Abschlusstag beim PWA Slalom World Cup Gardasee: Nach zwei Durchgängen mit – für Michele Becker bis dahin nicht für möglich gehaltenen – zweitem und 16. Platz, stehen wir zusammen. Resultate, die auch Fachleute nicht vermutet haben, aber letztlich auch das Ergebnis vom Weg des mittlerweile 24-jährigen Wahl-Kielers sind. Mit Nico Prien liegt ein weiterer Deutscher in den Top 10, während ihre heißesten nationalen Konkurrenten auf einen Start beim Auftakt-Worldcup verzichten. Erleben wir also so etwas wie eine Wachablösung an der deutschen Spitze?
Michele schaut, lächelt und ist dann ohne Antwort im nächsten Moment schon wieder in Gedanken beim nächsten Slalomdurchgang – so etwa wie: Was wird der Südwind machen? Die Sonne, die die Ora unterstützt, fehlt an diesem Abschlusstag vom Worldcup gänzlich. Es ist kalt, durch die wolkenverhangenen Berge gibt es nicht diese typische Ora. So fallen auch unter Insidern (erst recht für Michele Becker, der zum ersten Mal am Gardasee ist) eine Windvorhersage für den weiteren Verlauf des Nachmittags sehr schwer.
Das Startboot liegt rund 800 Meter südlich und damit luvwärts vom Regattagelände des altehrwürdigen Circolo Surf Torbole entfernt. Knapp zehn Minuten kreuzen die Worldcupper bis zum Start – und wer den Gardasee kennt, der weiß auch, dass es immer ein bisschen Lotteriespiel ist, welche Windbedingungen dort herrschen – und wie sich der Wind entwickeln wird. Sichtbar unentschlossen, was er in Anbetracht dieser Ausgangslage zu nehmen hat, schaut der Patrik-Teamrider über sein Equipment. Ach, ich nehme das kleine Material, beschließt er, greift sich Board und Segel und kreuzt zum Startboot rauf.
Er hat damit eine optimale Wahl getroffen, denn im nächsten Slalomdurchgang setzt Michele mit einem dritten Platz ein weiteres, fettes Ausrufezeichen im Kreise der Worldcup-Elite. Nur noch mal kurz kommt er zum Circolo Surf Torbole zurück, um dann für die Heats des vierten, und damit abschließenden, Slalomdurchganges wieder hinauszufahren.
Auffällig sind die körperlichen Unterschiede derjenigen, die schon früher ausscheiden und zum Regattagelände zurückkommen zu den Profis, die am A- oder B-Finale teilnehmen. Zwischen Fahrern wie dem jungen Jimmy Thieme und den Topfahrern liegen gut und gerne 20 Kilogramm. Neben mir steht ein junger Kroate, der als Mentaltrainer für Weltmeister Maciek Rutkowski arbeitet und sichtlich angespannt und nervös auf seinem Smartphone die Rennen im Livestream verfolgt. Maciek fährt im A-Finale einen dritten Platz ein und sichert sich so den Sieg.
Und Michele? Durch einen Sieg im kleinen Finale fährt er auf den neunten Platz und kommt overall auf einen überragenden fünften Platz – plus 1400 Euro Preisgeld. Zurück am Strand bekommt der Kieler sein breites Lächeln gar nicht mehr aus dem Gesicht. Der Abbau seiner Boards und Slalomriggs zieht sich ziemlich lange hin, man kann spüren, dass er mit seinem fünften Platz voll in der Slalom-Elite der PWA-Szene angekommen ist. Maciek, der amtierende Weltmeister, kommt auf ihn zu. „Hey, du warst sauschnell unterwegs!“ Er ist voll des Lobes: „Du bist sehr smart gefahren und aus der Halse raus hast du mit die beste Beschleunigung aller Teilnehmer im Feld gehabt.“
Einer der schnellsten Jungs überhaupt, der viertplatzierte Däne Johan Søe, geht gezielt auf Michele Becker zu: „Lass uns mal zusammen trainieren“, meint er, und auch Ex-Weltmeister Pierre Mortefon reiht sich da nahtlos in die Schar der Gratulanten ein: „Du bist gut gefahren!“ Aber auch Will McMillan, selbst wohl die größte Überraschung beim Worldcup am Gardasee, kommt zum Händeschütteln vorbei. Mit seinem dritten Platz hat der 17-jährige Thailänder, der in Australien lebt, die gesamte Weltelite geschockt. Die beiden Underdogs stehen zusammen und reißen Witze. Der lustige 110-Kilo-Modellathlet, der nach eigenen Angaben 230 Kilogramm im Stemmheben packt, darf wie Michele als neue, junge Garde im Worldcup-Slalom angesehen werden. Nico Prien, der bei seinem Comeback einen hervorragenden neunten Platz eingefahren hat, gratuliert herzlich: Es ist gut zu sehen, wie die Anspannung abgefallen ist und beide freudestrahlend ihre Erfolge genießen.
Zehn Tage später treffe ich Michele Becker in Grönwohld, an seinem nördlich von Kiel gelegenen Homespot. Am vergangenen Wochenende hat er bei seinem Sieg beim Deutschen Windsurf Cup auf Sylt noch mal seine überragende Form unter Beweis gestellt. Auch den DWC-Auftakt in Ahlbeck hat er locker gewonnen und ist damit auf besten Weg, nach 2022 auch in diesem Jahr wieder die Gesamtwertung zu gewinnen!
Es ist noch etwas unwirklich. Ich war am Nachmittag des letzten Eventtages am Gardasee so geflasht von allem. Wir sind an diesem Abschlusstag zweieinhalb Eliminations gefahren. Ich hatte den zweiten Lauf versemmelt, nach dem zweiten Durchgang habe ich ein großes Segel genommen, bin raus und dann doch wieder reingefahren, um ein kleineres Segel zu nehmen – hatte aber keine Zeit, ein kleineres Foil zu nehmen. Das waren so viele Entscheidungen und kleine und größere Erlebnisse, das brauchte Zeit, um erst mal verarbeitet zu werden.
Ach, das kann man gar nicht so richtig beschreiben.
Ja klar, ich bin schon stolz.
Auf einmal zahlt sich all die harte Arbeit der letzten Jahre komplett aus. Das ist überwältigend.”
Das ist für mich immer noch unbeschreiblich. Ich bin so stolz und dankbar für Momente wie diese. Unfassbar! Auf einmal zahlt sich all die harte Arbeit der letzten Jahre komplett aus. Das ist überwältigend.
Die arrivierten Worldcupper, die auch vorne mit dabei gewesen sind, kamen alle auf mich zu. Hingegen war es bei den PWA-Profis, die hinter mir lagen, teilweise anders. Ein Enrico Marotti oder Matteo Iachino, die ich auch gut vom Training auf Teneriffa kenne, haben nix gesagt. Was ich aber auch ein bisschen verstehen kann.
Bei der Thematik spielt auf jeden Fall das Foilen eine große Rolle. Im Vergleich zum Finnenslalom ist das eine sehr neue Disziplin, die eine neue Fahrtechnik und Verständnis erfordert. Somit hatten wir vor ein paar Jahren gefühlt einen Neustart, wodurch auch junge Fahrer von Anfang an mitmischen können.
Jeder, der nicht auf Teneriffa trainiert, macht einen Fehler!”
Ja, Maciek fährt sehr konstant. Man merkt zum Beispiel bei Maciek und Enrico, dass sie seit Jahren regelmäßig beim TWS Slalom Training auf Teneriffa dabei sind. Man kann nicht mehr trainieren als wir auf Teneriffa! Jeder, der nicht teilnimmt, macht einen Fehler – und nur vielleicht ein Antoine Albeau oder ein Nicolas Goyard können sich erlauben, woanders zu trainieren, weil sie einfach eine überlegene Erfahrung und damals überragende Materialsettings zur Verfügung gehabt haben.
Mag schon gut möglich sein. Die meisten Worldcupper fahren mittlerweile so lange Regatten, dass jeder genau weiß, was ihm weiterhilft.
Ja, wenn du heute bei den Rennen gewinnen willst, dann hilft ein Gewicht um 100 Kilo schon etwas. Maciek bringt es auf etwa 95, währenddessen er aber auch während einer Saison tendenziell Körpergewicht verliert. Da bin ich mit 92 Kilo eher einer der leichteren Rider im vorderen Feld – meine Gedanken dazu sind ziemlich klar.
Ich werde auf jeden Fall weiterhin Gewicht drauftun. In dieser Saison versuche ich, das Gewicht zu halten und zur nächsten Saison zuzulegen. Solange du auf dem Foil bist, bleibst du auch mit 100 Kilo nicht stehen.
Das ist gerade an solchen Spots Gold wert. Wobei selbst Matteo nach dem letzten Tag geschimpft hat, dass er nur 9.0 und 8.0 auf dem Boot gehabt hat, obwohl er für die letzten Rennen 7.0 benötigt hätte. Na ja, ich konnte und musste ohne Boot mein Material am Strand wechseln – und bin anscheinend auch ganz gut klargekommen.
Will McMillan mit seinen, wie du schon sagtest, 110 Kilo – und der Beine hat, die so dick und breit sind… Wahnsinn! Dann der Däne Johan Søe mit 103 Kilo, der Kroate Enrico Marotti mit schätzungsweise 98 Kilo. Diese drei waren die einzigen, gegen die ich beim Speed gar nicht mithalten konnte.
Ne, dann lieber kontrolliert ans Limit.
Na ja, beim Fight mit Enrico Marotti um den Einzug ins Finale am Gardasee bin ich komplett am Limit gefahren – und habe auf dem letzten Schlag alles gegeben, denn ich wollte ins Finale! Ich habe nur gedacht: Das ist mein Moment! Hätte ich dort den kleinsten Fehler gemacht, hätte ich mich komplett überschlagen. Aber anders kommt man in solchen Fights eben nicht als Gewinner raus.
Ich starte da, wo ich will, und wenn jemand anderes da ist, dann muss er da halt weg.”
Gute Frage. Ich würde mich als fairen Rider bezeichnen, mag aber auch den Kontakt auf der Regattabahn. Beim Worldcup am Gardasee habe ich zum ersten Mal richtig umgesetzt, dass mir der Start gehört. Ich starte da, wo ich will, und wenn jemand anderes da ist, dann muss er da halt weg. Das hat einen richtig großen Unterschied gemacht.
Das Umdenken hat bei mir im Winter stattgefunden. Ich bin, wie schon gesagt, ein unfassbarer Fan dieses Sports und seiner Athleten und empfinde es als eine Ehre, mit denen zu fahren – und auch vor denen zu fahren. Es ist cool, mit ihnen auf Augenhöhe zu sein. Mittlerweile muss ich auf Instagram nicht mehr schreiben: Oh, ich fahre mit den weltbesten Ridern. Ich bin jetzt selbst einer von ihnen.
Das kam mit der Zeit aus der Trainingserfahrung, von den Monaten auf Teneriffa.
Seit diesem Jahr Worldcup – nur, wenn dann noch zwischendurch Luft ist, starte ich bei den DWCs.
Es war immer ein Kindheitstraum von mir, bei Worldcups zu starten. Von meinen bisherigen Sponsoren Fanatic und Duotone wurde meine Teilnahme an den DWCs auch sehr gut unterstützt. Und nun habe ich mit Patrik Windsurfing eine Unterstützung, die mich auch internationale Regatten mitfahren lässt. Aber bloß, wenn ich im Worldcup gute Resultate einfahre, wird es auch relevant.
Ja, Gardasee ist eher günstig. Im Juli sind die nächsten Worldcups in Pozo und Fuerteventura.
Starkwind kann ich noch besser.”
Definitiv! Das ist gefühlt eine komplett andere Disziplin als das bisschen Leichtwind-Foilen vom Gardasee. Tendenziell kann ich Starkwind aber noch besser. Schon auf Teneriffa sagten die anderen Rider, dass mir wohl Fuerteventura mit etwa 25 Knoten Wind und Chop am besten liegen würde.
Ich hatte nie ein schwieriges Leben, aber Probleme mit anderen Kindern. Ich habe mich auch häufiger mit meinen Lehrern gestritten, die mir sagten, dass ich nichts erreichen werde. Durch das Windsurfen, womit ich im Alter von neun Jahren begann, kam ich in eine neue Community rein: Ich wollte nur mein Lieblingshobby mit anderen teilen.
Ja, das war geil. Noch am Vorabend einer DWC-Regatta und direkt nach den Rennen und der Siegerehrung ging ich zum Freestylen.
Funnels, Flakas und Spocks und einige Powermoves. Ich wollte damals nur zwei Freestyleboards und ein Slalomboard haben, doch wenn man weniger zum Freestylen geht, dann macht man Rückschritte. Damit kann ich nicht umgehen.
Als Deutscher kann man nur im Racen Erfolge haben.”
Ich musste mich aus Zeitgründen entscheiden – und als Deutscher kann man nur im Racen Erfolge haben. Es sei denn, man hat ein Talent wie Niclas Nebelung.
Vincent erzählte damals, dass er noch in der WG ein Zimmer frei hat – und er meinte, dass ihn im Training keiner so pusht wie ich. So war es damals mein größter Erfolg, dass ich Trainingspartner von Vincent und gleichzeitig auch Fan von ihm war. Ich habe von ihm extrem viel fürs Windsurfen gelernt. Und wahrscheinlich auch ähnlich viel fürs Leben an sich.
Michele hat noch mit mir trainiert, wenn andere schon müde waren. Das macht den Unterschied.” (Vincent Langer)
Klar, aber dadurch, dass Vincent einfach immer noch auf einem Weltklasse-Level fährt, hat das auch ewig gedauert. Ich erinnere mich noch genau, wie ich zum ersten Mal in einem Trainingsrennen vor ihm war. Dann kam irgendwann der erste Sieg vor ihm in einem Rennen dazu. Und zugegeben bin ich erst seit diesem Jahr im Training auf der Geraden etwas schneller. Das war bis jetzt noch nie der Fall.
Um bei Vincent zu bleiben: Er geht so gern aufs Wasser und sagt selber, dass er genau deshalb so gut ist. Ich hingegen habe keinen Spaß auf dem Wasser, wenn ich keine Ziele habe. Eine Freeridesession im Herbst letzten Jahres für eine Stunde gab mir nichts. Ich war erschrocken, aber ich möchte nun mal produktiv sein, ich sehe es als Job. Ein Job mit extremer Leidenschaft, und deshalb bin ich heute Nachmittag bei 20 Knoten hier in Grönwohld nicht draußen auf dem Wasser gewesen. Um mich auszuruhen – und damit ich in den nächsten Tagen umso besser bei Leichtwind fürs nächste Event in zwei Wochen trainieren kann.
Ich habe keinen Spaß auf dem Wasser, wenn ich keine Ziele habe. Eine Freeridesession gibt mir nichts.”
Auch das Training im Fitnessstudio mache ich fürs Windsurfen. Oder auch normale Freizeitaktivitäten wie zum Beispiel Bowlen nehme ich zum Anlass, mich in meiner Motorik zu schulen und somit ein rundum besserer Athlet zu werden.
Mittlerweile gehört vernünftige Online-Präsenz auf jeden Fall dazu, um seine Reichweite bestmöglich zu nutzen. Am meisten Arbeit macht dabei mein YouTube-Kanal. Aber ich mag einfach, dass es auf YouTube noch etwas mehr um Inhalte und Details geht als zum Teil in den anderen schnelllebigen, sozialen Medien.
Das würde ich ab jetzt unterschreiben, ja. Im letzten Jahr hatte ich das Gefühl, dass ich auf Augenhöhe mit den Topjungs aus dem DWC bin, aber habe mich über den Winter in vielen Punkten nochmals verbessert.
Das macht auch etwas aus, wobei ich sowieso jeden schlagen möchte. Egal, ob im gleichen Team oder nicht. Ich muss aber sagen, dass es deutlich mehr Spaß macht, der beste Fahrer einer Marke zu sein, da man einfach das Gefühl hat, mehr für die Marke da zu sein und zu repräsentieren.
Ja, auch das. Direkt nach dem letzten Rennen am Gardasee habe ich 20 Minuten mit Patrik Diethelm telefoniert. Sein Interesse und die Wertschätzung für meine Leistung haben mich sehr gefreut.
Schon noch. Und zwar bei den Regatten, bei denen es besser ist – wie zum Beispiel in Pozo und eventuell Fuerteventura.
Ja, schon, aber auch die Surfindustrie hat da noch ein Wörtchen mitzureden.
Dem würde ich definitiv widersprechen. Die geringe Starterzahl lag eher an den zeitgleich stattfindendem Surf-Festival auf Fehmarn und dem Defi-Wind in Frankreich. Ich würde aber auf jeden Fall zustimmen, dass das Foilen seit Anfang an ein bisschen zu enthusiastisch ins Windsurfen eingebracht wurde. So war es klar, dass nun augenscheinlich der Fokus auf dem Foilen liegt. Um vor allem aber wieder einsteigerfreundlicher zu sein, gibt es beim DWC seit diesem Jahr auch wieder den herkömmlichen Finnenslalom als separate Disziplin.
Ja, auf jeden Fall. In der Vergangenheit war der Fleet mit Finne schon wesentlich enger zusammen. Das hat für einige Profis das Karriereende bedeutet. Die jungen Rider mussten es genauso erlernen, aber die älteren Profis mussten eben auf eine Resettaste drücken.
Top 10 schafft man, wenn man den Grundspeed hat und ab und zu gute Rennen fahren kann. Die Top 5 ist möglich, wenn man seinen Fokus halten kann und immer perfekt startet. Kombiniert mit dem nötigen Grundspeed bleibt man dann vorne. Und bei Top 3 darf man einfach keine Fehler machen. Jedes Halbfinale muss sitzen, damit man nur Ergebnisse im Winners Final einfährt.
Top 15 auf der PWA Tour – und wenn es wirklich gut läuft, auch mal auch in die Top 10.
Unter die Top 10 in der Jahresrangliste zu kommen ist das Ziel – nach diesem hervorragenden Start.