Stephan Gölnitz
· 05.02.2023
Für 2023 peilen zumindest einige Firmen für die Top-Bauweisen im Board-Segment die 3000-Euro-Marke an. Stopfen die Marken sich damit die Taschen voll? Wohin wandert das Geld? Eine Recherche-Reise vom Rohmaterial bis zum Board im Shop.
Der breite Schreibtisch ist aufgeräumt wie ein Surfcenter von Harry Nass. Auf Kante stapeln sich die Papiere, kein Krümelchen Sand ist zu sehen. In einer der großen Drehscheiben für Surfmaterial in Deutschland sitzt Flo Brunner, Importeur für Starboard und Severne, und rattert Frachtkosten, Margen und Dollarkurse der letzten Jahre herunter – wie ein Wirtschaftsprüfer nach dem dritten Bohnenkaffee. Bei der Preis-Recherche treffen wir auch noch Manfred Rassweiler, Geschäftsführer der Pryde Group und Craig Gertenbach, Brandmanager von Fanatic. Allesamt auf jeden Fall fanatische Wassersportler, die dabei den Spagat zwischen Business und Boardshort praktizieren und beim Jonglieren mit den Zahlen ebenso engagiert erscheinen wie am Gabelbaum. Die anstehenden Preissteigerungen – das kann man tatsächlich spüren – bereiten keinem wirklich Freude.
Die Haupt-Preistreiber sind schnell gefunden: Gestiegene Transportkosten und der veränderte Dollar-Wechselkurs. Boards sind nämlich aus Sicht eines Spediteurs ziemlich undankbar, im Verhältnis zum Warenwert gehen einfach zu wenige in einen Container. Ein Seecontainer voller iPhones kostet vermutlich auch nicht mehr, doch bei solchen hochpreisigen, kleinen Einheiten spielt der Transport eine prozentual viel geringere Rolle. „Apple hat sogar einen eigenen Flughafen in China gebaut“, erzählt Manfred Rassweiler, „für solche Produkte sind die Transportkosten weniger relevant, sie müssen in erster Linie möglichst schnell und just in time geliefert werden, da spielen Zinsen und Kapitalbindung eine deutlich größere Rolle.“
Ein 40-Fuß-Container aus Asien, egal, ob aus China oder Thailand, kostete vor Corona – da nennen alle Marken annähernd die gleichen Preise – rund 2000 Euro. Die Reedereien wären aber nicht die avisierten Nachfolger der Freibeuter der Meere, hätten sie nicht während der Pandemie, frei nach Angebot und Nachfrage, die Preisschraube wirklich schmerzhaft angezogen: auf 16.000 bis 18.000 Euro.
„2021 und 2022 waren unsere Frachtkosten extrem volatil, die gingen bei Neopren von einem Anteil von zwei Prozent des Warenwertes auf acht – und dann nochmal von acht auf 16 Prozent“, berichtet der NeilPryde-Boss. „Bei Boards lagen wir 2019 bei etwa vier bis fünf Prozent und jetzt aktuell bei 15 Prozent des Warenwertes.“ Kosten, die für die Jahre 2020 und 2021 in den Endpreis im Shop überwiegend gar nicht einkalkuliert waren – weil keiner damit rechnen konnte. Denn die Kalkulation für 2020 lag spätestens im Sommer 2019 ganz oben auf dem To-do-Stapel – und zu dem Zeitpunkt war Corona nur ein mittelmäßiges, mexikanisches Bier. „Wir haben die letzten zwei Jahre die gestiegenen Transportkosten nicht wirklich einkalkuliert“, sagt Gertenbach, „obwohl diese von 25 Euro auf 150 Euro pro Board gestiegen sind.“ Das trifft die 2023er-Produkte daher umso härter.
Während Boards von den Frachtkosten naturgemäß stärker betroffen sind als Segel, treibt der Dollarkurs wiederum vor allem den Segelherstellern den Schweiß auf die Stirn. „Wir können Boards beim Produzenten in Thailand in Euro bezahlen“, erzählt Craig Gertenbach, „aber der Dollar hat dennoch zumindest starken Einfluss, weil der Produzent Rohware in Dollar einkauft.“ Für Segel, die häufig in China produziert werden, sind dagegen immer die grünen Dollarnoten fällig. Hier schlägt der Umrechnungskurs eins zu eins voll durch. Und „der lag mal bei 1,22 (Red.: im Herbst 2020) und ist zwischenzeitlich unter Parität gefallen“, sagt Gertenbach. Auf gut deutsch: Ohne irgendwelche zusätzlichen Leistungen waren bei Bezahlung in Dollar plötzlich fast 20 Prozent mehr Euro vom Konto weg als zuvor.
Streng kaufmännisch gerechnet müsste der Preis bei diesen Faktoren, behaupten die Experten, um 25 bis 30 Prozent angehoben werden. „Bei uns sind das für 2023 am Ende elf Prozent bei der Team Edition geworden und neun bei einigen anderen Modellen“, relativiert Gertenbach die Preiserhöhungen. Und JP-Chef Rassweiler behauptet sogar: „Wir haben versucht, Preissteigerungen möglichst wenig weiterzugeben – auf Kosten unserer Marge. Und das versuchen wir, bei den Kosten wieder einzusparen, indem wir Ausgaben für R&D, Marketing und Team von einem Anteil von sechs auf vier Prozent reduzieren. Die Pro-Edition liegt damit bei 2699 Euro, bei gleichem Gewicht wie teurere Mitbewerber.“
Hierbei exakte Vergleiche zu ziehen, ist zugegeben schwierig. Denn ob eine JP-Pro-Bauweise tatsächlich mit der Team Edition von Fanatic beispielsweise eins zu eins zu vergleichen ist, sieht zumindest Fanatic-Mann Gertenbach anders: „Wir und RRD verwenden als einzige Biax-Innegra-Gewebe, das deutlich teurer ist. Ein Freewave in Glas-PVC dagegen kostet bei uns ebenfalls 2499 Euro.“ Doch losgelöst von solchen Feinheiten im Markenwettstreit, bei denen auch wir nicht ohne Kettensägen-Autopsie unters Harz schauen können, bleibt die Frage, wie generell der UVP (empfohlener Verkaufspreis, zu dem ein Board im Laden liegt) entsteht.
Marken, Importeure und Shops spielen dabei kein Margen-Monopoly, der endgültige Board-Preis wird für Windsurfboards auch nicht gewürfelt, sondern ist das Resultat aus seriösen – teils messerscharfen – Kalkulationen. Alle Produkte durchlaufen vom Produzenten über die Marke, den Importeur bis hin zum Shop meist vier Etappen, die alle einen nicht unerheblichen Beitrag in der sogenannten Wertschöpfungskette leisten. Einen Beitrag, der das endgültige Produkt im Shop erst ermöglicht – der aber auch Kosten verursacht, die mit entsprechenden Margen gedeckt werden müssen. Diese ominöse Marge, die über jedem Vertriebler schwebt wie seine lebensnotwendige Infusion, ist einfach die prozentuale Differenz zwischen Verkauf und Einkauf und wird von oben gerechnet. Für den Händler also von der unverbindlichen Preisempfehlung ausgehend, für den Importeur vom Händler-Einkaufspreis und so weiter – über die jeweilige Marke bis zu den Produzenten und schließlich deren Rohstofflieferanten. Die Marge ist dabei entscheidend für die Wirtschaftlichkeit – oder manchmal auch schlicht die Überlebensfähigkeit eines Betriebes.
„Wer nie etwas mit Kalkulation zu tun hatte, denkt vielleicht, da macht jeder 100 Prozent Marge“, weiß Gertenbach, „doch dann muss man mal einen Taschenrechner nehmen und das richtig ausrechnen.“ Zwischen 20 und 30 Prozent bleiben nach unseren Schätzungen pro Stufe hängen. Nicht viel im Vergleich zu einem Poloshirt mit mindestens doppelt so hohen Margen, von denen sich ungefähr 40 Stück stapeln lassen – während im Surfshop maximal ein Board Platz findet. Beim Shirt fallen dazu die erforderliche Beratung, Service oder vielleicht sogar Garantie-Abwicklung in der Regel weg.
Die Margen müssen neben den üblichen Kosten für Mieten, Personal, Finanzierung auch dass Marketing abdecken. „Die großen Marken stecken viel in die Entwicklung, bringen oft neue Shapes, kleinere Marken können sich sicherlich nicht so häufig neue Formen leisten“, ergänzt Fanatic-Boss und -Cheftester Gertenbach. Doch die Zeiten, als Manager nach Hawaii geflogen sind, sich einfach den besten Fahrer gesucht haben und ihm das Doppelte geboten haben wie die alte Brand, sind auch bei den großen Marken lange vorbei. „100.000 Euro, und du machst dir einen Sticker auf dein Custom“, das klingt für Teamfahrer der Generation Z wie das Happy End aus Windsurf-Opas Erzählstunde. Heute sind die meisten Teamfahrer, die am Ende auch aus einer der Margen bezahlt werden müssen, nicht mehr reine Werbeträger, sondern müssen einen ordentlichen Beitrag direkt für das Produkt leisten.
„Einfaches Beispiel“, sagt Flo Brunner, „der Kunde möchte das für ihn schnellste Freeraceboard. Das bekommt er aber nur, wenn der Teamfahrer in der Entwicklung einen guten Job gemacht hat. Auch Gunnar Asmussen oder Sebastian Kördel lassen ihre Erfahrungen in die Entwicklung einfließen.“ Und ein Sport ganz ohne Profis wäre auch sonst vermutlich nur noch die Hälfte wert. Wer guckt sich nicht lieber ein Wave-Finale auf Maui oder Slalomrennen in Israel im Livestream an, als die (missglückten) Powerhalsen am heimischen Baggersee?
Neben dem Team, das einerseits für Unterhaltung sorgt und obendrein für die bestmöglichen Produkte, stellen die Marken Material für Testveranstaltungen: von Händlertests bis zum großen Surf-Festival. Natürlich ist das auch Werbung für die eigene Marke, aber dennoch eine schöne Gratis-Surfmöglichkeit für jeden. „Rund 180 Demo-Boards und noch mehr Riggs haben wir dafür in unserem Vertriebsbereich pro Jahr – für Endverbrauchertests oder Magazine beispielsweise“, rechnet Manfred Rasssweiler vor.
Große Lager bei den Importeuren sorgen obendrein dafür, dass im Idealfall jederzeit auch das gewünschte Board schnell verfügbar ist, „wenn ein Kunde drei Tage vor dem Urlaub noch schnell ein Board, Mast und Gabel benötigt“, sagt Brunner. „Die Kunden kaufen nicht mehr auf Vorrat, schon im Winter für die kommende Saison, sondern erst bei aktuellem Bedarf.“ Gratis ist dieser Service natürlich nicht zu leisten. Nicht nur wegen der Lagerhaltung, allein die Bestellung ins Blaue enthält ein nicht unerhebliches Risiko. Nur etwa 20 Prozent eines Jahresvolumens gehen bei manchen Importeuren als Vorbestellung der Händler ein, die übrigen 80 Prozent sind „ein Blick in die Glaskugel“, so Brunner. Für Ware, die großteils vorfinanziert werden muss. Auch wenn die Preiserhöhungen 2023 schmerzen – langfristig bleiben so auch die Preise beim Wiederverkauf hoch. Aber eine völlig andere Entwicklung dürfte Endverbrauchern in die Karten spielen: die Post-Corona-Depression.
Während der Corona-Pandemie 2020 und 2021 kamen die Warenströme aus Asien weitgehend zum Erliegen. Diese Mangellage traf auf eine große Nachfrage im Wassersportbereich. Für Verkäufer waren das gute Zeiten, verkauft werden konnte quasi alles und zwar ohne Rabatt. Die Hersteller reagierten auf diese Boom-Situation mit einer Steigerung der Produktion. Seit der Warenverkehr wieder annähernd reibungslos läuft, haben sich die Lager der Anbieter gefüllt. Gleichzeitig kühlte sich die Konsumlust der Endverbraucher als Folge von Ukraine-Krieg, Inflation und ungewissen Energiekosten im Jahr 2022 massiv ab. Somit hat sich die Grundsituation innerhalb eines Jahres um 180 Grad gedreht. Aus einer Mangellage wurde ein Überangebot. Viele Branchenvertreter erwarten für 2023 daher einen harten Preiskampf und satte Rabatte. Schwierig ist das für Hersteller und Shops, für alle Endverbraucher dürfte dies aber eine gute Nachricht im Hinblick auf die kommende Saison sein.