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· 03.12.2022
Peter Müller hat es mit seinem Motto, lieber erst mal kleine Brötchen zu backen, ziemlich weit gebracht. Aus der Flucht vor dem Heuschnupfen wurde eine mehr als 20-jährige Erfolgs- und gleichzeitig Leidensgeschichte als Surfstation-Betreiber in Ägypten. Seinen Optimismus und die grenzenlose Leidenschaft fürs Windsurfen hat der 62-Jährige aber trotz gieriger Hotelbesitzer, islamistischer Anschläge und Corona in der ganzen Zeit nie verloren.
Der Spot Abu Soma in Ägypten ist ganz eng mit Peter Müller verbunden. Seit fast 20 Jahren betreibt der heute 62-Jährige die Surfmotion Station in Abu Soma, Ägypten. Dreimal musste er bislang seine Station an unterschiedlichen Spots in Ägypten wieder abbauen. Der Mann, der nach eigenen Angaben gern erst mal kleine Brötchen backt, hat in diesen Jahren trotz aller Widrigkeiten in einem Land wie Ägypten mit seinem Team eine vorzügliche Surfstation aufgebaut, die alljährlich Tausende von Surfern begeistert und sehr viele davon zu echten Stammkunden hat werden lassen. Dabei ist der Slalomcrack auch nach all den Jahren nach eigener Aussage immer noch hochgradig süchtig nach Windsurfen. Zeit also für einen kleinen Rückblick.
Windsurfen ist mega! Wasser, Wind und Wellen zu spüren – und dabei ohne Motor mit einer hohen Geschwindigkeit über das Wasser zu bügeln, ist für mich Freiheit pur, von der ich nie genug bekommen kann.
Windsurfen ist für mich immer noch und an jedem Tag etwas ganz Besonderes. Meine Mitarbeiter fragten mich kürzlich, wieso ich denn immer noch Lust habe, absolut jeden Tag aufs Wasser zu gehen und danach mit einem breiten Grinsen zurückzukommen. Die Antwort ist doch klar: Windsurfen ist genau der Sport, den ich brauche – ich bekomme damit den Kopf so herrlich frei. Es ist wie eine Sucht: Du fährst morgens zur Station, siehst das türkisfarbene Wasser, die Schaumkronen und damit die 20kn Windspeed. Dann will ich nur noch raus! Meine Frau sagt so häufig zu mir: Kannst du nicht einmal aufhören, vom Windsurfen zu reden?
Meine Idee? Wo kann ich zum Windsurfen hinfahren, damit ich keinen Heuschnupfen bekomme? Nach drei Jahren Windsurfen in deutschen Gefilden war ich 1991 das erste Mal in Ägypten. Vier Jahre später in Hurghada, im mittlerweile dritten Surfurlaub, hatte meine damalige Frau auf den Liegen am Strand zwei ältere Mädels kennengelernt, die ihr den Floh ins Ohr setzten, eine neue Surfstation aufmachen zu können, weil die gerade vorhandene Station schließen würde. Meine Frau war ganz begeistert, so dass sie mir am Abend von dieser Idee berichtete.
Das wird nicht einfach werden, sagte ich da bloß.
Ja, ich hatte im Angestelltenverhältnis als Schlosser gearbeitet. Man kann ja so ein büschen was. Die Halle mit dem Rundbogen hier in der jetzigen Station - das hat niemand von ausserhalb gemacht, sondern wir in eigener handwerklichen Arbeit.
Aber wir waren dann insgesamt fünf Gesellschafter und auch das einzubringende Kapital von etwa 200.000 Mark für Boards, Segel, Katamarane und dem Stationsaufbau kam von Seiten der Gesellschafter. Ich begann erst mal, kleine Brötchen zu backen – und fing ganz klein an.
Ja, ich hatte meinen Job geschmissen und im Februar 1996 bin ich nach Hurghada geflogen. Das war eine krasse Geschichte, ich war mit meinen Gesellschaftern da, um alles schon für das Ostergeschäft aufzubauen. Der Container mit den Boards und Segeln kam aber nicht aus dem ägyptischen Zoll heraus, da war Kreativität im Umgang mit den Behörden gefragt, dann kam der Container endlich im Mai raus – und es gab einen islamistischen Anschlag.
Nein, noch nicht. Zwischenzeitlich machte ich dann den Surflehrerschein. Wie gesagt, ich backte erst mal kleine Brötchen. Ich stellte erste Mitarbeiter ein, dabei war auch Anowar. Der Ägypter hatte sich bei uns beworben und gesagt, dass er windsurfen und als Surflehrer arbeiten möchte. Ich fragte ihn, ob er schwimmen könne. Worauf ich ihn von einer Kaimauer aus ins tiefe Wasser springen ließ – und er darauf fast unterging. Er konnte nicht im Ansatz schwimmen, todesmutig wie er war. Ich habe ihn dann trotzdem angestellt, nur windsurfen durfte er eben nicht. Aber so ist es in Gang gekommen.
Wir haben 16 Stunden am Tag gearbeitet, nachts auf Matratzen und ohne Klimaanlage geschlafen.”
Mit den Gesellschaftern funktionierte es leider nicht mehr,.Wir hatten uns getrennt, und auch mit meiner Frau ging es auseinander. Der Hotelmanager vom Makadi Beach Hotel kam auf mich zu und fragte, ob ich nicht Lust hätte, eine Station aufzumachen. Ich guckte mir den Strand an, sagte zu und musste mich verpflichten, schon fünf Wochen später die Station aufzumachen, weil das Opening dann stattfinden sollte. Kurzum: Das waren die härtesten fünf Wochen meines Lebens. Wir hatten 16 Stunden am Tag geschuftet, nachts auf Matratzen und ohne Klimaanlage bei 40 Grad geschlafen, die Fliegen kamen, das war eine echte Katastrophe. Aber irgendwie hatten wir es geschafft, für das Opening die komplette Surfstation stehen zu haben. Und mit Anowar und Mahmoud habe ich zwei ägyptische Mitarbeiter von meiner alten Station abwerben – und die wiederum ersten kleinen Brötchen backen können. Erst danach kamen weitere Mitarbeiter fürs Büro und als Windsurflehrer dazu.
Das Hotel wollte so viel Miete für die Station haben, das wir gesagt haben: Wir lassen das!
2003 war das, wir sind an der Küste herumgefahren und plötzlich fiel der Blick auf das neu entstandene Palm Royale Hotel und den Spot direkt vor dem Hotel. Lass uns mal runterfahren, sagte ich nur, und nach nur einem Jahr war der Vertrag für eine neue Station auf dem Hotelgelände fertig. Ein Jahr lang konnten wir diese Station dann erfolgreich betreiben.
Tschüss und auf Wiedersehen, hieß es nach etwa zwei Jahren vom Hotel. Ein englischer Reiseveranstalter wollte die Station übernehmen, sie zahlten für eine große Anzahl von Zimmern für ein Jahr im Voraus und sicherten sich dazu den Betrieb der Surfstation. Dann habe ich überlegt und mir den Platz direkt neben dem Hotel mal genauer angesehen. Eine erste grobe Skizze war schnell gezeichnet. John, der Sohn des Besitzers, gab mir seine Einwilligung und schon wurden die Fundamente gemauert, ein paar Wochen später mussten wir umziehen. Anfängliche Bedenken, dass diese Location für die ja heutige Surfmotion Station zu weit weg vom Hotel wäre, waren schnell verflogen. Denn das Revier hier ist viel geiler für uns Windsurfer, Ein- und Aufsteiger und später auch für Kiter. Das war wirklich das Beste, was wir machen konnten. Wir haben auch wieder nur Minibrötchen gebacken, uns dann aber bis zum heutigen Zeitpunkt immer weiter verbessert. Durch Freundlichkeit, immer besseres Material, dann kam das Kitesurfen dazu und so weiter.
Ich bin ein Stehaufmännchen und sehe es positiv. Wenn eine Tür zugeht, dann geht eine andere wieder auf.
Ja, diese Wellen haben wir. Es geht immer hoch, noch höher und nach drei Jahren fangen wir immer wieder an zu überlegen: Hey, es läuft so gut, wann kommt wieder was? Und dann kommt irgendein Bekloppter, wirft eine Bombe. Mittlerweile haben wir uns fast daran gewöhnt. Aber unsere Anzahl von Windsurfern in der Surfmotion Station sackt nicht komplett runter – weil wir viele Stammkunden haben, die auch in den Phasen, in denen die Urlauberzahlen in Ägypten dramatisch einbrechen, wiederkommen.
Und wie gut ich diese Phasen wegstecke? Irgendwann lebst du damit, das ist dann auch nicht mehr kostendeckend. Es geht auf 20 Prozent runter, locker. Oder noch tiefer!
Schon oft, sicher. Und wie gesagt, wir haben unsere Stammgäste. Einige Hundert sind das, und die retten uns auch mal den Arsch. Die wissen, dass es bei uns vor Ort funktioniert.
Zu unserer Raceweek (Event für ambitionierte Slalomrider, die Red.) schaffte es Vincent Langer als Trainer schon nicht mehr anzureisen. Und plötzlich ging alles sehr schnell. Der ehemalige Generalmanager vom Hotel Palm Royale kam am 17. März 2020 rüber und richtete mir aus, dass um 13 Uhr die Schotten fallen, das hieß: Niemand kam dann mehr rein noch raus aus der Station. Ich bin in unserem Haus in Safaga über Wochen hinweg geblieben und habe echt daran geknabbert. Aber was das Allerschlimmste gewesen ist: Ich konnte nicht mehr windsurfen. Dabei war an jedem Tag Wind, aber niemand durfte mehr an den Strand. Man konnte sich draußen normal bewegen, doch nicht mehr an den Strand und zur Station.
Vier Wochen später ging dann der Rückflug. Ich musste ab Kairo nach Frankfurt fliegen, was befremdlich war. Weil die Flughäfen jeweils wie ausgestorben gewesen sind. Zuhause in Großenbrode angekommen musste ich mich erst mal in eine 14-tägige Quarantäne begeben, die ich in unserem Wohnmobil beim Bürgermeister auf seinem Hof verbracht habe. Erst danach durfte ich meine Familie wieder in die Arme nehmen, und unsere kleine Tochter fing an zu weinen, das vergisst man nicht. In Großenbrode bin ich dann über 15 Monate am Stück gewesen, weil ich bei meiner Familie sein wollte.
Ab Juli 2020 war die Station wieder auf. Teilweise waren gar keine Gäste da – es ging bis auf maximal 20 Prozent Auslastung. Ich habe niemanden entlassen, da war das Ersparte mit den Monaten futsch.
Seine sehr sympathische Art überträgt sich auf das komplette Team. Das ist wohl das Geheimnis seines Erfolgs. (Oliver Hilf, Surf & Action Company)
Natürlich nicht. Dazu kam, dass wir noch bis zum März 2020 voll in neues Surfmaterial investiert hatten und tolle Buchungszahlen für die Saison 2020 gehabt hätten. Ich habe überhaupt keine Panik mehr davor, dass was passieren kann und wir es nicht bewältigen können. Corona ist schon das Größte, was wir an Mist erlebt haben – aber wir haben es geschafft.
Ja klar, ich rede auch immer in der Wir-Form: wir machen, wir tun, wir haben. Wenn man mit Respekt den Mitarbeitern gegenübertritt, dann erhalte ich diesen auch von denen zurück.
Mein leitender Mitarbeiter Mahmoud kam kürzlich auf mich zu und sagte, dass er ohne mich ein Nichts wäre und keine Familie, kein Auto, kein Haus haben würde. Worauf ich ihm entgegnete, dass ich ohne ihn auch längst nicht so weit wäre – als wenn ich es allein gemacht hätte. Er ist für die Lizenzen, Boote, Behördenkram zuständig. Allein der Behördenkram würde mich hier in Ägypten wahnsinnig machen. Ein Auto in Ägypten anzumelden, das dauert eine Woche und in Deutschland eine halbe Stunde. Mahmoud ist für mich wie ein Sohn.
Alles, was ich weiß, versuche ich unseren Mitarbeitern beizubringen – was gegensätzlich zu der Mentalität hier in Ägypten ist. Meine 20 Mitarbeiter versuchen wir, es selber probieren und machen zu lassen, wie zum Beispiel die Board- und Segelreparaturen. Ich zeige denen, wie man Risse selber näht, wodurch sie besser werden sollen. Genauso habe ich auch Mitarbeiter dabei, die nur die Segel unserer Gäste tragen wollen. Aber wenn sie Surflehrer werden wollen, dann unterstützen wir das.
Wenn mir was passieren oder ich krank werden sollte, würde ich immer einen Platz, immer etwas zu wohnen und zu essen haben.
Mit der Hochzeit mit meiner Frau Kaula, einer Tunesierin, bin ich zum Moslem konvertiert. Ich bete nicht, man muss nicht fromm zur Kirche gehen, aber ein guter Mensch sein. Mit der Mentalität der Ägypter habe ich immer noch meine Probleme. Die Pünktlichkeit meinen Mitarbeitern beizubringen, war nicht einfach – ich habe es den Jungs antrainiert. Dann das Müllproblem. Den Einheimischen ist der Müll völlig egal, weil viele nicht wissen, wie sie ihre Familie morgen ernähren. Das ist das große Problem. Trotzdem versuchen wir, das Müllproblem einzudämmen.
Meine Frau und die beiden Töchter leben in unserem Haus in Großenbrode, kurz vor Fehmarn. Weil es für unsere Töchter besser ist, in Deutschland die Schule zu besuchen. Ich pendle permanent zwischen Ägypten und Großenbrode hin und her, was für uns als Familie auch gut funktioniert. Jede Schulferien verbringen wir hier mit der Familie gemeinsam in Ägypten.
Bevor unsere Töchter zur Schule kamen, hat es meine Frau gemacht. Aber heute komme ich nach Hause, also nach Safaga, und dann mache ich mir Bratkartoffeln mit Eiern.
Ja, früher habe ich nur Freestyle gemacht. Air-Jibes, Spocks, Frontloops waren meine Moves – und mit dem Flaka habe ich aufgehört, weil ich zu blöd dafür war. Vor zwölf Jahren gab mir ein Windsurfer sein 115l Slalomboard und 7,8er Slalomrigg, was ich zuvor noch nie in den Händen, geschweige denn unter den Füßen hatte. Ich probierte es aus und war sofort hin und weg! Es ist so geil, mit Fullspeed über das Wasser zu brettern! Ich liebe diese körperliche Anstrengung.
Obwohl er schon ewig windsurft, ist Peter heiß aufs Heizen und Slalomfahren. (Vincent Langer)
Ich muss tiefer einsteigen, bis vor 30 Jahren habe ich im Fitnessstudio Gewichte gestemmt. 140 Kilogramm Bankdrücken, zum Warmmachen mit 80 Kilo. Ich bin eben so ein Typ: Sport ist meine Welt – ich mag es, immer an meine Grenzen zu gehen.
Wenn ich mit Vinc trainiere und 100 Kilometer Bojen fahre, dann brauche ich danach ein Sauerstoffzelt. An einem Tag sind wir 80 Kilometer gefahren, haben Starts trainiert, um dann noch mal Zirkeltraining zu machen.
Das Ganze ist eine Herzensangelegenheit. Wir freuen uns über jeden Surfer, der vielleicht schon an Regatten teilgenommen hat, was bei uns aber gar keine Voraussetzung ist. Der Chefcoach Vincent Langer macht die teilnehmenden Slalomwindsurfer mit ihrer Fahrtechnik und Materialtrimm besser.
Das Material ist schon klasse geworden, die Boards sind breit und einfach zu fahren. Das Problem ist, dass die Leute sich auf dem Wasser nur selber zum Beispiel an der Halse versuchen – und allein und ohne Hilfe und Tipps von außen nur schwer weiterkommen. Es reicht manchmal schon, dass man ein paar gute Tipps bekommt.
Ja, absolut. Die Halse ist das Königsmanöver, und da müsste man mehr reingreifen können. Wenn ich bei uns vor der Station auf der Sandbank stehe, dann gebe ich gern Tipps zur Halse oder auch mal zum Wasserstart. Mach das doch mal so und so, rate ich, und schon ist der Surfer einen Riesenschritt weiter. Aber die Bereitschaft für eine Stunde Privatcoaching ist weniger da.
Warum bin ich wohl seit 20 Jahren hier? Weil es einfach nur geil ist, wir haben sämtliche Bedingungen. Wir haben ein Revier für die breite Masse an Surfern, dazu noch ein Anfängerrevier und ein Revier für die Kiter.
Richtig, das hat noch gefehlt: Windsurfen hier in Abu Soma ist einfach mega!