprogramme auf dem Handy, die einem die Kommunikation erleichtern.
Jeder Abschnitt hatte so seine Tücken. Aber die Strecke rund um die Nordinsel Hokkaido war in der Tat speziell. Je weiter man nach Norden kommt, desto weniger industrialisiert ist die Küste. Dafür hast du dann an Land andere Probleme – Bären zum Beispiel.
Ich hatte das schon auf dem Zettel, es war eine meiner größten Sorgen im Vorfeld. Paul hatte mir gleich zu Beginn Bärenspray in die Hand gedrückt. Auf der Halbinsel Shiratoko habe ich vom Wasser aus einen gesehen, der am Strand entlang lief. Irgendwann musste ich aber anlanden. Alles sah sicher aus, aber als ich mich aufmachen wollte, um Wasser zu suchen, sah ich plötzlich einen in der Nähe. Ich duckte mich weg, holte mein Bärenspray raus und gab mich zu erkennen. Letztlich muss man so handeln, als möchte man einen Hund verscheuchen: Laut rufen und Krach machen! Schade irgendwie, denn es sind tolle Tiere. Aber es geht nicht anders.
(Lacht) Nein, nicht wirklich. Ich habe am Abend viel Feuerholz gesammelt und musste die ganze Nacht ein Feuer am brennen halten. Am Morgen brachte ich gerade ziemlich gerädert mein Board über die Steine ins Wasser. Als ich mich umdrehte, um das letzte Gepäck zu holen, schaute mich plötzlich ein Bär an. Das Spray war da natürlich schon gut verpackt in der Tasche (lacht). Aber auch diesmal hat es geklappt, ihn zu verscheuchen. Bären sind keine hirnlosen Psychopathen, die dich töten wollen, eigentlich sind es scheue Wildtiere, das habe ich schnell verstanden. Es ist toll, sie gesehen zu haben!
Während meiner früheren Reisen hatte ich oft Unterstützer, bei denen ich mal übernachten konnte. Mittlerweile brauche ich das nicht mehr unbedingt und habe mich dementsprechend weniger um solche Kontakte gekümmert – daher habe ich fast immer im Zelt genächtigt. Man muss auch feststellen, dass Windsurfen in Japan in manchen Regionen zwar sehr beliebt ist, aber in den meisten Landesteilen spielt das überhaupt keine Rolle.
Man denkt immer ganz Japan ist voll von Hightech-Industrie. Das trifft auf gewisse Ballungsräume zu, aber der Großteil Japans ist ziemlich ländlich geprägt, ohne Tourismus, da wird gefischt aber sonst passiert da nicht viel. Die Kultur ist nicht so, dass du nicht sofort umringt wirst von Menschen, wenn du da als Europäer dein Surfmaterial aus dem Wasser holst. Jeder lässt dich machen, was du willst, aber es ist eher freundlich-distanziert. Niemand sagt dir: “Das kannst du nicht tun!”. Aber es sagt in der Regel auch niemand irgendwas (lacht). Hinzu kommt, dass ich einen anderen Rhythmus hatte. Wenn ich vormittags meine Sachen im Hafen zu Wasser ließ, waren die Einheimischen bereits seit einigen Stunden auf dem Meer beim Fischen.
Als Tourist darf man 90 Tage bleiben. Wenn du vor dem Ablauf in ein „Immigration Office“ gehst, kannst du es um weitere 90 Tage verlängern lassen. Dieses halbe Jahr brachte mich einmal komplett um die Nordinsel und wieder zurück auf die Insel Honshu. Im letzten November lief es dann ab und ich musste ein paar Tage ausreisen. Glücklicherweise hatte ich da bereits meine Freundin Yumiko kennengelernt und wir sind ein paar Tage nach Südkorea gereist.
Das war natürlich großer Zufall. Ich war gerade am Nordende der Insel Honshu angekommen und wartete auf günstiges Wetter zum Übersetzen nach Hokkaido. Dort gab es einen Onsen (jap. Thermalbad, die Red.). Ich war frisch geduscht, rasiert und gekämmt und sah nicht annähernd so zerzaust aus wie üblich (lacht). Ich sah sie, als sie ein Buch in einem Waschsalon las, aber sprach sie nicht an. Einen Tag später hat sie das dann gemacht, als ich ihr auf der Straße nochmal begegnete. Wir gingen was essen und einen Tag später bin ich nach Hokkaido gesurft. Aber natürlich blieben wir in Kontakt und ein paar Tage später, an einem Wochenende mit fürchterlichem Wetter, kam sie mir hinter her gereist – und begleitete mich einige Wochen. Das war natürlich Gold wert, weil ich an Land plötzlich Gesellschaft und Unterstützung hatte. Es nahm mir den Druck, immer genau an bestimmten Orten stoppen zu müssen.
Wie gesagt, ich kam etwas verzögert los und als eine Böe mein schönes Segel auf einen Zaun geworfen und zerstört hatte, musste ich erst Ersatz organisieren. Spätestens danach war klar, dass ich die Strecke entlang der Nordwestküste nicht mehr vor Einbruch des Winters würde bewältigen können. Ich hätte erwartet, dass die Nordwestküste im Japanischen Meer deutlich entspannter werden würde als die Pazifikküste. Das war ein völliger Irrglaube!
Der Wind weht von Sibirien rüber über das Japanische Meer und kommt auflandig. Da staut sich dann der Wind und es regnet oder schneit. Hinzu kommt, dass der Wind durch das steile Ufer geblockt wird, was bedeutet, dass du kaum Wind hast, dafür aber andauernd Dünungswellen, Seenebel und Nieselwetter. Herrlich. Ich hatte lange die Hoffnung, ein Zeitfenster mit gutem Wetter zu erwischen, um ein paar hundert Kilometer in Richtung Süden und damit in wärmere Gefilde zu gelangen, aber diese erfüllte sich leider nicht. Die Winterwochen haben wir genutzt, um Yumikos Apartment zu renovieren, im März konnte meine Reise dann endlich weitergehen. Yumiko musste wieder beginnen, zu arbeiten und ich war mehr auf mich alleine gestellt. Aber je weiter ich nach Süden kam, desto angenehmer wurde es – wärmeres Wetter, moderater Wind und entlang der Insel Kyushu auch einige Abschnitte mit vorgelagerten Inseln, die die Wellen blockten.
Die angenehme Phase hielt nur eine Weile, dann begann die Regenzeit. Das bedeutete: Oft Flaute, immer feucht-heiß und meistens Regen oder Nebel. Aber wenn du bereit bist, auch mal zwei Kilometer im knien zu paddeln, kommst du schon immer irgendwie voran (lacht).
Wie erwähnt, musste ich das Segel ja im Winter einmal ersetzen, weil es auf einem Zaun gelandet war. Abgesehen davon leidet das Equipment natürlich, zum Ende hin hatte ich schon so manches Loch am Board und im Segel geflickt. Ein Gamechanger für mich war, dass ich auf eine andere Finne gewechselt bin. Schon entlang der Pazifikküste hatte ich oft das Problem, dass Fischernetze mit den Weg versperrten. Diese sind oft am Ufer befestigt und reichen dann bis zu zwei Kilometer hinaus. Ich musste deshalb oft weit entfernt von der Küste surfen, dort wo die Strömung sehr stark ist und große Umwege in Kauf nehmen – bis ich auf eine spezielle Finne gewechselt bin.
Ja, sowas in der Art. Ich habe bei Select Fins angefragt und sie fertigten mir eine extrem stabile Finne aus Carbon an und sendeten sie an einen Kontaktmann in Japan. Das Teil hat mir viele Umwege erspart, weil ich damit über die Netze rübergekommen bin.
Man muss leider feststellen, dass unsere Meere überall auf der Welt in keinem guten Zustand sind. Dort wo nicht Menschen die Strände aufräumen, sieht es schlimm aus. Das ist in Japan genauso wie rund ums Mittelmeer. Es ist viel Plastikmüll dabei, ein Großteil davon stammt aus der Fischereiindustrie. Wenn du in den großen Häfen ankommst, lagern da Berge von alten Netzen, Körben und anderen Behältern. Es ist scheinbar so billig das Zeug herzustellen, dass es nicht wirtschaftlich ist, die alten Sachen zu recyceln.
Ich machte mir vorher viele Gedanken, ob ich dort einfach würde vorbeisurfen können. Erstaunlicherweise war es überhaupt kein Problem, dorthin zu gelangen. Ich landete direkt am nahen Hafen Daiichi an. Man ist dort keine Besucher gewöhnt und es dauerte nicht lange, da stand die Polizei auf der Matte. Aber am Ende war es kein Problem, denn es ist nicht verboten, hier anzulanden. Es leben dort immer noch einige Menschen und in dem riesigen Hafengelände liegen sogar noch einige Fischerboote. Aber die Umgebung sieht gespenstisch aus, denn die ganze Landschaft wurde unter einer Schicht aus Erde und Sand begraben, um die radioaktiv verstrahlten Schichen abzudecken.
Ich habe schon was zu tun, was mir den Übergang in einen normalen Alltag erleichtert. Ich möchte ein Buch über den Trip schreiben. Nicht, um damit Geld zu verdienen – eher, um dieses Kapitel für mich abzuschließen. Yumiko ist hier und wir genießen die Zeit zusammen – wenn ich nicht gerade im Gefängnis lande (lacht). Aber ich denke früher oder später will ich schon nochmal auf Reisen gehen. Die Küste Südamerikas bis runter nach Patagonien, das wäre der Hammer.