Tobias Frauen
· 06.07.2025
Es ist kein Geheimnis, dass Joggen nicht gerade Philip Kösters Lieblings-Beschäftigung ist. Die paar hundert Meter, die Köster am Sonntag Abend am Strand von Pozo laufen musste, werden ihm aber in besonders schlechter Erinnerung bleiben. Im Finale musste Köster bei einem hohen Sprung den Schleudersitz auslösen, sein Material flog ein gutes Stück in Richtung Bunker. Schwimmend, kriechend und über die Steine balancierend bekam er es erst an Land wieder zu fassen. Statt den “Walk of Shame” in Angriff zu nehmen, joggte Köster in Richtung seines Ersatz-Sets, um seinen Heat weiter zu fahren. Mit noch vier Minuten auf der Uhr war er wieder auf dem Wasser - leider zu spät, um noch genug Punkte zu holen. Doch nach seinem Sieg in der Single Elimination gestern ging es dann ins Super Final!
Der Tag in Pozo begann ähnlich wie gestern: Auch am zweiten Tag des Gran Canaria Gloria Windsurf World Cup ballerte es mit teils mehr als 50 Knoten Wind. “Wenn die Männer auf ihren kleinsten Segel fahren, wäre es verantwortungslos, die Damen rauszuschicken”, so die Judges. Sarah-Quita Offringa war jedenfalls nicht traurig, noch ein wenig warten zu müssen: “Ich war heute morgen mit 3,3 draußen, das war nicht fahrbar, und danach hat der Wind nochmal zugenommen”, erzählte sie im Livestream. Jeder, der vor dem PWA-Mikro nach den Bedingungen gefragt wurde, sagte kopfschüttelnd, dass er noch nie bei solchen Bedingungen gefahren sei. “Es ist pures Überleben”, so Weltmeister Marcilio Browne. “Ich versuche einfach Run für Run, irgendwie auf dem Board zu bleiben.”
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Die Herren hatten zu kämpfen: Wenn ein Ricardo Campello oder ein Liam Dunkerbeck einfach von einer Böe abgeräumt wird, dann kann man sich ausmalen, wie brutal die Bedingungen waren. “Schon geradeaus zu fahren, ist unglaublich schwer, von sauberen Manövern ganz abgesehen”, versuchte PWA-Kommentator Ben Proffitt die Lage für die Zuschauer zu beschreiben. Triple-Wetter also? Nicht ganz, denn der Wind war ein wenig mehr nördlich als sonst, so dass der Winkel ungewohnt und nicht ideal war - tatsächlich hatten auch Leute wie Victor Fernandez oder Liam Dunkerbeck Probleme, ihre sonst so sicheren Doppelloops zu zeigen.
Trotzdem natürlich ein perfektes Setup für einen Sonntag am Livestream mit der Double Elimination der Herren! Kann jemand Philip Köster, dem Sieger von gestern, den Sieg streitig machen? Sehen wir eine märchenhafte Aufholjagd? In der ersten Runde der Double Elimination fanden sich jedenfalls überraschend einige Namen, deren Stammplatz eigentlich deutlich weiter vorne ist: Ricardo Campello, Julian Salmonn, Dieter van der Eyken oder Arthur Arutkin hatten nach ihrem frühen Aus gestern sicherlich noch eine Rechnung offen.
Es gibt keine Worte, um zu beschreiben, wie windig es hier ist! Carlos Kiefer Quintana
Der erste, der für ein Raunen am Strand und an den Bildschirmen sorgte, war Lennart Neubauer. Der Freestyle-Weltmeister zeigte einen perfekten Pushloop Forward und bewies sein immenses Talent. Was noch fehlt, ist der letzte Feinschliff in der Welle, so dass in Runde zwei Schluss war. Routinier Dieter van der Eyken hingegen legte seine ganze Erfahrung in die Waagschale, fuhr perfekt durchchoreografierte Heats und arbeitete sich vier Runden weiter nach vorne. Gestoppt wurde er erst, als er in den ersten Minuten seines Heats bei einem megahohen Frontloop sein Board zerstörte. Auch Arthur Arutkin fuhr vier Runden nach vorne, obwohl er mit einer Grippe eigentlich ins Bett gehörte. Noch etwas weiter kam Pozo-Local Mike Friedl, der von seinen Kumpels Liam Dunkerbeck und Marino Gil Gheradi so sehr gepusht wurde, dass er bis auf Rang 11 nach vorne fuhr!
Generell war die vierte Runde, bei der die Besten der Double Elimination erstmals auf die größeren Namen aus der Single trafen, ein großes Aussortieren. Das traf auch Julian Salmonn, der im Vorjahr in Pozo sensationell bis ins Finale gefahren war. Nach vier gewonnenen Heats war gegen Ricardo Campello Schluss. Der wiederum war drauf und dran, ein echtes Sport-Märchen zu schreiben: Im Spätherbst seiner Karriere, ohne Sponsoren, nur Dank Wildcard am Start und gestern raus in Runde eins - heute dann ein Durchmarsch in beeindruckender Form: Ricardo war in den meisten seiner Heats ruhig und abgeklärt, sammelte alle wichtigen Punkte und ließ sich auch von dem einen oder anderen langsamen Start oder Crash nicht aus der Ruhe bringen. Mit einem NeilPryde-Segel aus dem letzten Jahr (mit Martin Garrix-Logo) und einem größeren Board (bei seinem kleinen Brett hatte sich wohl nach unzähligen Landungen die Bodenkurve verbogen) arbeitete er sich Runde für Runde nach vorne.
Erst im Heat um Platz sechs war gegen Local Liam Dunkerbeck Schluss, Campello war mit seinen Kräften am Ende, er hatte bereits sieben Heats in den Knochen. Auch ein nahezu perfekter Pushloop Forward am Ende des Heats reichte da nicht aus gegen Liam, der vor allem mit beeindruckenden Wave-Scores Punkte sammeln konnte - es wirkte streckenweise als tanzte er in den Wellen, immer frenetisch angefeuert von Vater Björn. Erst gegen Marc Paré war dann Schluss, der Simmer-Mann war etwas frischer und konnte nicht nur mit den etwas besseren Wellen, sondern auch mit einem besseren Doppelloop die entscheidenden Punkte sammeln. Neben der Wellen-Auswahl war bei den nuklearen Bedingungen auch Kraft und Ausdauer entscheidend: Teilweise waren selbst saubere Bottom Turns fast unmöglich, und immer wieder war zu sehen, wie den Fahrern das Segel einfach aus der hinteren Hand gerissen wurde, so stark waren die Böen. “Das ist kein normaler fünfter Platz, das ist etwas ganz Besonderes!” sagte Liam nach seinem Heat, so außergewöhnlich waren die Bedingungen.
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Nach Vierer-Heats in den ersten Runden ging es nun in den Top vier immer Mann gegen Mann. Wie von den Kommentatoren prophezeit, konnte keiner der ausgelaugten Fahrer aus der Double den Top 4 von gestern gefährlich werden. Und auch sonst zeigte sich eine klare Hackordnung: Marc Paré sah zwar gegen Marino Gil Gherardi nach einem perfekten Doppelloop lange wie der Sieger aus, am Ende konnte der Sieger aus dem vergangenen Jahr den Spieß dann doch noch umdrehen. “Ich bin happy, aber natürlich wäre ich gerne noch ein bisschen weiter nach vorne geklettert”, so Paré. Weltmeister Marcilio Browne holte dann im nächsten Heat früh alle Top-Sprünge heraus, während Marino in der Wellen-Wertung vorne lag. Nach einem Zehn-Punkte-Pushloop Forward lag Gil dann wieder in Schlagdistanz, mit einem der heute so seltenen Stalled Doubles hätte er in den letzten Sekunden noch den Sieg holen können, fand jedoch keine Rampe.
Also stand Browne abermals im Finale gegen Philip Köster, der mit einem sehr guten Pushloop Forward vorlegte. Doch dann das Drama um die Lauf-Einheit: Köster verlor in der Luft sein Material, das danach herrenlos Richtung Bunker trieb. Caddy-Unterstützung ist bekanntlich nicht erlaubt, so dass Philip über die Steine an Land musste und dann die eingangs erwähnte Lauf-Einheit einlegte. Mit neuem Material schaffte er in den verbliebenen vier Minuten zwar noch eine gute Welle, doch Brawzinho hatte in der Zwischenzeit genügend Punkte gesammelt und war der sichere Sieger.
Dann also das Super Final als großer Schlusspunkt eines denkwürdigen Wochenendes. Kann Browne seinen unglaublichen Lauf fortsetzen? Oder behält Köster an seinem Homespot die Hoheit? Sein Team hatte in der Pause harte Arbeit: Köster aufmuntern, ihn wieder in die Spur bringen und die Jogging-Einlage aus dem Kopf bekommen. Das gelang offenbar perfekt: Köster war on fire, knallte gleich zu Beginn des Heats einen weiteren perfekten Pushloop Forward raus, legte mit einem durchgeglittenen Frontloop nach und nahm gleich noch eine solide Welle mit. Brown hingegen zeigte Nerven und crashte seinen ersten Versuche. Erst in der zweiten Hälfte kam er wieder in den Rhythmus und zeigte einen der besten Doppelloops des Tages. Doch da Köster auch auf der Welle ein Feuerwerk nach dem anderen abbrannte und seiner unglaublich leichtfüßigen Art Goiter, 360er, Takas und radikale Turns aneinander reihte, war ihm der Sieg an seinem Homespot nicht mehr zu nehmen!
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„Jeder Sieg ist ein besonderer, aber natürlich ist ein Erfolg zu Hause, wo meine Familie am Strand steht und mich unterstützt noch einmal außergewöhnlicher. Wenn ich in die Augen meiner Kinder und meiner Frau schaue, bevor ich aufs Wasser gehe, gibt mir das einen zusätzlichen Kick. Vielleicht war es genau der, der am Ende den entscheidenden Unterschied gemacht hat. Das Level auf dem Wasser war dieses Mal unfassbar hoch. Ich ziehe den Hut von meinen Konkurrenten, die es mir wahrlich schwer gemacht haben in den vergangenen zwei Tagen. Und obwohl es mein bereits achter Erfolg hier auf Gran Canaria ist, muss ich sagen: Es fühlt sich immer wieder gut an. Ich möchte mehr davon“, sagte ein glücklicher Köster mit einem Lächeln.