SURF Redaktion
· 17.01.2023
Härter als das Defi Wind, härter als die One Hour: Andreas Dachsberger hat sich der nächsten Herausforderung gestellt. Beim Chiemsee Marathon kämpfte er mit Treibholz, Böen und Flauten - und kann dennoch jedem empfehlen, beim 40. Marathon im Herbst 2023 dabei zu sein!
surf-Leser kennen Andreas Dachsberger von seiner legendären Défi-Reportage. Im Herbst 2022 fuhr der härteste Surfer vom Tegernsee quasi in die Nachbarschaft an den Chiemsee zum Windsurf-Marathon. Was er dabei erlebt hat, hat er wieder für surf aufgeschrieben:
Es ist kalt, es ist nass und es ist dunkel, als ich mich um 5 Uhr früh auf den Weg mache. Mein Hund Olli zeigt mir den Vogel und rollt sich wieder in sein Körbchen. Herrchen geht surfen. Ziel: Chiemsee, Grund des Aufenthaltes: Der Chiemsee Marathon 2022. Mitgeführtes Material: ein Starboard Serenity, ein JP Slalom XL, drei Segel über 9,5 m², Gabelbäume nicht unter 2,5 m, Masten nicht unter 5 m. Der geneigte Leser erkennt richtig: da fährt jemand an einen Spot der keine Stürme erwarten lässt – 100 Punkte.
Viel zu früh trudle ich mit meiner Fuhre am Gelände des Regatta Surfclub Chiemsee ein. Heute schlafen noch alle – aber wenn Wind angesagt ist, legen die auch schon mal um acht Uhr los – und bis dahin muss ich: Lage checken, melden, aufriggen und mich in den viel zu engen Neo zwängen (die Dinger gehen über die Jahre massiv ein..).
Heute gibt’s keine Hektik. Es ist Flaute und zum Nachmittag ist Nieselregen angesagt. Perfekt. Alles ganz gemütlich. Der Standplatz am angrenzenden Campingplatz ist für Racer gratis. Die meisten anderen – insgesamt starten heuer 48 Marathon Racer/innen aus sieben Nationen- sind schon am Vortag angereist. Super Gelegenheit für einen Rundgang durchs Fahrerlager. Material-Check: die jüngsten setzen auf Bic Techno 293 – die stärkste Jugendklasse in Europa. Dann liegen da einige Windsurfer LT- die „Back To The Roots“ Klasse. Die breite Masse setzt auf’s Raceboard – neue und alte Starboard Phantoms, neue Exocet´s und einige alte F2- und Mistral-Boards.
Und dann gibt es da noch die Vertreter der offenen Klasse: Foiler mit Meter langen Carbon-Masten und hoch modernen Carbon-Flügeln sowie die Spezialverdränger – liebevoll Baumstämme genannt. Diese Dinger sind um die 5 m lang und so voluminös, dass sie, wenn’s sein muss, eine ganze Fußballmannschaft über den See schippern könnten. Bei den Segeln ist die Lage homogener: die meisten setzen auf 9,5er Raceboardsegel von Loftsails und Severne. Natürlich gibt es auch kleineres Material für die Jugend und bis zu 15 m² für die gesetzten Herren auf ihren Dickschiffen.
Die Kombi „Verdränger mit Foil“ funktioniert zwischen einem und acht Knoten saugut”
Der Windfinder (dem ich, wie der geneigte Leser weiß, nicht mehr traue) sagt für heute überhaupt keinen Wind und für morgen Böen bis zu 15 Knoten an. Die Wahl fällt auf meinen gutes altes Starboard Serenity, ein NeilPryde Foil mit 1850er Frontwing und ein uraltes Arrows 11,0er Segel (aus der Zeit als mein Bruder Michi noch Segelmacher bei F2 war). Die Kombi „Verdränger mit Foil“ erregt immer ziemliches Aufsehen, funktioniert aber zwischen einem und acht Knoten tatsächlich saugut. Unter einem Knoten zählt nur das Fahrergewicht und da bin ich mit meinen 112 kg nicht gerade bevorteilt – dann geh ich mit dem Ding lieber zum Stand-Up-Paddeln. Aber so ab einem Knoten Wind bin ich „the Master of the Lake“. Der Flügel hebt das Board nicht aus dem Wasser, liftet es aber soweit an, dass die benetzte Fläche spürbar vermindert wird - und ab geht die Luzi. Wenn die Foiler und die Raceboarder so bei rund acht Knoten ins Rutschen kommen, ist es vorbei mit meiner Konkurrenzfähigkeit – dann bleibt mir nur die Schönheit, mein Astralkörper und der Preis für die auffälligste Kombi.
Für heute behält der Windfinder recht – kein Wind, nur Nieselregen. Macht gar nichts. Einfach mal relaxen und die Gastfreundschaft der Chiemseer genießen. Böse Zungen behaupten, ich würde nur wegen dem Essen an den Chiemsee kommen. Stimmt nicht ganz– oder nur ein bisschen. Hier kochen die Club-Ladys noch selbst – und wie. Schon zu Mittag verwöhnen sie mit erlesenen Suppen und seit diesem Abend wissen auch die ausländischen Racer, wer auf dieser Welt den besten Schweinsbraten mit Rotkraut macht. Kuchen und Schmalzbrote tun ein übriges, meine Leichtwindperformance auf den nächsten Level zu heben.
Der Nachmittag gehört dem Smalltalk. Regattaleiter Fredi Dillmann führt mich in die Geheimnisse des Chiemsees ein. Das Meer der Bayern ist rund 80 km² groß und gehört zu den schönsten Landschaften der Welt. Deshalb hat auch der “Kini” (König Ludwig II) auf der Herreninsel sein Schloss gebaut – weil’s da so schön ist. Daneben gibt es noch die Fraueninsel (wo´s auch sehr schön ist) und dazwischen die Krautinsel. (wahrscheinlich kamen die Herren von der Herreninsel und die Frauen von der Fraueninsel da zusammen und es ging zu wie „Kraut und Rüben“ – Eigeninterpretation des Autors).
Ich soll Geld mitnehmen, damit ich mir während der Regatta auf der Fraueninsel a Hoibe kaufen kann”
Und um diese drei Inseln geht der Windsurf Marathon. Das ist eine Strecke von 14,5 km (durch unendliches Kreuzen soll ich am nächsten Tag 22 km auf meiner Uhr haben). Es gibt nur eine Boje am Ende der Frauen Insel – ansonsten ist der Weg durch die Inseln vorgegeben. Fredi empfiehlt mir, mich beim Aufkreuzen entweder am Südufer, entlang der Autobahn, hoch zu hangeln oder direkt an den Inseln hochzuarbeiten. In der Mitte hat der Chiemsee keinen Wind. Und Geld soll ich mitnehmen, damit ich mir während der Regatta auf der Fraueninsel a Hoibe (1/2 l Bier) kaufen kann!
Der Regatta Windsurf Club Chiemsee ist wie eine große Familie erklärt mir Katja Deutscher, eine der besten süddeutschen Surferinnen und fanatisches Clubmitglied. Zwar nimmt man den Sport schon ernst (Der Regatta Windsurf Club Chiemsee ist in der Surf-Bundesliga das, was der FC Bayern beim Fußball ist – Rekordmeister), im Wesentlichen geht es aber um den Spaß mit Freunden am Wasser. Katja tut so, als könnte sie keinem Weißfischchen etwas zuleide tun – aber Vorsicht die Herren – sie fährt regelmäßig unter die ersten drei im bayerischen Speedwettbewerb Speedkini und ist mit knapp 30 Knoten die schnellste Dame, die jemals den Chiemsee gekreuzt hat.
Jungmitglied und Ü50-Racer Christian Stoll, der immerhin schon seit einem Jahr surft, ist sauer, dass niemand einen Ü50-Sportler sponsern will. Eigentlich wollte er schon heuer zur Raceboard-WM an den Gardasee – hat sich aber von Katja überzeugen lassen, dass das für Ihn noch ein bischen früh ist. Er kann noch nicht Trapez fahren…
Und so vergeht der Nachmittag wie im Flug. Burgi Stadler, Club Chefin und gute Seele der Chiemseer, erzählt mir von der Geschichte des Chiemsee Marathons. 2022 fand er zum 39. Mal statt - damit gab es ihn öfter als das Defi oder die One Hour. Obwohl natürlich der Chiemsee-typische Schwachwind vorgeherrscht, gab es schon alles: bis zu 40 Knoten Wind, 2,5m Welle und Schnee. Aber noch immer sind alle heil heimgekommen.
Stolz ist sie auf die ausgezeichnete Jugendarbeit Ihres Clubs. Regelmäßiges Training und hervorragende Jugendleiter zahlen sich aus. 11 Jugendliche (darunter drei U15) aus dem Club nehmen heuer am Chiemsee Marathon teil und schlagen sich auch international wacker. – Wie gut die sind, kann ich mir am nächsten Tag live anschauen. Amelie Huber (U17) gewinnt die Damenwertung over all und Paula Karlotta Siebert (schnellste U15) nimmt mir acht Plätze ab. Chapeau.
Als der Abend kommt, geht die Party los. In einem eigens aufgestellten Festzelt rockt die Band “Powerjoint” (was für ein Name !!) absolut erstklassig. Hinter der Bühne läuft ein Film über die Geschichte des Windsurfens. Und davor spielen die “Powerjoints” Mucke, aus genau der Zeit, die gerade hinter ihnen über den Bildschirm flimmert – astrein. Nicht erwähnt werden muss, dass die Chiemseer über eine eigene Zapfanlage verfügen – Bayernherz was willst Du mehr.
Am nächsten Morgen komm ich gerade noch rechtzeitig zum Skippers Meeting aus den Federn. Eine halbe Stunde später bin ich an der Startlinie. Hier geht es klassisch zu. Kein Rabbit Start wie beim Defi oder der One Hour. Flaggensignale zeigen, wie lang es noch bis zum Start dauert – und los geht die wilde Kreuz. Das Feld schlägt sofort den Weg zu den Inseln ein. Die haben sich keine Tipps von Regattaleiter Fredi geholt! Ich donnere bei ca. 3 Knoten rüber zur Autobahn. Nur ein Raceboarder folgt mir. Freier Wind für freie Racer! Na, so gut ist der Wind hier drüben aber auch nicht – Freeedi!!! Ich hab den Eindruck, das Feld an der Insel ist wesentlich schneller – und genauso ist es. Als ich mit einigen Mehrkilometern wieder zu den Inseln zurückdümple ist das Feld bereits um die Luv-Boje rum. Hart setzt die Erkenntnis ein – ich werde das Ding nicht gewinnen!
Vorne donnern die schnellsten Raceboarder bereits wieder dem Ziel entgegen. Es führt Toni Stadler (mehrfacher deutscher Meister im Team) vor Patrik Pollak (Olympia-Teilnehmer für die Slowakei). Weder die schnellsten Verdränger – Jakob Eckert und Matthias Golling - noch der schnellste Foiler Stephan Hecker können die Pace der Spitzen-Raceboarder mitgehen. Für Heckers Foil war stellenweise etwas zu wenig Wind und so kommt er nur in der Verfolgergruppe um die letzte Insel Ecke.
Doch dann geht´s ab: Hecker ist der Prototyp eines „Spitzen Light Winders“. Nicht nur, dass er ein ausgezeichneter Racer ist (erfolgreich im DWC) – kein Leichtgewicht beherrscht wie er das 9er Segel auf dem olympischen Starboard-Foil. Sobald das Wasser sich auch nur leicht kräuselt hebt Hecker ab. Und so auch jetzt. Wie ein Porsche die LKWs auf der nahen Salzburger Autobahn stehen lässt, schießt Hecker an den Raceboards vorbei ins Ziel. Zweiter und schnellster Raceboarder wird Toni Stadler vor dem Olympioniken Patrik Pollak.
Aber von all dem bekomme ich auf meinem Weg zur Luv-Tonne nichts mit. Nur zwei Dinge beschäftigen mich. Erstens der Wind nimmt erheblich zu – es bläst tatsächlich mit bis zu 15 Knoten und im Wasser schwimmen Unmengen von Treibholz. Der Starkregen der letzten Tage hat altes Holz, das seit langer Zeit an den Ufern lag, in den See gespült. Mein Foil zieht wie eine riesige Mistgabel durchs Wasser und sammelt Ästchen. Immer wieder muss ich anhalten und meinen Foilmast von Astgabeln befreien. Aber irgendwann komm ich dann doch an der Luv-Tonne an, runde sie und gehe auf Raumschot-Kurs.
Nur leider nicht lange. Meine Verdränger-Foil-Kombi hat eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von exakt 18 km/h. Bin ich nur ein km/h schneller passierts: das Foil hebt mich aus dem Wasser! Klingt eigentlich gar nicht so schlecht- nur leider hab ich vor dem Foilmast ca. 3m Board. In Kombination mit einer Brettbreite von nur 60 cm führt das unweigerlich sofort zum Wiedereintritt in die Wasseroberfläche. Mit einfachen Worten: das sieht so aus, wie wenn Moby Dick - der weiße Pottwal - 80 cm aus dem Wasser springt und mit lautem Donnern wieder ins Wasser einschlägt. 80 % dieser Walsprünge enden für mich im Teich.
Und diesmal kommt es dick. Bei 15 Knoten Wind kann ich mein 11er Segel noch so auffieren – die Karre läuft schneller als 18 km/h – Sprung und Waschgang. Allmählich geht mir die Kraft aus. Mehr schwimmend als surfend darf ich beobachten wie jetzt auch die Jugendlichen und LT-Fahrer an mir vorbeiziehen. So schwimmsurfe ich in den Windschatten der Fraueninsel, um dann bei Fastflaute dem Feld hinterher zu torkeln. Als sich hinter der Herreninsel der Wind wieder in für mich optimale Stärken einpendelt, kann ich noch ein paar LTs einholen – dafür geniere ich mich aber ein wenig. 11m² gegen 5,7m² bei drei Knoten ist nicht wirklich fair – sorry Jungs.
Nach über zwei Stunden im Ziel bin ich tot. Klar auch das Defi oder die One Hour sind anstrengend. Aber der Chiemsee-Marathon zieht mir konditionell den Zahn. 50 % der Strecke fuhr ich mein 11er aus der Hand. Nur auf der Kreuz gab es kurze Entspannungsmoment im Trapez.
Die Kraft reicht gerade, um mein Material in den Hänger zu schieben. Vor lauter Erschöpfung nehme ich nicht einmal von dem angebotenen Kuchen. Kein Hunger – für mich ein 100%iges Erschöpfungszeichen.
Aber schon bei der Siegerehrung beruhigt sich mein Körper wieder. Super war´s – Spass hat’s gmacht. 2023 feiern die Chiemseer ihren 40ten Marathon. Foiler und Longboarder aller Nationen hört das Signal: schnappt euch eure Donnerbalken und auf geht´s zum Chiemsee Marathon 2023 – es lohnt sich.
Text: Andreas Dachsberger