Leon Jamaer
· 09.04.2023
Direkt im Anschluss an den Auftakt-Wettkampf in Japan startete mit dem Vier-Sterne Surazo Infernal Chile Ende März der zweite Top-Event der nun vereinten IWT und PWA Wave Tour. Während Japan als Fünf-Sterne-Wettkampf gilt und die Punkte somit zu 100 Prozent für das Jahresranking zählen, gehen die Platzierungen vom Vier-Sterne-Event in Chile nur zu 40 Prozent ein. Wer in Chile gewinnt, bekommt daher gerade mal so viele Punkte, wie ein etwa zwölfter Platz bei einem Fünf-Sterne-Wettkampf. Wer nun aufgrund des geringen Preisgeldes und den wenigen zu vergebenen Punkten mit einem schwachen Fahrerfeld in Chile gerechnet hat, der täuschte sich!
Die Aussicht auf einen internationalen Wave-Wettkampf in den Premium-Bedingungen, für die Chile bekannt ist, hat nicht nur den fünffachen Weltmeister Philip Köster zur Einschreibung motiviert, sondern auch ein internationales Top-Aufgebot an die Pazifik-Küste gelockt: Takara und Hayata Ishii aus Japan, Baptiste Cloarec und Camille Juban aus Frankreich und Guadeloupe, die Canarios Gil Marino, Julian Salmonn, Liam Dunkerbeck und der zugezogene Belgier Dieter van der Ecken. Aus Deutschland sind neben Philip und Julian außerdem die Youngsters Henri Kolberg, Nick Spangenberg und Laurin Schmuth zusammen mit mir angereist. Das Teilnehmerfeld der Frauen ist deutlich kleiner. Hier tritt die Australierin Jane Seman gegen Locals wie die deutschstämmige Björte Pürschel und Carolyne Vita an.
Die starken Fahrerfelder und eine gute Wind- und Wellenvorhersage lassen die Wave-Herzen höher schlagen - endlich ein World-Tour-Wettkampf mit Down-the-Line Bedingungen und Wind-von-links! Das gab es zuletzt 2007 in Brasilien. Seitdem hat der professionelle Windsurf-Sport sie eher schmerzlich vermisst.
Die IWT tritt an, um genau diese Lücke beim Windsurfen in der Welle zu schließen. Laut Tour-Direktor Simeon Glasson sei man näher am Surf- als am Segelsport. Der Fokus läge bei den von der IWT durchgeführten Events daher stärker auf dem Abreiten von Wellen und weniger auf Sprüngen. „Es geht darum, die Freude und den Stoke, den wir alle beim Windsurfen in der Welle verspüren in einem Event zu kanalisieren und darüber die Menschen an einem Ort zusammenzubringen“, so Simeon, der hier als Head Judge und Media Koordinator weitere Hüte trägt und, zu allem Überfluss, auch noch in der Masters-Devision auf dem Wasser antritt. Doch geht es nicht auch darum, einen internationalen Wettkampf professionell durchzuführen und die besten Wave-Windsurfer der Welt zu ermitteln?
Geht es nicht auch darum, einen internationalen Wettkampf professionell durchzuführen?
Henri, Laurin, Nick und ich sind irritiert, als der Event kurzfristig von Topocalma Infernal in Surazo Infernal umbenannt wird. Statt am Traumspot Topocalma soll der Wettkampf nun direkt vor dem Surazo Hotel in Matanzas ausgerichtet werden. An Tag eins, lange nach Meldeschluss, schreiben sich noch weitere Fahrer ein und bringen die “Dingle-Eliminationation”-Auslosung (Contest-Format ohne Verlierer-Runde, aber mit einer Extra-Runde für die Verlierer der ersten Heats, Anm. d. Red.) ordentlich durcheinander. Plötzlich ist Jorge, Caddy von Philip Köster und berüchtigt für seine perfekten Goiter, als vierter Mann zusammen mit Laurin und mir im Heat, was uns das Leben nicht unbedingt einfacher macht. Simeons Ansagen zum Wettkampf-Ablauf kommen weder pünktlich noch sind sie so präzise formuliert, wie man es von der PWA kennt. Eine grüne Flagge als Signal für den laufenden Wettkampf gibt es nicht – nur eine gelbe.
Der Sturm, der Boris Hermann und dem Team Malizia bei der Aufholjagd ums Kap Horn während des Ocean Race zu Gute kommt, schiebt große Wellen an der chilenischen Küste entlang. Doch der Wind spielt trotz passabler Vorhersage nicht mit. Wir müssen uns einige Tage gedulden und als die Hoffnung auf die erträumten Down-the-Line Bedingungen fast schon schwindet geht die gelbe Flagge für die ersten Pro Heats endlich hoch!
Der Wind frischt mittags auf und es rollen saubere zwei Meter hohe Wellen in die von Felsen umrahmte Bucht von Matanzas. Die Wellen werden in Luv direkt vor den Felsen steil - auf den Set-Wellen können hier bereits mehrere Turns gefahren werden. Durch die Windabdeckung einer großen Düne ist der Wind hier allerdings sehr unbeständig.
Im ersten Heat zeigt der Local Alex Vargas wie man mit diesen schwierigen Bedingungen umgeht: tiefe Bottom-Turns, harte Carves und routinierte Airs bis zum Strand! Die Bedingungen in Matanzas drehen mehr und mehr auf, der Wettkampf kommt ins Rollen. Es werden 18 Minuten Heats gefahren mit zwei Minuten Transition-Zeit. Die besten zwei Fahrer eines Heats kommen weiter. Da keine Sprünge zählen können drei Judges alle vier Fahrer gleichzeitig bewerten.
Während es Henri von Runde 1 direkt in Runde 3 schafft, müssen Laurin und Nick in der „Revenge Round“ 2 ums Überleben kämpfen. Für Nick reicht es gegen starke Locals leider nicht um weiterzukommen. Laurin kommt weiter, erwischt dann aber keinen optimalen Heat und scheidet in Runde 3 aus. Ein beziehungsweise maximal zwei verlorene Heats bedeuten bei einer Dingle-Elimination das Ende des Wettkampfs. Eine Rückrunde gibt es nicht. Henri zeigt in Runde 3 eine solide Performance und zeigt, was er in den Tagen vor dem Wettkampf im freien Fahren dazugelernt hat: radikale Carves und Airs in kraftvollen Sections. Bei wenig Wind und jetzt fast logohohen Wellen scort Henri einen schönen Air mit sieben Punkten. Leider erwischt er bei seiner Backup-Welle die Lippe ein wenig zu spät und wird für den Timingfehler gnadenlos bestraft.
In der Zwischenzeit zeigen die Hotshots Hayata Ishii und Gil Marino, dass sie nicht nur an ihren Homespots in Japan und Pozo extrem gute Windsurfer sind, sondern auch hier in Matanzas. Ur-Local und Wettkampf-Veranstaler Filipe Wedeles schnappt sich eine Welle nach der anderen und reitet sie souverän. Trotz guter Performance landet Henri auf dem vierten Platz dieser Runde und damit auf einem 25. Platz insgesamt.
Die Bedingungen, die dem Namen der Veranstaltung gerecht werden, halten zwei Tage lange an, so dass Heat für Heat die Pro Divisionen der Frauen und Männer zu Ende gefahren werden können. Bei den Frauen werden insgesamt drei Finale gefahren, die die routinierte Jane Seman aus Australien mit kraftvollen schnellen Wellenritten alle für sich entscheiden kann.
In Runde drei überstehe ich einen schweren Heat gegen Takara und Baptiste und kann mich dann ins Halbfinale gegen Camille und Federico vorkämpfen. Meine Taktik ist es, auf Set-Wellen zu warten und diese von Anfang bis Ende abzureiten, so wie es Alex Vargas bei seiner ersten Welle gemacht hat. Viele Locals und auch Julian machen es so ähnlich. Julian beeindruckt dabei immer wieder mit flüssigen Wellenritten und einem guten Mix aus kraftvollen Turns, späten Airs und radikalen Manövern. Fahrer wie Camille, Baptiste und Philip zeigen hingegen viele gesprungene Tricks, wie Goiter and Air Taka, und nutzen dafür eher kleinere, aber dafür steilere Wellen.
Zwei grundsätzlich verschiedene Herangehensweisen eine Welle abzureiten treffen hier aufeinander. Es wird allerdings früh deutlich, dass die Judges die gesprungenen Tricks in kritischen Teilen der Welle bevorzugen. Das bedeutet für mich im Halbfinale, dass ich in einer knappen Entscheidung gegen Baptiste und Camille das Nachsehen habe. Von der anderen Seite der Auslosung ziehen zusammen mit den beiden Franzosen die Deutschen Philip und Julian in das Finale ein.
Im 30-minütigen Finale bleiben die Fahrer ihrem jeweiligen eigenen Stil treu. Camille spult sein ganzes Repertoire an Waveriding-Finesse ab. Philip gelingen radikale Manöver, wie Wave 360er, Tweaked Airs und Takas – teilweise bleibt es aber bei einem guten Manöver pro Welle. Baptiste setzt zu radikalen Goitern an, steht diese aber nicht so sicher, wie man es von ihm gewohnt ist. Die ästhetischen, gut getimten Wellenritte mit viel Flow von Julian beeindrucken mich persönlich am meisten. Die Judges sehen am Ende Philip auf Platz eins, Camille auf Platz zwei, gefolgt von Julian und Baptiste – und bleiben somit auch ihrer Gewichtung von Tricks über vollständigen Ritten treu.
Philip hat mal wieder gezeigt, dass er in sämtlichen Bedingungen der Fahrer ist, den es zu schlagen gilt.”
Ohne Philip seine grandiose Performance absprechen zu wollen – er hat mal wieder gezeigt, dass er in wirklichen sämtlichen Bedingungen der Fahrer ist, den es zu schlagen gilt – hätte man meiner Meinung nach hier in Chile die Chance nutzen können und die Wellenreit-Kriterien „Speed, Power, Flow“ stärker honorieren können. Es bleibt eine Judging-Debatte, die es immer wieder zu führen gilt und am Ende doch subjektiv bleibt.
Die IWT und Simeon Glasson haben es zusammen mit den Veranstaltern vor Ort rund um das Surazo Hotel mit Bravour gemeistert haben, einen wundervollen Wettkampf durchzuführen und damit ein wichtigen Beitrag für das professionelle Windsurfen in der Welle geleistet. Während die Fahrer und Veranstalter die gelungenen Ergebnisse noch sacken lassen, wartet die restliche Windsurf-Welt auf Pressemitteilungen, Fotos, Videos…
Obwohl das Hochladen der Bilder immer wieder an der sporadischen Internetverbindung scheitert, ist Simeon entspannt. Das Media-Budget war für die Veranstaltung gering, an Live-Stream ist gar nicht zu denken. In erster Linie geht es laut Simeon darum, vor Ort eine gute Show abzuliefern und gemeinsam eine gute Zeit zu haben. Die positiven Emotionen der Teilnehmer und Zuschauer würden schon ihren Weg finden und auch die Menschen vor ihren Bildschirmen erreichen und begeistern. Er sei offen für Verbesserungsvorschläge – für große Medienaufgebote und aktuelle Berichterstattung wären die im Sport vorhandenen finanziellen Mittel jedoch einfach zu gering, das müsse man sich bewusst machen. Wenn man bedenkt, dass selbst beim PWA Worldcup auf Sylt im vergangenen Jahr kein offizieller Livestream vorhanden war, kann man ihm nur zustimmen.
In Matanzas war die Begeisterung über die Veranstaltung allerdings groß. Daher wird bereits diskutiert, wie das Preisgeld für das nächste Jahr erhöht und die Medien-Standards verbessert werden können.