Andreas Erbe
· 03.11.2020
Ihr Freund hat alles falsch gemacht – oder? Seine unorthodoxen Lehrmethoden haben Heidi Ulrich nicht aufgehalten, eine der schnellsten Surferinnen der Welt zu werden.
Du bist ja ziemlich auf den Spuren deiner Landsfrau Karin Jaggi unterwegs. Sie hat lange diverse Speedweltrekorde gehalten. Ist sie dein Vorbild?
Karin und vor allem auch Patrik (Diethelm) waren und sind meine Windsurf-Inspiration. Ich möchte mich aber nicht mit Karin vergleichen, denn sie ist in meinen Augen die erfolgreichste Windsurferin aller Zeiten. Ich war rund sieben Jahre mit Karin und Patrik unterwegs, da ich mit Patriks Bruder Remo zusammen war. Zu dieser Zeit spielte ich Volleyball und Beachvolleyball und war immer an Orten, wo es keinen Wind gab. So war relativ schnell klar, wer die Sportart wechselt. Ich wollte also Surfen lernen und tat dies dann auch. In dieser Zeit wurde Karin wie eine Schwester für mich und ich schaute natürlich immer zu ihr hoch.
Viele Kids kommen sehr früh durch ihre Eltern zum Windsurfen. Bei dir war es etwas anders, oder?
Ich wusste lange nichts über diesen Sport – ja ich nahm ihn nicht mal wahr. 2012 stieg ich dann zum ersten Mal auf ein Brett am Gardasee in Malcesine. Zuerst musste ich Aufriggen lernen „erst wenn du weißt, wie das Material hergerichtet wird, darfst du aufs Wasser.“ Gesagt getan. Ich riggte auf, sie schickten mich aufs Wasser und dann bin ich den ganzen Tag am Strand Höhe gelaufen: Segel in der Hand und auf festem Boden hochgelaufen. Und dann wieder aufs Wasser. Ich hatte eine uralte pinke Schwimmweste erhalten und wurde dann von der Familie Diethelm als Boje benutzt.
Wie ist deine Leidenschaft zum Speedsurfen entstanden?
Nachdem ich im Jahr 2012 mit dem Surfen begonnen hatte, kam Patrik Ende des Jahres voller Euphorie aus Lüderitz/Namibia zurück. Seine Augen funkelten, als er von diesem Speedkanal erzählte und ich wusste: Jungs, 2013 möchte ich euch begleiten. Einmal mehr gesagt getan. Ich begleitete Patrik und Remo auf dem Trip nach Namibia. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus und wusste, das will ich auch können.
Während die Jungs dann am Speeden waren, lernte ich in der Bucht Schlaufensurfen. Denn bis dahin konnte ich das nicht, war ja immer noch mein erstes Windsurfjahr. Trotzdem absolvierte ich bereits mein erstes Defi. Ohne Schlaufen mit 125-Liter-Board und 4,0er-Segel. Die Jungs meinten: „Easy, das ist ein Rennen, bei welchem du am Beach entlang im flachen Wasser fährst, das kannst du locker...“
Ja und solche Erlebnisse gab es einige, aber nach einem Jahr konnte ich dann eigentlich schon fast überall mit den Diethelms und Karin raus. Auch in Vargas auf Gran Canaria. Ich konnte jedoch noch keinen Wasserstart – also montierte Patrik ohne mein Wissen die Startschot ab und ja, ich musste den Wasserstart dann wohl oder übel draußen lernen.
Wie sieht es mit den anderen Disziplinen aus – Slalom, Foil, Wave, Freestyle – machst du die auch?
Slalom fahre ich in der Schweiz alle Regatten mit und auch das Defi fahre ich ganz gern. Freestyle geht mir alles zu schnell, da bin ich glaub’ schon zu alt. Wave im Urlaub ist auch mal ganz lustig zur Abwechslung wie auch Foil. Aber mein Herz schlägt ganz klar für Schnelligkeit. Dichtnehmen und los geht’s. Ich wohne direkt am See und das ist ein idealer Slalom - und Foilsee. Doch der liebe Urnersee kann auch anders, wenn es Föhnsturm mit 30 bis 50 Knoten gibt. Dann haben wir auch ordentliche Wellen. Doch anstatt das Wellenmaterial aufzuriggen gehe ich dann lieber ans andere Seeufer und speede da. Es ist zwar sauböig, aber es macht meeega Spaß.
Im wirklichen Leben hast du einen sehr verantwortungsvollen und zeitaufwändigen Job. Was machst du genau und wie kannst du dir die Zeit zum Windsurfen nehmen?
Bis Mitte März war ich Personalleiterin eines großen Energiekonzerns. Ich betreute über 2000 Leute zusammen mit meinem vierköpfigen Team. Nun habe ich aber innerhalb des Konzerns gewechselt und bin nun noch Personal-Business-Partner und nicht mehr Leiterin. Habe also weniger Verantwortung und das genieße ich in vollen Zügen. Wie schon vorher ist auch jetzt der Deal, dass die Arbeit gemacht werden muss – ist ja klar – aber ich kann ohne Probleme die Zeit zum Trainieren investieren. Muss dann halt aber morgens um fünf aus den Federn oder auch nach dem Training am Abend nochmals an den Laptotp. So hat ein Arbeits-/Sporttag von mir schnell mal zwölf bis 14 Stunden. Aber für mich stimmt es.
Für dein Ziel, 2019 drei Weltrekorde zu brechen, hast du eine Crowdfunding-Aktion ins Leben gerufen und 25.000 Franken gesammelt. Wie hast du das genau gemacht und was sollten andere Surfer, die so etwas planen, beachten?
Das Crowdfunding mit der Firma „I believe in you” ist zufällig entstanden. Der Geschäftsführer war von meiner Passion und meinem Ehrgeiz angetan und hatte die Idee, warum nicht ein Projekt aus der „Weltrekordjagd“ machen. Es gäbe zu wenig Frauen, die so etwas anpacken. Er hat mich dann beraten und meinte, dass 25.000 total realistisch seien. Ich sah dem Ganzen sehr skeptisch entgegen aber dachte, warum nicht versuchen. Wir erstellten ein Konzept, ich suchte einen Sport-Paten – welchen ich im Skistar Ramon Zenhäusern fand – und dann pushten wir es medial wie auch digital.
Es war sehr starke Kaltakquise, was mir zwar liegt, ich aber nicht gerne mache. Aber so kam schlussendlich das Geld zusammen, welches für mich mit all den Reisen in 2019 sehr hilfreich war.
Bevor du nach Lüderitz gegangen bist, hattest du schon die Rekorde über die nautische Meile und den Stundenweltrekord gebrochen. Wo bist du die Zeiten gefahren?
Ich habe 2019 alles in die Waagschale Speed gelegt. Mein ganzes Training war auf Speed ausgerichtet und darum bin ich auch nur ein einziges Slalomrennen mitgefahren. Ich verbrachte zusammen mit meinem Freund, der zugleich mein Trainingspartner, Coach und Lieblingsmensch ist, so viel Zeit wie nur möglich in Frankreich in La Palme/La Franqui. Für uns ist das der am nächstgelegene Trainingsspot, um Speed zu trainieren. Ich surfte die meiste Zeit dort auf dem Patrik Speed-board 37/39 und 33 (Zentimeter Breite), um mich an die Bretter zu gewöhnen und testete alles mögliche, bis ich Set-ups hatte, welche mir zusagten. Und damit machte ich auch die Rekorde. Beim Event „Prince of Speed“ erzielte ich den Weltrekord über die nautische Meile, dieser wurde nach zwölf Jahren – aufgestellt von Zara Davis – gebrochen. Den Weltrekord über die Stunden erreichte ich gleich beim ersten Versuch am Nachbarbeach in Port La Nouvelle. Bei beiden weiß ich, dass noch mehr möglich ist. Darum möchte ich gerne beide nochmals angreifen.
Wie unterscheidet sich das Speedsurfen auf dem Kanal von Spots wie La Franqui?
Gute Frage. Aus meiner Sicht sind das zwei total verschiedene Paar Schuhe.In La Franqui sind zwar wie auch auf dem Kanal die Bedingungen immer anders, aber größtenteils fährt man Halbwind und slingshotet (abfallen auf tiefen Raumschot-Kurs, Anm. d. Red.)sich dann in die Wellen raus. Starten kann man wo man will, jedoch nicht mit Jumpstart. Es gibt sehr viele Tage, an welchen das Wasser „arschglatt“ ist, es gibt aber auch sehr viele Tage, an welchen man Rolling Chop hat. Weiter muss man die Strecke immer zuerst ablaufen und schauen, wo die Sandbänke sind. Durch den Halbwindkurs fährt man eher im Slalomstyle. Dazu kommt, dass man mit einem Speedboard und einer asymetrischen Finne aufkreuzen muss, was zum Beispiel bei der nautischen Meile bedeutet: 90 Sekunden Vollgas Speed und 45 Minuten zurückkreuzen.
Im Kanal starte ich meistens in den Schlaufen – den Jumpstart muss ich nun aber lernen! Je nach Winkel hat man eine kurze Startphase mit Halbwind und slingshotet sich dann um den Corner in den Kanal. Auch da kann es von sehr flach – dann hat man aber meistens zu stark Halbwind – bis zu sehr choppy sein. Die Position wie auch der Trimm sind ganz anders als in La Franqui. Auch der kurze Start und der noch kürzere Auslauf sind immer wieder beängstigend. Und der Tunnelblick – das gibt es in La Franqui auch nicht.
Glaubst du, dass es möglich ist, auf Open Water die gleichen Zeiten zu erzielen wie im Kanal?
Nein, ich denke nicht, außer man findet einen Open Water Spot, bei welchem wir Downwind fahren können, ohne im Chop surfen zu müssen.
0,39 Knoten fehlten dir am Ende, um den Rekord von Zara Davis zu knacken. Warst du sehr enttäuscht und willst du, wenn es geht, noch mal angreifen?
Ja, ich war sogar sehr stark enttäuscht. Mehrmals war ich bis an 0,4/0,5 Knoten am Rekord, aber es reichte einfach nicht. Im Top-Speed wurde ich immer besser bis zum letzten Tag mit 48,2 Knoten, jedoch über 500 Meter ging es einfach nicht. Ich weiß aber, dass es möglich ist. Ich spürte es.
Ich weiß auch genau, an was ich bei mir noch arbeiten muss, um noch schneller zu werden. Jedoch liegt beim Event in Lüderitz nicht alles nur in den Händen der Rider.