Tobias Frauen
· 07.01.2023
Wir steigen ins Archiv und werfen einen Blick in alte Ausgaben! Hier zeigen wir euch die besten Fundstücke, bemerkenswerte Test-Ergebnisse, skurrile Anekdoten und vieles mehr! In dieser Folge geht es zurück ins Jahr 1979!
Das Blättern durch die April-Ausgabe der surf im Jahre 1979 lässt uns staunen: Sehr ausführlich wird dargelegt, wohin sich der damals immer noch junge Sport entwickeln könnte. Die Industrie damals war noch in den Fesseln des Patents (siehe unten), umso spannender war die Frage, was möglich ist, wenn man grenzenlose Optionen hat. Aus heutiger Sicht klingen einige Ideen natürlich skurril, aber in sehr vielen Punkten sind die damaligen Utopien in unserem heutigen Material wiederzuerkennen. Da stellt sich dann zwangsläuft die Frage: Wie sieht Windsurfen wohl im Jahr 2070 aus?
surf lud sechs Experten ein, die sich Gedanken darüber machen sollte, wohin sich Windsurfen entwickeln würde. Bei den Boards war die Meinung einhellig: Sie müssen sowohl in Verdränger- als auch in Gleitfahrt funktionieren und deutlich leichter werden (”zehn Kilo oder noch weniger”). Aber auch Boards mit mehr Rümpfen kamen immer wieder zur Sprache. Bei den Segeln sollte die “Taille” eliminiert werden, also das Anliegen an der Gabel. Weil der Wind im oberen Bereich des Segels stärker weht als unten, solle das Unterliek kürzer werden und das Achterliek dafür “extrem ausgestellt”. Dafür müssen dann die Latten bis zum Mast gehen. Dieser sei im übrigen deutlich zu weich, waren sich die Experten einig, Abhilfe können Masten aus Aluminium oder Carbon schaffen. Für bessere Aerodynamik präsentierte Siggi Pertramer die Idee, die Masttaschen deutlich breiter zu machen. Auch wenn er von “bis zu einem Meter” sprach - moderne Slalom-Segel funktionieren genau mit solch einem Design.
Im Gegensatz dazu nicht durchgesetzt haben sich die Ideen für doppelte Gabelbäume, um je nach Größe optimal greifen zu können, und Griffmulden an der Gabel. Großes Thema war auch ein “Sicherheits-Mastfuß”, der sich bei bestimmten Belastungen löst. Schließlich endete die Diskussion mit der Frage, ob denn Finne und Schwert gleichzeitig nötig seien. Zwei Diskutanten plädierten für das Schwert, zwei für die Finne, einer warf ein konkaves Unterwasserschiff in den Raum, dessen Kanten dann für Seitenhalt sorgen sollten.
Abgeschlossen wurde der Blick in die Zukunft damals mit einem glossenartigen Ausblick auf das Windsurfen im Jahr 2000: “Der größte Bretthersteller meldet stolz, seine Produktion habe soeben die Millionengrenze überschritten!” Windsurfen ist weltweit so verbreitet, dass auf vielen Gewässern Beschränkungen herrschen - so dürfen etwa am Gardasee nur 25000 Menschen aufs Wasser. Grund dafür ist unter anderem eine Materialflut, dank einer Tagesproduktion von bis zu 1600 Boards. Der Preis dafür wird behördlich reglementiert: “Ein normales Board kostet 4000 Eurodollar. Bezogen auf die Kaufkraft des Jahres 1979 entspricht dies etwa 1000 Mark.”
Passend zur Manta-Werbung (siehe Bildergalerie oben) wurden schon 1979 zwei Varianten von Wings konzipiert, die Fliegen mit dem Windsurfboard ermöglichen sollten. Der eine Ansatz wirkte auf dem Wasser noch mehr oder weniger wie ein normales Segel, klappte sich bei einem Sprung dann aber wie eine Tragfläche aus. Bis zu 100 Meter sollte man damit fliegen können - allerdings gingen die Visionäre damals auch davon aus, dass die Boards aus Nylon gefertigt würden und nur noch wenige Gramm wiegen würden.
Ein zweiter Entwurf hatte schon eine große Ähnlichkeit zu heutigen Wings, mehr noch aber zur Wind Weapon aus den späten 80ern. Auch das Board mit seinen zwei seitlichen Abdrifthemmern erinnert an heutige Konstrukte bei SUPs - wenn da nicht der konkave “Gleitboden” wäre. Erstaunlich aber, wie nahe die damaligen Utopien von den Konstruktionen her an der heutigen Realität waren. Vollkommen undenkbar waren damals aber offenbar moderne Fertigungsmethoden und Materialien, die die Umsetzung der Konzepte erst möglich gemacht hat.
Sechs Reviere werden im April-Heft für den Sommer vorgestellt: Neusiedlersee, Gardasee, Silvaplana See (damals als St. Moritzer See), Zandvoort, Sylt und Fehmarn. Eine Liste, die auch heute noch wieder ähnlich erscheinen könnte. Bemerkenswert sind dabei die Unterschiede zur Gegenwart: Am Neusiedlersee wird noch vor der Grenze nach Ungarn gewarnt, der Gardasee hat sich “dank emsiger Mund-zu-Mund-Propaganda und durch den Bericht in surf 7/78 [...] vom ehemaligen Geheimtip zum anerkannten Surfzentrum gewandelt.”. In Silvaplana wird betont, dass man auch im Sommer einen Neoprenanzug nicht vergessen sollte, während es im Zandvoort-Teil mehr um Autorennen und Casinos geht als ums Surfen. Der Sylt-Spotguide hat Jürgen Hönscheids Telefonnummer parat, und auf Fehmarn tragen die Charchullas schon 1979 den Titel “Windsurf-Oldtimer”.