Michele Becker im Interview“Ohne Wettkämpfe würde ich nicht mehr Windsurfen”

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 · 08.06.2023

Der Mann startet durch: Dominant im Windsurf Cup, Überraschungs-Fahrer im World Cup. Im Interview spricht Michele Becker über Erfolge, Training und Ziele
Foto: Crowther/pwaworldtour.com
Michele Becker ist durch und durch Wettkampftyp – eine entspannte Runde Freeriden interessiert ihn nicht. Dafür hat er beim ersten PWA Slalom World Cup 2023 am Gardasee gleich mal einen sensationellen fünften Platz eingefahren und dominiert den Deutschen Windsurf Cup. Wir haben ihn begleitet.

Abschlusstag beim PWA Slalom World Cup Gardasee: Nach zwei Durchgängen mit – für Michele Becker bis dahin nicht für möglich gehaltenen – zweitem und 16. Platz, stehen wir zusammen. Resultate, die auch Fachleute nicht vermutet haben, aber letztlich auch das Ergebnis vom Weg des mittlerweile 24-jährigen Wahl-Kielers sind. Mit Nico Prien liegt ein weiterer Deutscher in den Top 10, während ihre heißesten nationalen Konkurrenten auf einen Start beim Auftakt-Worldcup verzichten. Erleben wir also so etwas wie eine Wachablösung an der deutschen Spitze?

Michele schaut, lächelt und ist dann ohne Antwort im nächsten Moment schon wieder in Gedanken beim nächsten Slalomdurchgang – so etwa wie: Was wird der Südwind machen? Die Sonne, die die Ora unterstützt, fehlt an diesem Abschlusstag vom Worldcup gänzlich. Es ist kalt, durch die wolkenverhangenen Berge gibt es nicht diese typische Ora. So fallen auch unter Insidern (erst recht für Michele Becker, der zum ersten Mal am Gardasee ist) eine Windvorhersage für den weiteren Verlauf des Nachmittags sehr schwer.

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Ein fettes Ausrufezeichen im World Cup

Das Startboot liegt rund 800 Meter südlich und damit luvwärts vom Regattagelände des altehrwürdigen Circolo Surf Torbole entfernt. Knapp zehn Minuten kreuzen die Worldcupper bis zum Start – und wer den Gardasee kennt, der weiß auch, dass es immer ein bisschen Lotteriespiel ist, welche Windbedingungen dort herrschen – und wie sich der Wind entwickeln wird. Sichtbar unentschlossen, was er in Anbetracht dieser Ausgangslage zu nehmen hat, schaut der Patrik-Teamrider über sein Equipment. Ach, ich nehme das kleine Material, beschließt er, greift sich Board und Segel und kreuzt zum Startboot rauf.

Er hat damit eine optimale Wahl getroffen, denn im nächsten Slalomdurchgang setzt Michele mit einem dritten Platz ein weiteres, fettes Ausrufezeichen im Kreise der Worldcup-Elite. Nur noch mal kurz kommt er zum Circolo Surf Torbole zurück, um dann für die Heats des vierten, und damit abschließenden, Slalomdurchganges wieder hinauszufahren.

Michele trennten am Gardasee nur 1,3 Punkte vom zweiten Platz, den der Franzose Pierre Mortefon (F14) verteidigen konnte.Michele trennten am Gardasee nur 1,3 Punkte vom zweiten Platz, den der Franzose Pierre Mortefon (F14) verteidigen konnte.

Auffällig sind die körperlichen Unterschiede derjenigen, die schon früher ausscheiden und zum Regattagelände zurückkommen zu den Profis, die am A- oder B-Finale teilnehmen. Zwischen Fahrern wie dem jungen Jimmy Thieme und den Topfahrern liegen gut und gerne 20 Kilogramm. Neben mir steht ein junger Kroate, der als Mentaltrainer für Weltmeister Maciek Rutkowski arbeitet und sichtlich angespannt und nervös auf seinem Smartphone die Rennen im Livestream verfolgt. Maciek fährt im A-Finale einen dritten Platz ein und sichert sich so den Sieg.


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Rutkowski, Mortefon, Søe - alle gratulieren Michele Becker

Und Michele? Durch einen Sieg im kleinen Finale fährt er auf den neunten Platz und kommt overall auf einen überragenden fünften Platz – plus 1400 Euro Preisgeld. Zurück am Strand bekommt der Kieler sein breites Lächeln gar nicht mehr aus dem Gesicht. Der Abbau seiner Boards und Slalomriggs zieht sich ziemlich lange hin, man kann spüren, dass er mit seinem fünften Platz voll in der Slalom-Elite der PWA-Szene angekommen ist. Maciek, der amtierende Weltmeister, kommt auf ihn zu. „Hey, du warst sauschnell unterwegs!“ Er ist voll des Lobes: „Du bist sehr smart gefahren und aus der Halse raus hast du mit die beste Beschleunigung aller Teilnehmer im Feld gehabt.“

Einer der schnellsten Jungs überhaupt, der viertplatzierte Däne Johan Søe, geht gezielt auf Michele Becker zu: „Lass uns mal zusammen trainieren“, meint er, und auch Ex-Weltmeister Pierre Mortefon reiht sich da nahtlos in die Schar der Gratulanten ein: „Du bist gut gefahren!“ Aber auch Will McMillan, selbst wohl die größte Überraschung beim Worldcup am Gardasee, kommt zum Händeschütteln vorbei. Mit seinem dritten Platz hat der 17-jährige Thailänder, der in Australien lebt, die gesamte Weltelite geschockt. Die beiden Underdogs stehen zusammen und reißen Witze. Der lustige 110-Kilo-Modellathlet, der nach eigenen Angaben 230 Kilogramm im Stemmheben packt, darf wie Michele als neue, junge Garde im Worldcup-Slalom angesehen werden. Nico Prien, der bei seinem Comeback einen hervorragenden neunten Platz eingefahren hat, gratuliert herzlich: Es ist gut zu sehen, wie die Anspannung abgefallen ist und beide freudestrahlend ihre Erfolge genießen.


Michele Becker im Interview

Zehn Tage später treffe ich Michele Becker in Grönwohld, an seinem nördlich von Kiel gelegenen Homespot. Am vergangenen Wochenende hat er bei seinem Sieg beim Deutschen Windsurf Cup auf Sylt noch mal seine überragende Form unter Beweis gestellt. Auch den DWC-Auftakt in Ahlbeck hat er locker gewonnen und ist damit auf besten Weg, nach 2022 auch in diesem Jahr wieder die Gesamtwertung zu gewinnen!

Michele, Glückwunsch! Du bist bei den ersten Regatten des Jahres überragend gefahren. Wie fühlst du dich?

Es ist noch etwas unwirklich. Ich war am Nachmittag des letzten Eventtages am Gardasee so geflasht von allem. Wir sind an diesem Abschlusstag zweieinhalb Eliminations gefahren. Ich hatte den zweiten Lauf versemmelt, nach dem zweiten Durchgang habe ich ein großes Segel genommen, bin raus und dann doch wieder reingefahren, um ein kleineres Segel zu nehmen – hatte aber keine Zeit, ein kleineres Foil zu nehmen. Das waren so viele Entscheidungen und kleine und größere Erlebnisse, das brauchte Zeit, um erst mal verarbeitet zu werden.

Du hast bei diesem Worldcup den fünften Platz overall erreicht! Musst du dich mal kneifen?

Ach, das kann man gar nicht so richtig beschreiben.

Also, dein Lächeln wird gerade mal wieder breiter.

Ja klar, ich bin schon stolz.

Auf einmal zahlt sich all die harte Arbeit der letzten Jahre komplett aus. Das ist überwältigend.”

Und wie fühlt es sich an, wenn man plötzlich – laut deiner eigenen Aussage – gegen seine Idole antritt? Und denen plötzlich nur noch die Finne, pardon, das Foil, von hinten zeigt?

Das ist für mich immer noch unbeschreiblich. Ich bin so stolz und dankbar für Momente wie diese. Unfassbar! Auf einmal zahlt sich all die harte Arbeit der letzten Jahre komplett aus. Das ist überwältigend.

Es war auch toll zu sehen, dass jeder deiner Konkurrenten am Gardasee auf dich zukam, gratulierte, und so ein Resultat voll respektierte. Wie ist es so als Newcomer?

Die arrivierten Worldcupper, die auch vorne mit dabei gewesen sind, kamen alle auf mich zu. Hingegen war es bei den PWA-Profis, die hinter mir lagen, teilweise anders. Ein Enrico Marotti oder Matteo Iachino, die ich auch gut vom Training auf Teneriffa kenne, haben nix gesagt. Was ich aber auch ein bisschen verstehen kann.

Am Gardasee hast du auf die Frage, ob deine aktuellen Resultate die Wachablösung auf nationaler Ebene darstellen, noch ein wenig gelächelt und dann eher gegrinst. Du warst in Anbetracht der Frage vielleicht ein bisschen verlegen. Andreas Erbe, Chefredakteur vom surf-Magazin, packte später sogar noch einen drauf, indem er sagte, dass eine Wachablösung auch gerade im PWA Slalom World Cup zu sehen ist. Siehst du das auch so? Und was sind deiner Meinung nach die Gründe dafür?

Bei der Thematik spielt auf jeden Fall das Foilen eine große Rolle. Im Vergleich zum Finnenslalom ist das eine sehr neue Disziplin, die eine neue Fahrtechnik und Verständnis erfordert. Somit hatten wir vor ein paar Jahren gefühlt einen Neustart, wodurch auch junge Fahrer von Anfang an mitmischen können.

Jeder, der nicht auf Teneriffa trainiert, macht einen Fehler!”

Nico Prien meinte auf die Frage, warum Maciek Rutkowski denn gewonnen habe: Na, wegen seiner Konstanz! Aber woher kommt diese Konstanz, so sicher in die A-Finals zu fahren – und dort auch noch vorne mit dabei zu sein?

Ja, Maciek fährt sehr konstant. Man merkt zum Beispiel bei Maciek und Enrico, dass sie seit Jahren regelmäßig beim TWS Slalom Training auf Teneriffa dabei sind. Man kann nicht mehr trainieren als wir auf Teneriffa! Jeder, der nicht teilnimmt, macht einen Fehler – und nur vielleicht ein Antoine Albeau oder ein Nicolas Goyard können sich erlauben, woanders zu trainieren, weil sie einfach eine überlegene Erfahrung und damals überragende Materialsettings zur Verfügung gehabt haben.

Maciek Rutkowski als amtierender Weltmeister hatte über den gesamten Worldcup hinweg seinen eigens engagierten Mentalcoach dabei. Ist auch das ein Grund für seine Konstanz?

Mag schon gut möglich sein. Die meisten Worldcupper fahren mittlerweile so lange Regatten, dass jeder genau weiß, was ihm weiterhilft.

Aber es gibt auch schon körperliche Unterschiede bei den Jungs, die in den Vorläufen ausscheiden, zu denen, die in das A- oder B-Finale fahren. Die Profis in den Finals bringen mindestens 90, eher noch 95 Kilo auf die Waage. Der erst 17-jährige Will McMillan wiegt 110 Kilo!

Ja, wenn du heute bei den Rennen gewinnen willst, dann hilft ein Gewicht um 100 Kilo schon etwas. Maciek bringt es auf etwa 95, währenddessen er aber auch während einer Saison tendenziell Körpergewicht verliert. Da bin ich mit 92 Kilo eher einer der leichteren Rider im vorderen Feld – meine Gedanken dazu sind ziemlich klar.

Das heißt, du wirst noch was draufpacken? 95 Kilo galten bislang für den Slalom auf Finne als das optimale Körpergewicht.

Ich werde auf jeden Fall weiterhin Gewicht drauftun. In dieser Saison versuche ich, das Gewicht zu halten und zur nächsten Saison zuzulegen. Solange du auf dem Foil bist, bleibst du auch mit 100 Kilo nicht stehen.

Trotz unsicherer Windverhältnisse und langer Wartezeiten blieb der Youngster Michele Becker fokussiert. Einige Routiniers blieben nicht so cool.Trotz unsicherer Windverhältnisse und langer Wartezeiten blieb der Youngster Michele Becker fokussiert. Einige Routiniers blieben nicht so cool.

Der Ex-Weltmeister Matteo Iachino hatte für den Worldcup am Gardasee ein Boot mit Skipper engagiert, das in Höhe des Startbootes die Woche über geankert hatte. So war ein Materialwechsel für ihn schneller machbar als für viele andere.

Das ist gerade an solchen Spots Gold wert. Wobei selbst Matteo nach dem letzten Tag geschimpft hat, dass er nur 9.0 und 8.0 auf dem Boot gehabt hat, obwohl er für die letzten Rennen 7.0 benötigt hätte. Na ja, ich konnte und musste ohne Boot mein Material am Strand wechseln – und bin anscheinend auch ganz gut klargekommen.

Welche Jungs haben den größten Grundspeed am Gardasee gehabt?

Will McMillan mit seinen, wie du schon sagtest, 110 Kilo – und der Beine hat, die so dick und breit sind… Wahnsinn! Dann der Däne Johan Søe mit 103 Kilo, der Kroate Enrico Marotti mit schätzungsweise 98 Kilo. Diese drei waren die einzigen, gegen die ich beim Speed gar nicht mithalten konnte.

Gas geben! Fullspeed! Hast du auf den Schlägen auch mal Angst, dass was schiefgehen kann? Gibst du immer Vollgas? Oder taktierst du auch mal?

Ne, dann lieber kontrolliert ans Limit.

Immer?

Na ja, beim Fight mit Enrico Marotti um den Einzug ins Finale am Gardasee bin ich komplett am Limit gefahren – und habe auf dem letzten Schlag alles gegeben, denn ich wollte ins Finale! Ich habe nur gedacht: Das ist mein Moment! Hätte ich dort den kleinsten Fehler gemacht, hätte ich mich komplett überschlagen. Aber anders kommt man in solchen Fights eben nicht als Gewinner raus.

Ich starte da, wo ich will, und wenn jemand anderes da ist, dann muss er da halt weg.”

Das ist mein Moment! Bei einem DWC zu gewinnen ist dein erklärtes Ziel. Wie sieht es bei den Worldcups aus, willst du da genauso gewinnen? Und hat sich dein Mindset in den letzten Jahren verändert?

Gute Frage. Ich würde mich als fairen Rider bezeichnen, mag aber auch den Kontakt auf der Regattabahn. Beim Worldcup am Gardasee habe ich zum ersten Mal richtig umgesetzt, dass mir der Start gehört. Ich starte da, wo ich will, und wenn jemand anderes da ist, dann muss er da halt weg. Das hat einen richtig großen Unterschied gemacht.

Ein großer Schritt. Hattest du im letzten Jahr dieses Selbstbewusstsein noch nicht?

Das Umdenken hat bei mir im Winter stattgefunden. Ich bin, wie schon gesagt, ein unfassbarer Fan dieses Sports und seiner Athleten und empfinde es als eine Ehre, mit denen zu fahren – und auch vor denen zu fahren. Es ist cool, mit ihnen auf Augenhöhe zu sein. Mittlerweile muss ich auf Instagram nicht mehr schreiben: Oh, ich fahre mit den weltbesten Ridern. Ich bin jetzt selbst einer von ihnen.

Wie bist du zu dieser Selbsterkenntnis gekommen?

Das kam mit der Zeit aus der Trainingserfahrung, von den Monaten auf Teneriffa.

Worauf liegt 2023 dein Fokus? Deutscher Windsurfcup oder Worldcup?

Seit diesem Jahr Worldcup – nur, wenn dann noch zwischendurch Luft ist, starte ich bei den DWCs.

m Multivan Windsurf Cup dominiert Michele Becker derzeit das Feld. Schon 2022 konnte er den Gesamtsieg im DWC feiern.Foto: Henning von Jagowm Multivan Windsurf Cup dominiert Michele Becker derzeit das Feld. Schon 2022 konnte er den Gesamtsieg im DWC feiern.

Was hat dazu geführt?

Es war immer ein Kindheitstraum von mir, bei Worldcups zu starten. Von meinen bisherigen Sponsoren Fanatic und Duotone wurde meine Teilnahme an den DWCs auch sehr gut unterstützt. Und nun habe ich mit Patrik Windsurfing eine Unterstützung, die mich auch internationale Regatten mitfahren lässt. Aber bloß, wenn ich im Worldcup gute Resultate einfahre, wird es auch relevant.

Eine Teilnahme am World Cup Gardasee ist wohl vergleichsweise günstig zu finanzieren. Aber welche Regatten stehen nun für dich an?

Ja, Gardasee ist eher günstig. Im Juli sind die nächsten Worldcups in Pozo und Fuerteventura.

Starkwind kann ich noch besser.”

Slalom-Worldcups im Hochsommer in Pozo und Fuerteventura! Die Rennen mit zu erwartenden 40 Knoten Windspeed werden noch mal eine ganz andere Herausforderung im Verhältnis zum Wind am Gardasee sein, oder?!

Definitiv! Das ist gefühlt eine komplett andere Disziplin als das bisschen Leichtwind-Foilen vom Gardasee. Tendenziell kann ich Starkwind aber noch besser. Schon auf Teneriffa sagten die anderen Rider, dass mir wohl Fuerteventura mit etwa 25 Knoten Wind und Chop am besten liegen würde.

Themawechsel: Du sagst auf deiner Website, dass das Windsurfen für dich ein Neustart in ein anderes Leben gewesen sei.

Ich hatte nie ein schwieriges Leben, aber Probleme mit anderen Kindern. Ich habe mich auch häufiger mit meinen Lehrern gestritten, die mir sagten, dass ich nichts erreichen werde. Durch das Windsurfen, womit ich im Alter von neun Jahren begann, kam ich in eine neue Community rein: Ich wollte nur mein Lieblingshobby mit anderen teilen.

Bei deinen ersten DWC-Regatten vor zehn Jahren hast du aber noch eher das Freestylen als Racen im Kopf gehabt.

Ja, das war geil. Noch am Vorabend einer DWC-Regatta und direkt nach den Rennen und der Siegerehrung ging ich zum Freestylen.

Welche Moves sind es zur damaligen Zeit bei dir gewesen?

Funnels, Flakas und Spocks und einige Powermoves. Ich wollte damals nur zwei Freestyleboards und ein Slalomboard haben, doch wenn man weniger zum Freestylen geht, dann macht man Rückschritte. Damit kann ich nicht umgehen.

Als Deutscher kann man nur im Racen Erfolge haben.”

Warum hat sich bei dir das Racen gegenüber dem Freestyle durchgesetzt?

Ich musste mich aus Zeitgründen entscheiden – und als Deutscher kann man nur im Racen Erfolge haben. Es sei denn, man hat ein Talent wie Niclas Nebelung.

In 2017 und 2018 hast du bei Vincent Langer gewohnt. Also demjenigen, der das Regatta-Geschehen in diesen Jahren dominiert hat. Was nimmst du aus dieser Zeit mit?

Vincent erzählte damals, dass er noch in der WG ein Zimmer frei hat – und er meinte, dass ihn im Training keiner so pusht wie ich. So war es damals mein größter Erfolg, dass ich Trainingspartner von Vincent und gleichzeitig auch Fan von ihm war. Ich habe von ihm extrem viel fürs Windsurfen gelernt. Und wahrscheinlich auch ähnlich viel fürs Leben an sich.

Michele hat noch mit mir trainiert, wenn andere schon müde waren. Das macht den Unterschied.” (Vincent Langer)

Und dann bist du vom Lehrling zu jemanden geworden, der den Meister vom Thron zu stoßen versucht.

Klar, aber dadurch, dass Vincent einfach immer noch auf einem Weltklasse-Level fährt, hat das auch ewig gedauert. Ich erinnere mich noch genau, wie ich zum ersten Mal in einem Trainingsrennen vor ihm war. Dann kam irgendwann der erste Sieg vor ihm in einem Rennen dazu. Und zugegeben bin ich erst seit diesem Jahr im Training auf der Geraden etwas schneller. Das war bis jetzt noch nie der Fall.

Ohne Wettkämpfe würde ich wahrscheinlich nicht mehr windsurfen, hast du mal gesagt.

Um bei Vincent zu bleiben: Er geht so gern aufs Wasser und sagt selber, dass er genau deshalb so gut ist. Ich hingegen habe keinen Spaß auf dem Wasser, wenn ich keine Ziele habe. Eine Freeridesession im Herbst letzten Jahres für eine Stunde gab mir nichts. Ich war erschrocken, aber ich möchte nun mal produktiv sein, ich sehe es als Job. Ein Job mit extremer Leidenschaft, und deshalb bin ich heute Nachmittag bei 20 Knoten hier in Grönwohld nicht draußen auf dem Wasser gewesen. Um mich auszuruhen – und damit ich in den nächsten Tagen umso besser bei Leichtwind fürs nächste Event in zwei Wochen trainieren kann.

Ich habe keinen Spaß auf dem Wasser, wenn ich keine Ziele habe. Eine Freeridesession gibt mir nichts.”

Auch das Training im Fitnessstudio mache ich fürs Windsurfen. Oder auch normale Freizeitaktivitäten wie zum Beispiel Bowlen nehme ich zum Anlass, mich in meiner Motorik zu schulen und somit ein rundum besserer Athlet zu werden.

Neben Training und Regatten bist du ebenfalls viel auf Social Media vertreten. Ist das mittlerweile eher Pflichtprogramm – oder macht es dir Spaß?

Mittlerweile gehört vernünftige Online-Präsenz auf jeden Fall dazu, um seine Reichweite bestmöglich zu nutzen. Am meisten Arbeit macht dabei mein YouTube-Kanal. Aber ich mag einfach, dass es auf YouTube noch etwas mehr um Inhalte und Details geht als zum Teil in den anderen schnelllebigen, sozialen Medien.

Kommen wir noch mal zur Frage vom Gardasee und der Wachablösung zurück. Du hast da erst verlegen gelächelt und dann gegrinst. Was sagst du mit mittlerweile zehn Tagen Abstand und einem weiteren Sieg beim DWC auf Sylt dazu?

Das würde ich ab jetzt unterschreiben, ja. Im letzten Jahr hatte ich das Gefühl, dass ich auf Augenhöhe mit den Topjungs aus dem DWC bin, aber habe mich über den Winter in vielen Punkten nochmals verbessert.

Welchen Anteil hat es für dich, dass du nicht mehr der zweite Teamrider in einem nationalen Team von Board- und Segelmarke bist, sondern nun der erste Mann in Deutschland bei Patrik Windsurfing?

Das macht auch etwas aus, wobei ich sowieso jeden schlagen möchte. Egal, ob im gleichen Team oder nicht. Ich muss aber sagen, dass es deutlich mehr Spaß macht, der beste Fahrer einer Marke zu sein, da man einfach das Gefühl hat, mehr für die Marke da zu sein und zu repräsentieren.

Michele Beckers neuer Sponsor Patrik Windsurfing liefert dem Kieler offensichtlich sehr konkurrenzfähiges Material.Foto: reemediaMichele Beckers neuer Sponsor Patrik Windsurfing liefert dem Kieler offensichtlich sehr konkurrenzfähiges Material.

Ist es auch ein Grund, vielleicht ein bisschen mehr Austausch und Kommunikation mit dem Sponsor zu haben?

Ja, auch das. Direkt nach dem letzten Rennen am Gardasee habe ich 20 Minuten mit Patrik Diethelm telefoniert. Sein Interesse und die Wertschätzung für meine Leistung haben mich sehr gefreut.

Fährst du noch Finne? Oder ist das Geschichte?

Schon noch. Und zwar bei den Regatten, bei denen es besser ist – wie zum Beispiel in Pozo und eventuell Fuerteventura.

Dennoch gehört dem Foil die Zukunft auf der Regattabahn?

Ja, schon, aber auch die Surfindustrie hat da noch ein Wörtchen mitzureden.

Wohl insbesondere wegen der Foilraces sind beim DWC auf Sylt gerade noch 14 Starter gewesen.

Dem würde ich definitiv widersprechen. Die geringe Starterzahl lag eher an den zeitgleich stattfindendem Surf-Festival auf Fehmarn und dem Defi-Wind in Frankreich. Ich würde aber auf jeden Fall zustimmen, dass das Foilen seit Anfang an ein bisschen zu enthusiastisch ins Windsurfen eingebracht wurde. So war es klar, dass nun augenscheinlich der Fokus auf dem Foilen liegt. Um vor allem aber wieder einsteigerfreundlicher zu sein, gibt es beim DWC seit diesem Jahr auch wieder den herkömmlichen Finnenslalom als separate Disziplin.

Oder anders: Bleiben auf nationaler und internationaler Ebene auch Rider auf der Strecke, weil sie ihre größere, lange Erfahrung nicht einfach so von der Finne aufs Foil übertragen können?

Ja, auf jeden Fall. In der Vergangenheit war der Fleet mit Finne schon wesentlich enger zusammen. Das hat für einige Profis das Karriereende bedeutet. Die jungen Rider mussten es genauso erlernen, aber die älteren Profis mussten eben auf eine Resettaste drücken.

Wer fährt im Worldcup in die Top 10, Top 5 oder Top 3? Was sind die Unterschiede?

Top 10 schafft man, wenn man den Grundspeed hat und ab und zu gute Rennen fahren kann. Die Top 5 ist möglich, wenn man seinen Fokus halten kann und immer perfekt startet. Kombiniert mit dem nötigen Grundspeed bleibt man dann vorne. Und bei Top 3 darf man einfach keine Fehler machen. Jedes Halbfinale muss sitzen, damit man nur Ergebnisse im Winners Final einfährt.

Welche Ziele hattest du auf der Regattabahn für dieses Jahr?

Top 15 auf der PWA Tour – und wenn es wirklich gut läuft, auch mal auch in die Top 10.

Und was darfst du dir jetzt erhoffen?

Unter die Top 10 in der Jahresrangliste zu kommen ist das Ziel – nach diesem hervorragenden Start.


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