Jedermann-RegattaDie Macher vom “Racer of the Sea” über das Grundrecht auf Wettkampf

Manuel Vogel

 · 09.12.2022

Bis zu 50 Hobby -und Profiracer gehen beim ROTS gleichzeitig auf die Bahn.
Foto: Henning von Jagow
Bis zu 50 Hobby -und Profiracer gehen beim ROTS gleichzeitig auf die Bahn.

Weil traditionelle Regatten oft elitäre Veranstaltungen sind und Hobbysurfer eher abschrecken, riefen Oliver-Tom Schliemann und Leon Delle 2020 das Racer of the Sea Rennen ins Leben. Mittlerweile hat sich daraus die teilnehmerstärkste Regattaserie Deutschlands entwickelt. Warum jeder das Grundrecht auf Wettkampf wahrnehmen sollte – und wohin die Reise noch gehen kann, verraten die beiden im Interview.

Oliver-Tom Schliemann und Leon Delle sind mit Anfang 30 schon seit zwei Jahrzehnten auf den Regattabahnen dabei. Beide haben einen Fulltime-Job und können sich nicht gerade über Langeweile beschweren. Trotzdem organisieren sie seit 2020 die Jedermann-Regatten des Racer of the Sea (ROTS) – ehrenamtlich. Was als kleines Projekt begann, hat sich mittlerweile zur teilnehmerstärksten Regatta in Deutschland entwickelt. Grund genug, die beiden zu ihrem erfolgreichen Konzept zu befragen.

Oliver-Tom Schliemann (im Foto) und Leon Delle haben auch Pläne für weitere Ergänzungen des ROTS. Foto: Henning von Jagow
Oliver-Tom Schliemann (im Foto) und Leon Delle haben auch Pläne für weitere Ergänzungen des ROTS.

Was war damals euer Antrieb, den ROTS ins Leben zu rufen?

Oliver: Wir sind ja selbst viele Jahre bei verschiedenen nationalen und internationalen Wettkampfformaten an den Start gegangen. Wenn man am Strand mit Leuten über Regatten spricht, fällt manchmal auf, dass viele Hobbyracer zwar große Lust hätten, mal Rennen mitzufahren, sich das aber aus verschiedenen Gründen nicht zutrauen.

Was schreckt eurer Meinung nach Neueinsteiger ab? Startgelder? Regularien? Die hohe Leistungsdichte?

Leon: Ich glaube, die breite Masse hat Lust auf Wettkampf. Am Anfang denken viele, sie seien nicht gut genug. Genau da wollten wir ansetzen, als wir das Konzept Racer of the Sea im Jahr 2020 auf die Beine gestellt haben. Unsere Regatten sind für jegliches Niveau. Hauptsache ist, du kannst geradeaus fahren und halbwegs die Richtung wechseln. Es ist schade, dass der Wettkampfsport oft ein wenig elitär daherkommt. Dabei ist es eigentlich eine Sache, die allen Spaß machen kann. Letztlich wollten wir mit diesem Projekt auch ein bisschen was zurückgeben an den Sport. Das Projekt soll besonders auch Einsteiger, Jugendliche und Frauen motivieren, Regatten zu fahren. Denn diese sind bei nationalen und internationalen Regatten in der Regel unterrepräsentiert.

“Unsere Regatten sind für alle. Hauptsache, man kann halbwegs geradeaus fahren und irgendwie die Richtung wechseln.” Leon Delle

Woran liegt das eurer Meinung nach?

Leon: Egal, um wen es geht, es ist immer wichtig, nicht alleine, sondern Teil einer Community zu sein. Wenn du als Frau zu einer Regatta kommst und dann alleine im Männerfeld starten sollst, bleibt der Spaß meistens auf der Strecke. Aufgrund der wenigen Teilnehmerinnen blieb vielen Veranstaltern aber bislang keine andere Wahl, als Frauen und Männer gemeinsam auf die Bahn zu schicken. Oliver: Auch die Spotauswahl ist ein Faktor. Für Regatta-Neulinge ist die raue Nordsee in Sankt-Peter-Ording oder auf Sylt schon eine Herausforderung. Ähnlich ist es bei jugendlichen Einsteigern. Die wollen erst mal ein spaßiges Wochenende haben und sich mit ihren Eltern oder Freunden eine gute Zeit machen. Auch das Startgeld ist ein Faktor für die Entscheidung, an einem Event teilzunehmen. Deshalb versuchen wir auch, diese potenzielle Hürde bei uns so niedrig wie möglich zu halten.

Leon Delle (im Foto) und Oliver-Tom Schliemann stecken viel Herzblut in das Regattaformat ROTS. Foto: Henning von Jagow
Leon Delle (im Foto) und Oliver-Tom Schliemann stecken viel Herzblut in das Regattaformat ROTS.

Euer erster ROTS hatte 30 Teilnehmer. Wie hat sich das bis jetzt entwickelt? Die letzten beiden Jahre waren ja für Eventveranstalter nicht gerade leicht.

Leon: Wir haben 2020 mitten in der Pandemie damit angefangen und sofort gemerkt, dass die Idee zünden kann. Aufgrund der Auflagen mussten wir das Feld auf 30 Teilnehmer begrenzen, was für uns zum Üben aber auch genug war. Unterm Strich stand danach allerdings ein Minus. Bis heute sind die Teilnehmerzahlen gewachsen, beim Racer of the Sea V auf Fehmarn gab‘s einen Teilnehmerrekord mit 68 Anmeldungen.

Wenn es für euch ein Minusgeschäft war: Wieso habt ihr damals weitergemacht?

Leon: Wir bekamen einfach gutes Feedback. Viele Teilnehmer und Eltern haben sich bedankt – für uns war das ein Signal, dass es einfach weitergehen musste. Da wir beide einen Vollzeitjob haben und das Ganze nebenbei machen, war es für uns jetzt auch nicht so entscheidend, dass wir damit Geld verdienen mussten. Wären wir alles kommerziell angegangen, hätten wir wohl nach dem ersten Event wieder aufgehört.

Stichwort Startgeld: Ihr steckt zu zweit eine Menge Arbeit rein und organisiert das alles. Ist der ROTS ein gewinnorientiertes Konzept?

Oliver: Wir haben uns bis heute noch keinen Cent ausgezahlt. Für die ersten Rennen haben wir uns vom Startboot, über Bojen und Flaggen bis hin zu Funkgeräten alles von Freunden und Bekannten ausgeliehen. Wir machen die ganze Orga bis heute komplett ehrenamtlich – und jeder Euro, den wir übrig haben, fließt in den ROTS zurück, damit wir den Standard verbessern können.

Wie sieht euer Regattakonzept auf dem Wasser aus? Was unterscheidet den ROTS von anderen Regatten?

Leon: Alles soll möglichst einfach sein. Daher gibt‘s kein Elimination-Konzept, wo in mehreren Heats gegeneinander gefahren wird. Vor allem Einsteiger überfordert das oft. Weil man sich nicht nur merken soll, in welchem Lauf man ist und wie man sich platziert hat – sondern auch noch an der Startlinie den Überblick behalten muss. Daher gehen beim ROTS alle gemeinsam und zeitgleich auf die Strecke. Dadurch limitieren wir aber auch die Teilnehmerzahl auf 50 pro Kategorie, damit es nicht zu unübersichtlich wird. Die einzige Aufteilung, die wir vornehmen, ist Finne versus Foil. Es gibt immer ein Finnen-Feld, in dem nur mit Finne gestartet wird. Auch das ist für Einsteiger wichtig, denn ein Rennen mit dem Foil zu fahren, ist schon eine Herausforderung. Ein weiteres Feld ist offen bezüglich Finne und Foil – man kann, je nach Bedingungen, entscheiden, womit man an den Start geht. Es gibt eine eigene Wertung.

“Dass auch nationale Topfahrer dabei sind, gehört zum großen Reiz der Regatta.” Oliver-Tom Schliemann

Beim ROTS sind auch Profis am Start. Inwiefern ist das Teil des Konzepts?

Leon: Der ROTS ist eine einsteigerfreundliche Regatta, aber eben keine Einsteigerregatta. Jeder kann mitfahren, auch Pros und Semipros. Zum Reiz solcher Veranstaltungen gehört es also auch, mal mit den Besten um die Wette zu fahren. Bei einem gemeinsamen Grillen am Abend mit Gunnar Asmussen, Nico Prien oder Lina Erpenstein in Kontakt zu kommen, ist für viele Hobbysurfer etwas Besonderes. Dass die einem beim Rennen dann um die Ohren fahren, ist natürlich klar. Oft treten die guten Regattafahrer aber ohnehin auf Foil-Material an, die Hobbysurfer eher mit Finne. Dadurch hat man immer jemanden, mit dem man sich matchen kann. Jeder hat ein Ergebnis in jedem Rennen und damit genauso viel Zeit auf dem Wasser wie die Besten. Beim Elimination-System scheiden ja die Langsamsten in der ersten Runde aus – und schauen dann den Rest der Zeit nur noch zu.

Einmal mit Größen wie Nico Prien (links) oder Dennis Müller um die Wette heizen – für viele Hobbysurfer ist das durchaus reizvoll. Foto: Henning von Jagow
Einmal mit Größen wie Nico Prien (links) oder Dennis Müller um die Wette heizen – für viele Hobbysurfer ist das durchaus reizvoll.

Wo geht die Reise beim ROTS hin? Gibt‘s bald ein zweites Defi in Deutschland, und ihr seid Vollzeit-Veranstalter?

Oliver: Wir suchen nach und nach Sponsoren, die unsere Events unterstützen. Unser Anspruch ist, dass jeder Teilnehmer mit einem Preis nach Hause fährt. Dafür haben wir bei jeder Veranstaltung eine Tombola, die mit Goodies unserer Partner bestückt wird. Auch ein gemeinsames Grillen ist gesetzt. Und natürlich reinvestieren wir Geld in die Ausstattung. Zuletzt haben wir zwei Startboote bei Ebay Kleinanzeigen gekauft. So wächst langsam alles. Es soll aber vorrangig eine ehrenamtliche Sache bleiben.

Viele Events entspringen am Anfang einem gewissen Idealismus. Irgendwann werden sie dann groß und kommerzialisiert. Stehen beim ROTS auch bald Fischbuden und Partyzelte?

Leon: Seit dem zweiten Jahr machen wir mit dem ROTS etwas Gewinn. Was aber eigentlich nur daran liegt, dass wir uns kein Gehalt auszahlen. Würden wir die Arbeitsstunden abrechnen, sähe es anders aus. Wir haben schon Ideen für die Zukunft, aber die Grundidee des Events soll unangetastet bleiben. Aktuell ist es so, dass die Startgelder so in etwa die Fixkosten decken – und alles Weitere wie Tombola oder das Grillen von Sponsorengeldern finanziert wird.

Derzeit gibt‘s zwei Events pro Jahr. Soll es dabei bleiben?

Oliver: Wir hatten bis jetzt fünf Events mit insgesamt 140 verschiedenen Teilnehmern. Damit sind wir die größte Shortboard-Regattaserie in Deutschland. Mit dabei waren 38 Jugendliche, was das größte Nachwuchsfeld bedeutet – und 18 Frauen, das ist ebenfalls Rekord. Darauf sind wir sehr stolz und sehen das als Auftrag, weiter Gas zu geben. Das bedeutet aber nicht, dass wir in Zukunft fünf Events im Jahr machen wollen. Durch die verschiedenen Klassen im Windsurfen ist der Kalender schon voll genug. Qualität statt Quantität ist uns lieber. Wir versuchen dabei, gute Ergänzungen zum ROTS zu schaffen. Seit dieser Saison machen wir auch die ROTS Academy, das ist ein Trainingstag vor dem Rennen. Da bieten wir für zehn bis 15 Teilnehmer ein Regattatraining an: Startverhalten, Flaggen, Taktik, Material-Setup. Und auch ein Girls Camp haben wir 2022 erstmals durchgeführt.

Ob man Foil oder Finne unters Board schraubt, kann jeder selbst entscheiden – es gibt getrennte Wertungen. Foto: Henning von Jagow
Ob man Foil oder Finne unters Board schraubt, kann jeder selbst entscheiden – es gibt getrennte Wertungen.

Ihr wollt also keine Konkurrenz zu etablierten Regattaformaten wie dem Deutschen Windsurf Cup sein, oder?

Leon: Nein. Wir wollen das Regatta-Angebot nicht überstrapazieren. Der Grundgedanke war immer, nur Angebote zu schaffen, die es bisher nicht gab und aus unserer Sicht einen Mehrwert stiften. Mit zwei ROTS-Events pro Jahr, auf dem Surf-Festival und im Herbst am Campingplatz Hemmelmark in der Eckernförder Bucht, liegen wir schon richtig. Wir haben auch Ideen, um den Nachwuchs und die Frauen zu fördern. Ein Kids Camp wäre toll, aber da macht Vincent Langer bereits einen super Job. Auch in Richtung einer kleineren Version des Langstreckenrennens Defi Wind oder ein Rennen rund um Fehmarn wären vorstellbar. Oliver: Natürlich ist es so, dass unsere Zeitkontingente begrenzt sind. Zusätzlich zum Job fahren wir weiterhin selbst Regatten und haben auch noch den Winger of the Sea ins Leben gerufen, da ist das Zeitkontingent für weitere ROTS-Regatten irgendwann dann auch recht klein. Und unsere Freundinnen freuen sich, wenn wir mal wieder mit ihnen Urlaub machen.

Ihr habt mit dem Winger of the Sea einen guten Einblick in die Szene zweier Sportarten. Beobachtet ihr, dass etablierte Windsurfer abwandern und stattdessen lieber zum Wingen gehen?

Der Winger of the Sea lief gut an, keine Frage. Beim Wingfoilen kommen natürlich Leute aus dem Windsurfen, Kiten oder anderen Sportarten zusammen. Die meisten davon betreiben aber ihre ursprüngliche Disziplin parallel weiter. Beim ROTS können wir daher nicht sagen, dass die Zahlen bei den Windsurfteilnehmern rückläufig sind, im Gegenteil. Ich denke, dass durch unser Format einfach insgesamt mehr Leute Lust auf Regatten haben.

Die Atmosphäre beim ROTS ist sehr familiär, der Spaß soll immer im Vordergrund stehen. Foto: Bulgenslag
Die Atmosphäre beim ROTS ist sehr familiär, der Spaß soll immer im Vordergrund stehen.

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